Porträt des Künstlerpaars Gilbert & George:"Unser Wappen ist die Filzlaus"

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"Die christliche Presse verreißt uns. Wunderbar!" Nach 40 Jahren zum ersten Mal in der Tate Modern zu sehen: Das Künstlerpaar Gilbert & George - wir wagten einen Hausbesuch bei ihnen.

Holger Liebs

Waldorf und Statler. Lemmon und Matthau. Gin & Tonic. Drei Beispiele geglückter Ehen, die die Welt bereichert haben. Drei exzentrische Paare. Aber keines von ihnen ist auch nur halb so exzentrisch wie Gilbert & George.

(Foto: N/A)

Vor 40 Jahren zogen die beiden, damals noch mittellose Studenten, feinste englische Tuche an, erklärten sich zur "living sculpture", stellten sich unter eine Eisenbahnbrücke bei Charing Cross, schon damals ein bevorzugter Wohnsitz für Streuner, und sangen "Underneath the arches", die Hymne all jener Tramps, denen das Ritz einfach nicht vornehm genug ist.

Diese Mischung aus Schmutz und Eleganz war so unwiderstehlich, dass Gilbert & George, kurz: G&G, schon wenig später überall als lebende Skulpturen anzutreffen waren, in Rom, Luzern, Düsseldorf, München oder Sydney. Gerne sangen, tanzten oder tranken sie bis zu acht Stunden lang ohne Unterlass auf einem Tisch - und ließen sich ebenso gerne ignorieren, feiern und manchmal auch von Betrunkenen anpöbeln. Seitdem können sie nicht mehr ohne einander - und die Kunstwelt nicht ohne sie.

Die sechziger Jahre waren ja nicht wirklich geschaffen für Kunstwerke eines derart gepflegt-verführerischen Zuschnitts. Damals hatten sie entweder mönchisch streng, blutig oder gar lebensgefährlich zu sein. Selbstbesudelung mit Rasierklingen war fast schon Pflicht in den Performances der "Body Art" - nichts für Gilbert Proersch und George Passmore.

Gilbert: "Die ,living sculpture" war anders. Sauber, respektabel. Sie verärgerte niemanden. Performances regten die Leute auf. Sie waren schmutzig, einfach eklig."

George: "Es gab auch den Minimalismus. Das war unser Feind. Alles war verboten in der Kunst. Farbe. Gegenständliches. Religion. Sex. Es musste immer ein Kreis oder ein Quadrat oder eine Linie sein. Schwarz, weiß oder grau."

Gilbert: "Unsere Kunst ist eine Art Existenz. So wird es immer sein. Wir haben uns selbst zum Zentrum unserer Kunst erklärt. Heute tun das alle Künstler. Don"t you think?"

Die Frage klingt kokett, aber tatsächlich sind G&G Gentlemen alter Schule. Man kann den größten Unsinn erzählen und wird im Gegenzug immer ein "extraordinary!" oder "amazing!" zu hören bekommen. Ihr Haus in der Fournier Street bewohnen sie seit vier Jahrzehnten. Man trifft sie dort in zwei identischen Maßanzügen an, zwischen Wandvertäfelungen aus Rajasthan, Vasen von Christopher Dresser, einer Sammlung von Büchern - Katechismen, Koran-Ausgaben, Kinderbüchern sowie raren Bildbänden über Boybands wie Westlife, Wham! oder East 17 - und einem Elefantenfuß, der als Weinkühler dient.

G&G kleiden sich immer so elegant. Es gibt im gesamten Haus keine Küche. Wenn Gäste kommen, müssen die Getränke extra eingekauft werden. George raucht, Gilbert nicht. Dazu trinken sie Kaffee, immer nur Kaffee. G&G suchen jeden Tag die immergleichen Restaurants auf. 6.30 Uhr: Frühstück. 11 Uhr: Lunch. Und so weiter. Ein Leben als Ritual, eine Existenz als Markenzeichen.

G&G haben folgerichtig über die Jahre berühmte Künstler mit Porträts beauftragt, Cecil Beaton, Andy Warhol, Wolfgang Tillmans. Gerhard Richter hat die beiden gar gleich zwölfmal verewigt. Würden sie sich als Dandys bezeichnen?

George: "Der Kritiker David Sylvester hat mal gesagt: Ein Dandy ist genau wie alle anderen, aber er möchte seine Freunde nicht mit seinen Sorgen behelligen. Er gibt lieber vor, glücklich und strahlend zu sein. Wir sind keine Dandys, denn in unserer Kunst geht es auch um dunkle Dinge."

Gilbert: "Aber wir haben nichts gegen Dandys. Sie sind schließlich eine englische Erfindung."

George: "Wir ziehen uns nicht an wie Dandys. Wir sind normal. Andy Warhol war ein Dandy."

Es wäre auch zu schön gewesen, die Rede auf Oscar Wilde zu bringen. Der Tate Modern waren G&G dennoch zu, nun ja, zu britisch. Das größte Gegenwartsmuseum der Welt sträubte sich zunächst sehr gegen eine Retrospektive ihres Werks.

Gilbert: "Es gibt die Tate Britain für britische Künstler und die Tate Modern für moderne Künstler. Sie trennen britische von modernen Künstlern. Apartheid!"

George: "Sie hätten eine Absage schreiben können. Aber das wollten sie nicht, wegen der Kunstgeschichte. Du weißt nie, wie das 50 Jahre später aussieht. Es gibt ja diese berühmten Briefe von Museumsdirektoren."

Gilbert: "Picasso ist Müll, den stelle ich nicht aus."

George: "Nicolas Serota, Direktor der Tate, sagte also unserem Galeristen Jay Jopling mündlich ab. Er solle uns das ausrichten."

Gilbert: "Wir sagten Jay, wir seien verreist. In Asien. Die Tate solle einen Brief schreiben."

George: "Es kam aber nie einer an."

Ob aus Verzweiflung oder aus gutem Willen, am Ende schloss die Tate dann doch Frieden mit G&G; die Ausstellung wurde vor kurzem eröffnet (bis 6. Mai). Zum ersten Mal widmet die Museumsfabrik ein ganzes Stockwerk samt Cafeteria allein einem Künstlerauftritt. Die Säle sind voll. Viele junge Frauen stehen stumm vor den Bildern. Niemals tauchte auch nur ein weibliches Geschöpf in ihnen auf. Stattdessen: Jünglinge, bekleidet und unbekleidet. Kreuzigungen. Sex, Blut, Exkremente. Und islamische Kalligraphie. Das East End ist Heimat vieler Immigranten aus Bangladesch.

George: "Die Moslems haben einen Staat im Staate gegründet."

Gilbert: "Wir wohnen mittendrin."

George: "1980 haben wir Bilder wie ,Finding God" oder ,Dead Jesus" gemacht. Damals sahen sie wirklich dämlich aus."

Gilbert: "Heute ist Religion eine Sache auf Leben und Tod."

Das Thema Warhols, sagt George, sei Konsum gewesen. "Unser Thema dagegen ist: Humanismus". Man erkennt die Bilder von G&G sofort. Leuchtende Farben hinter schwarzen Gittern. Und Symbole des Lebens, des Todes, der Angst und der Hoffnung. Drastische Symbole. Vor allem aber tauchen sie immer wieder selbst in den riesigen Tafeln auf.

Als G&G Anfang der Siebziger anfingen, Fotos zu collagieren, damals noch in Schwarz-Weiß, ging es vor allem um Alkohol. Und um ihre damaligen Depressionen. Die Serien hießen "Bloody Life" und "Human Bondage". Später dann kamen Christus, Todessymbole, Körperflüssigkeiten dazu. G&G schlägt auf der Insel seit Jahrzehnten tiefer, unverbrüchlicher Widerwille entgegen. Anfangs setzten die Künstler neben ihre Signaturen immer das Wappen der Krone - was eigentlich nicht erlaubt ist im Vereinigten Königreich. Inzwischen haben sie ein neues Familienwappen gefunden: die Filzlaus.

George: "Es sind die Läuse, die man, nun ja, beim Sex bekommt. Kopfläuse besitzen diese moralische Dimension nicht. Sie stellen keine Schande dar. Unsere Läuse schon."

Am Eröffnungsabend in der Tate sei so viel Liebe gewesen, sagen sie. Einmal mehr sangen sie "Underneath the arches", es flossen Tränen der Rührung. "Und als wir am nächsten Morgen die Zeitungen lasen, war da so viel Hass."

Gilbert reckt beide Fäuste hoch: "Hier Hass, hier Liebe. Wie Robert Mitchum im Film ,Die Nacht des Jägers"."

George: "Die christliche Presse verreißt uns. Wunderbar! Es ist doch auffallend, wie viele Leute sich vor unseren Arbeiten schämen."

Gilbert: "Jeder denkt, er ist frei. Aber niemand ist frei. Sie sind alle wie schwule Pfarrer."

George: "Sie nennen uns ,the oddest couple", das absonderlichste Paar. Viele Kritiker sind heimlich homophob. Wir nennen es ,closet gay-bashing"."

Einmal wurden sie von Jungs aus der Nachbarschaft verprügelt. Sie sagen, sie hätten den Kleidungsstil der Männer bewundert, die Bomberjacken, die Glatzen. "Extraordinary!" Es ist ihre Art, sich die Welt vom Leib zu halten.

George: "Wir sind ein Kunstwerk. Niemand kann uns nahekommen."

Gilbert: "Obwohl unsere Nummer im Telefonbuch steht, ruft niemand an. Wir sind sehr offen gegenüber Menschen, dennoch kann uns niemand stören."

George: "Und wir gehen nie aus. Wir besuchen keine Ausstellung. Nie."

Und sie verreisen ungern. Monatelang schließen sie sich ein, um zu arbeiten. Bis vor ein paar Jahren, als sie Hochleistungsrechner bei sich installierten, verbrachten sie Woche um Woche bei der Collage-Arbeit, schnitten Kartonvorlagen aus, entwickelten die Fotos in der zur Dunkelkammer umgebauten Küche. In totaler Finsternis.

George: "Und dann gehst du auf die Straße und bist geschockt von der Helligkeit, den Farben, den Doppeldecker-Bussen."

Mitte Juni wird die Ausstellung von der Tate Modern zum Haus der Kunst nach München wandern. Gilbert, der aus Südtirol stammt, hat einst hier studiert, bevor er in London George traf. Gilbert sagt, er habe in München gelernt, "Skulpturen vor Häusern" zu machen. Sein damaliger Lehrer, Josef Henselmann, hat Gilberts Antlitz verewigt, es schmückt nun, 1123 Kilometer von der Fournier Street entfernt, einen wachsamen Hirten aus Stein auf dem Rindermarkt.

Jeden Tag, sagt George noch, würden sie in den Zeitungen lesen, sie seien als Künstler "extraordinary" und ihre Kunstwerke seien einfach "amazing".

Und dann sagt er: "Nun, eines Tages vielleicht."

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.51, Freitag, den 02. März 2007 , Seite 13

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