Porträt:Innere Bewegung

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Gelassen, heiter und des Lebens noch nicht überdrüssig: Die Münchner Dichterin Dagmar Nick feiert am Montag, 30. Mai, ihren 90. Geburtstag. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Gedichte haben Dagmar Nick schon 1945 berühmt gemacht. Jetzt wird die mit vielen Preisen ausgezeichnete Münchner Schriftstellerin 90 Jahre alt - und ist immer noch neugierig aufs Leben

Von Sabine Reithmaier

Die Neugierde hält Dagmar Nick hellwach. "Ich will immer noch wissen, wie alles weitergeht." Sehr gerade sitzt die Dichterin da, eine zierliche, schmale Frau, die jeden Satz knapp, klar und trotzdem musikalisch formuliert. Keine Spur von Lebensüberdruss, sondern eine feine, gelassene Heiterkeit zeichnet sie aus. Am kommenden Montag feiert Dagmar Nick ihren 90. Geburtstag.

Eine Unterhaltung mit ihr ist ein großes Vergnügen, egal um welches Thema es sich handelt. Temperamentvoll erzählt sie von ihren Ahnen, denen sie in ihrem jüngsten Buch "Eingefangene Schatten" (C.H. Beck) nachspürt. Zehn Generationen hat sie in dieser jüdischen Familiengeschichte aufgearbeitet, die Quellen bis 1550 zurückverfolgt, 700 Verwandte mütterlicherseits ausfindig gemacht und ungeahnte Querverbindungen entdeckt. Eineinhalb Jahre brauchte sie, um alles aufzuschreiben, arbeitete zehn Stunden am Tag. Entstanden ist ein ebenso präzises wie humorvolles Buch mit anrührenden Geschichten und Anekdoten, das ganz beiläufig viel über jüdisches Leben mitteilt.

Mindestens genauso leidenschaftlich spricht sie von ihrem Vater, dem Komponisten und Musikkritiker Edmund Nick, und von dessen enger Freundschaft mit Erich Kästner. Den Schriftsteller kannte sie seit ihrem dritten Lebensjahr. 1929 bot Kästner dem Breslauer Rundfunk, dessen musikalischer Leiter Edmund Nick war, eine "Lyrische Suite in drei Sätzen" an. Weil Kurt Weill keine Zeit hatte, komponierte Nick in nur sechs Wochen 17 Lieder dafür. Das war der Anfang einer produktiven Zusammenarbeit, die die Nationalsozialisten und der Krieg zwar unterbrachen, aber nicht beenden konnten. Dagmar Nick hat viele ihrer Erinnerungen aufgeschrieben, nachzulesen sind sie im Buch "Edmund Nick" (Allitera-Verlag).

1933 feuerten die Nazis den Vater, die Mutter, die Konzertsängerin Kaete Nick-Jaenicke durfte als Halbjüdin nicht mehr auftreten. Die Familie zog nach Berlin, lebte von den Bühnen- und Filmmusiken des Vaters. Obwohl das Geld knapp war, die Familie hungerte, erlebte das Kind die Berliner Jahre im nach außen abgeschirmten Zuhause als eine glückliche Zeit. Trotz der Angst, die sie nach Ausbombung, Flucht und schwerer Erkrankung 1945 in Gedichten zu bannen versucht. "Ach, ich habe nichts mehr, kaum ein Leben, / nur noch Angst", schrieb die 19-Jährige - und "Onkel Kästner", inzwischen in München Feuilletonchef der Neuen Zeitung, druckte das Gedicht "Flucht". Schnell avancierte Nick zu einer der wichtigsten lyrischen Stimmen der Nachkriegszeit. Zwei Jahre später erschien ihr erster Lyrikband "Märtyrer", der mit dem Liliencron-Preis ausgezeichnet wurde. Viele weitere Preise und zwölf Gedichtbände folgten seither.

Gedichte sind für sie "Ventile". Lyrik schreibt sie nur, wenn sie etwas loswerden will. Die Gedichte wachsen langsam, nie im Sitzen, sondern nur während des Gehens. Aber das sei logisch, sagt sie. Schließlich seien die Gedichte angetrieben von einer inneren Bewegung.

Wie beweglich sie ist, verdeutlicht auch ein Blick auf ihre übrigen Werke. Da finden sich Hörspiele, aber auch poetisch präzise Reiseprosa über diverse Inseln - ihr Sizilien-Porträt hält sie für ihr intelligentestes Buch. Berühmt auch die drei Monologe, die sie Medea, Lilith und Penelope in den Mund gelegt hat.

Was sie in all den Jahren vernachlässigt hat, ist die Selbstvermarktung. Sie sei eben völlig ehrgeizlos, begründet sie ihre Bescheidenheit. Als junge Dichterin nahm sie gleich zwei Einladungen der Gruppe 47 nicht an. Sie bedauert das nicht, es erschien ihr nie wirklich wichtig. Natürlich schreibt sie noch immer. Ohne künstliche Verrenkungen, ohne jeden falschen Ton. Ein neuer Gedichtband ist angekündigt, vielleicht kommt auch noch anderes. Das wäre gar nicht überraschend.

Zwölf Lieder nach Gedichten von Dagmar Nick, mit Lesung der Autorin, Constance Heller, Sopran, Gerold Huber, Klavier, Di, 7.6., 19 Uhr, Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3 Der Seerosenkreis gratuliert Dagmar Nick mit einem Festababend am Mittwoch, 22. Juni, 19.30 Uhr im Münchner Künstlerhaus, Lenbachplatz 8

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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