Porträt:Der Prinz auf der Kichererbse

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Er macht seine Sachen und macht sie gut und hat Deutschland dabei in Grund und Boden saniert. Eine Begegnung mit dem Komiker Otto Waalkes.

Willi Winkler

Es ist natürlich reiner Zufall, dass Otto ausgerechnet am 1. April zu haben ist.

Ganz irdisch: Otto Waalkes. (Foto: Foto: dpa)

Der 1. April ist ein strahlender Frühlingstag in München. Der Aufschwung ist noch immer nicht da, aber dafür die Bereitschaft, viel Geld dafür auszugeben. Auf dem Marienhof spielen Jugendmannschaften um Karten und ehrenvolle Erwähnungen und für alle, die nicht wissen, wie ein Fußball aussieht, ist ein großer gescheckter Ball mit aufgerissenem Maul hingestellt worden.

Im Zeitungskasten zeigt Bild über die obere halbe Seite erigiert den klassischen Hitler-Gruß. Es ist aber diesmal nicht der Führer, sondern Flavio Briatore, der die Mercedes-Tribüne grüßt. Seine Sprecherin erklärt: "Das war nicht rassistisch gemeint." Sondern wahrscheinlich komisch.

Komisch auch die Szene, wie der Jaguar auf den Platz vor der Oper einbiegt. Das Warten vor der Tiefgarage dauert doch zu lang, deshalb fährt der Jaguar elegant auf den Gehsteig und parkt neben dem Aufgang zur Oper. Ein diesem Fahrzeug angemessener gesetzter Herr entsteigt dem Auto und wird von einem Polizisten empfangen.

Die beiden unterreden sich kurz, dann weiß der Polizist, dass er den Münchner Opernkaiser oder wenigstens den Operettenkönig vor sich hat und retiriert höflich. Der König öffnet die Tür zum Fonds und holt einen höherpreisigen Dackel in die Sonne, in dessen Gesellschaft durch die Fußgängerzone zum Promenadenplatz kampfflaniert wird.

Beim Hotel Bayerischer Hof kennt man sich und grüßt nah und fern. Der Winter ist endlich vorbei, aber noch tragen die Herren aus der Kitzbüheler Höhensonne den etwas derben Teint "Luis Trenker" unterm angedeuteten Trachtenhut. "Gut schauens aus", sagen die Hüte zueinander und halten dabei den Hund straff an der Leine, denn der hat auch was vom Frühling läuten hören und zur Feier des Tages nichts Edleres im Sinn als die sofortige, gefühlsechte Kopulation mit irgendeinem dahergelaufenen Vieh.

Wo ist Otto Waalkes?

Neben den Reportern vom Rundfunk warten im Emporencafé zwölf, fünfzehn Kinder mit Schreibblock und Kassettenrekorder auf das Faultier Sid aus "Ice Age", den Chef der "7 Zwerge", auf das erste deutsche Idol ihrer Eltern. Otto kommt mit kleiner Begleitung herein, und es ist wie auf der Bühne: der Schmidtchen-Schleicher-Gang, das Wittern in alle Himmelsrichtungen, ein schneller Blick für jeden, das füchsische Lächeln. Kriegt er dich oder meint er mich?

Otto hat eine Ottifanten-Mütze auf, die dem griechischen Gott Hermes abgeschaut ist und deshalb an der Seite Flügel hat. Ist er nicht überhaupt hereingeflogen, schwupp, an den grauen Hüten vorbei? Otto ist aber ganz irdisch, begrüßt kurz und höflich die Pressefrauen und mit glaubhaftem Eifer die Kinderreporter von "Radio Südpol". Er habe nie an Kinder als seine Zielgruppe gedacht, sagt er, aber jetzt seien sie seine größten Fans.

Otto ist in München, um für den zweiten Teil von "Ice Age" zu werben, für den er das Faultier Sid synchronisiert hat. Da ist er wieder der kreischende Uhu, der Infantilissimus, der Sams avant la lettre. Das Komische bei Otto ist, dass er wirklich komisch ist.

Otto Waalkes kommt aus Ostfriesland, aus Emden, wo sonst nur (und mit ähnlich bescheidener Herkunft) Henri Nannen herkam und, nicht weit weg, die Familie Marx, die aber lieber gleich nach Amerika auswanderte und mit Zeppo, Chico, Harpo und vor allem Groucho berühmt wurde.

Wer mit elf schon den "Babysitter-Blues" drauf hat und im Erdkundeunterricht bei der Frage nach den Dardanellen genialisch über die Landkarte wedelt, der muss wech aus Friesland und hinaus in die große weite Welt, um vielleicht nicht die Dardanellen, aber doch das Glück zu finden.

Otto, und alle nennen ihn beim Vornamen, also Otto ging nach Hamburg und wollte erst Lehramt studieren. Ende der Sechziger, zehn Jahre nach den Beatles, gab es wieder eine Hamburger Szene. Otto spielte E-Gitarre, aber was die Leute hören wollten, waren nicht seine Glissandi auf der Gitarre, sondern wie er seine Stücke ansagte, um das Solo anschließend zu vermurksen.

Sid - auf Deutsch gesprochen von Otto Waalkes. (Foto: Foto: dpa)

"Wild Thing" von den Troggs hat sich von der Waalkes'schen Interpretation leider nie wieder erholt: "Wailtzink, ju meik mei hartzing . . . ". Dabei spielt er, wenn er will, erstklassigen Schweinerock. "Ja", sagt er, "Alvin Lee und Van Halen, das sind meine Vorbilder." Und sonst: Groucho Marx und Heinz Erhardt.

Otto lebte damals eine Zeitlang mit Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg in einer WG zusammen. Das Haus gehörte Gunter Sachs. Und wer hat gekocht? "Wir haben kochen lassen." Abwasch? "Ich hab' eine Spülmaschine gekauft, weil ich der Erste war, der Geld verdient hat." Otto trat in Hamburg im Audimax auf, siebdruckte sich selber die Plakate und bastelte für zweihundert Mark ein Demo zusammen.

Was er den Plattenfirmen anbot, war nicht zeitgemäß. Wieso? Weil es nicht politisch war? "Dann hätten sie's ja genommen." 1970 regierte der deutsche Schlager in seiner gigantischen Ernsthaftigkeit: Chris Roberts, Christian Anders, Vicky Leandros. Sowas wie Otto kannten sie nicht, das war anders, richtig blöd, und wer den Schlager nicht ernst nahm, hatte keine Chance. Aber Otto nahm ihn ernster, als er genommen sein wollte, und kreierte den Klassiker "Dänen lügen nicht". Und natürlich seine Version von Udo Jürgens' "Es wird Nacht, Senorita!"

Das hieß damals, wenn es hoch kam, "Nonsense" oder einfach: Blödeln. Otto las die Zeitschrift Pardon und fand darin die Verse eines leidenschaftlichen Antikatholiken: "Lieber Gott, gib doch zu/dass ich klüger bin als du./Und nun nimm doch endlich hin,/dass ich was Besondres bin." Er trat damit auf und erhielt anschließend eine Honorarforderung des Autors Robert Gernhardt.

So lernten sie sich kennen, und Gernhardt und seine Frankfurter Freunde Peter Knorr und Bernd Eilert entdeckten das Potenzial dieses einmaligen Schussel-Performers. Sie schrieben ihm die Texte, und Otto wurde ihr Darbieter, der "Interpret für geistige Lockerungsübungen". Gemeinsam haben sie in vieljähriger Arbeit das autoritäre Deutschland geschliffen.

Auch beim Interview ist Otto ein Bühnentier. Er betrachtet sich in der Spiegelwand des Cafés und streicht sich wie Rapunzel oder sonst eine unerweckte Königstochter die Haare, die wenigstens an der Seite noch in langen Locken herabhängen. Er wechselt die Mütze, statt der geflügelten ist es jetzt die "7-Zwerge"-Kappe, denn im Herbst kommt da die Fortsetzung. Dienstkleidung ist deshalb Vorschrift; auf Pulli und Hemd rüsseln seine Ottifanten.

Die Ottifanten sind noch immer seine Lieblinge. Die industrielle Fabrikation seines Comic-Strips gefällt ihm nicht mehr, aber doch ist er stolz drauf. Neulich hat ihm ein Mädchen angeboten, ihm ihre Tätowierung zu zeigen. Sie hat sich einen Ottifanten irgendwohin machen lassen. Otto spielt nicht bloß gern das schreiende Wickelkind, er kann sich auch wie ein Kind über so was freuen.

Wie er dasitzt, sitzt er nicht, sondern zappelt, kalauert, hippelt, jodelt, kichert, fliewatüütet, eine Sprechgesangsmaschine auf Hochtouren. Er ist immer im Dienst des Guten und Baren, wie kann er da ruhig sein? Erst recht, wenn er einen Tag lang Fragen zu einem trottelhaften Eiszeit-Faultier beantworten soll, dem er doch nur im Dunkeln begegnet ist, in einem Loch, aus dem Otto den Sid in "Ice Age - Jetzt taut's" eingesprochen hat und wovon wieder alle (zu Recht übrigens) so rasend begeistert sind, dass sie aber leider nur trottelhafte Fragen dazu stellen können.

Sein Manager Hans Otto Mertens bringt den hotelüblichen Spießobst- und Altersheim-Keksteller, den Otto aber nicht anrührt. Er trinkt lauwarmen Aufgussbeuteltee und kratzt (Bayerischer Hof!) den kristallisierten Honig dazu aus der Plastikpackung. Der Dackel vom Operettenkönig kriegt sein Wasser bestimmt in Marmor gereicht.

Ist er noch der Alte, also der junge Otto? Gibt es, noch eine trottelhafte Frage, gibt es überhaupt noch Tabus? "Ja, wo sind sie geblieben, die Tabus?" Frömmelnde Pfarrer konnte Otto so gut wie rasende Reporter, das fanden alle komisch. Als er aber einmal einen Witz über den Papst machte ("Der Papst soll Selbstmord begangen haben." - "Ach? - Ja, wenn man sich beruflich verbessern kann!") musste er sich nicht beim Papst, sondern bei Bundeskanzler Helmut Schmidt entschuldigen. Heute sind wir Papst und noch schneller beleidigt.

Natürlich gibt es die ganz Großen nicht mehr, keinen Wehner, keinen Brandt, keinen Kohl, keinen Strauß. Es kommt wie ein Reflex: "Die Luft ist klar, das Wasser rein,/Franz Josef muss ertrunken sein." Das haben die damals verkraftet. Noch so ein Klassiker: "Die Milch wird sauer, das Bier wird schal,/im Fernsehen spricht der Löwenthal."

Gerhard Löwenthal ist tot. Peter Alexander hat mal gemurrt, aber sonst? Bei Edmund Stoiber immerhin sieht er "echtes Heinrich-Lübke-Potenzial".

Selbst wenn er müde ist, ist Otto beneidenswert gut aufgelegt. Zwischendurch setzt er eine kleine Brille auf, schaut, kontrolliert sich im Spiegel. Er ist auch nicht, wie's Vorschrift sonst ist bei den großen Komikern: privat traurig und tiefernst und mit dem Lösen der Welträtsel beschäftigt. Er liest Hoimar von Ditfurth, sagt er. Ist das jetzt ein Witz? "Nein, der hat viel zu wenig geschrieben." Und zitiert den bekanntesten Titel: "So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen." Komisch.

Komisch die Vorstellung, dass er was ernst nehmen könnte, sagt er ja selber. Dass er in keine Bäckerei gehen und nach geschnittenem Brot fragen kann: Die lachten sich krumm. Ein Freund wollte einen Tatort mit ihm drehen, Otto als Kommissar. "Aber das geht nicht, da lachen die Leute doch, wenn ich anfange, die Zeugen zu befragen. Nee, das ist nichts für mich", sagt er mit zitronensaurer Grimasse, "ich bin doch kein Schauspieler!"

Das sagte er mit derselben Grimasse auch dem Freund. Darauf der Freund: "Genau diesen Gesichtsausdruck will ich haben!" Wo soll das enden und erst hinführen?

Denn der Clown, der vergießt heimlich Tränen, weiß man doch, und alt werden darf er auch nicht. Ein Kind sei er geblieben, sagt Otto, und zitiert einen Kindermundsatz: "Mein Großvater hat alle deine Platten." Mit diesem Drei-Generationen-Modell kann man die Alterspyramide natürlich auch stabilisieren. Aber es stimmt ja, 35 Jahre ist er schon dabei und kommt mit demnächst 58 langsam ins Bundesverdienstkreuzalter. Keiner hätte den Orden mehr verdient.

Schon 1985 ernannte ihn der Spiegel zum "Lachmann der Nation". Da hatte Otto mit seinen Schnurrpfeifereien schon fünfzehn Jahre sabotiert, was in der Bundesrepublik hoch und heilig war: Kirche, Glauben, Politik, Staat, das Große Latinum und den noch größeren Schlager. Er hat dabei Deutschland, mit Unterstützung der Frankfurter Satiriker, in Grund und Boden saniert. Allein dafür gehörte seine Büste neben die von Heinrich Heine in die Walhalla.

Trotzdem ist es anders geworden. Heute sind es gestandene Professoren, die sich zum Einsatz als Trümmerfrauen melden, um in waidwunder Prosa den Verlust der klassischen Werte des deutschen Bürgertums zu beklagen. Die Eltern, die selber als Kinder bei Otto im Fernsehen jauchzten, weil er alles machte, was die eigenen Eltern abscheulich fanden, legen inzwischen selber größten Wert darauf, dass bei der Suppe die linke Hand auf dem Tisch zu liegen kommt und noch lieber, wenn vorher ein Gebet gesprochen und hinterher artig Klavier geübt wird.

Der Systemzerstörer hat mit seinen Platten, seinen Filmen - "Otto - der Film" (1985) war der erfolgreichste deutsche Film vor dem "Schuh des Manitu" - genug für zwei verdient, aber Geld interessiere ihn nicht, behauptet er. "Was soll ich damit tun, als es auszugeben." Otto zahlt auch gern Steuern, "wo es doch für einen guten Zweck ist".

Dafür grübelt er laut über die Steuerentzieher, nennt sie nicht selber, lässt sie sich aber aufzählen: Becker, Gottschalk, Beckenbauer, die alle steuergünstig im Ausland wohnen. "Und die Fußballer", ruft er, "da gibt's ein Buch. Darf ich?" Er nimmt das Handy vom Tisch und ruft jemanden an, der ihm den Titel dieses Buches über die Geldgeschichten im Fußball nennen soll: "Das schmutzige Geschäft" von Fred Sellin, bei Bertelsmann. "Unglaublich!"

Diese ganzen "Quo vadis, Clown?"-Fragen kennt er, und warum soll ausgerechnet er sie beantworten. Otto macht seine Sachen und macht sie gut. Und erzählt dann von der Zeit an der Kunstakademie. Er hat in Hamburg bei Bazon Brock und Rudolf Hausner studiert und richtig gemalt, Mischmaltechnik. Nein, keine Kleckse, keine Spinnereien, keine Comics, richtig Öl. Rötelgrund, Tempera auftragen, noch mal Grundierung, und alles sieht man dann auf der Leinwand.

Bei Rembrandt am Mantel, da sieht man jedes einzelne Haar. Mit feinem Pinsel die Spitzen und dann Deckweiß, Tempera auftragen, trocknen lassen, die Fleischfarben, aber es bleibt, man kann nichts übermalen, es kommt alles durch. So ist ein Porträt seiner damaligen Freundin entstanden, "Junges Mädchen mit Schal und Pelzmütze", mit Lichtreflexen auf dem Schal, richtig wie bei Rembrandt.

Seine erste Frau hat es beim Auszug mitgenommen, und jetzt ist es weg.

Aber die Pressefrau mahnt. Draußen warten die Kinderreporter, sie wollen ihren Sid haben, sie kriegen ihn. Der Jaguar vor der Oper ist mitsamt dem Opernkönig und seinem Dackel verschwunden.

Die Polizei sorgt wieder für Ordnung.

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