Popmusik:Das Weinerle

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Der ehemalige Soldat James Blunt singt traurige Lieder. Er wird dafür geliebt. Und gehasst. Nun tourt er durch die großen Hallen. Zuvor ein klärender Besuch.

Rebecca Casati

Warum hasst man Sie eigentlich so?"

James Blunt (Foto: Foto: Warner Music)

James Blunt sitzt vorgebeugt da. Er trägt einen blaubraungeringelten Pullover, Schauspielschülerstiefel und zu weite Jeans. Er wirkt etwas schwitzig und zerstrubbelt, wie ein Tertianer nach der dritten Doppelstunde. Obwohl doch erst zwanzig Minuten vergangen sind hier im SWR-3-Studio in Baden-Baden.

Sein Gesichtsausdruck ist unbewegt, sein Tonfall flach und blechern, ohne Ironie, Stolz oder Verzweiflung. So, als hätte man bei der Stereoanlage die Höhen und Bässe rausgedreht. Nach jeder Frage nickt er knapp, ja, er hat verstanden. Dann schnarrt er los. Dass ihn die Hass-Frage beschäftigt, wird erst später erkennbar, dadurch, dass er nochmal darauf zurückkommt.

"Es ist Teil des Spiels, einen Star zu mögen oder abzulehnen", sagt er.

Ja - aber warum hasst man ihn?

"Es geht den Leuten nicht um mich persönlich. Wir lieben Stars und hassen sie. Damit kann ich leben, wir sind ja schließlich nicht im Kindergarten."

Das ist so nicht richtig, oder vielmehr: nicht vollständig. Abgrundtiefer Hass ist in der Popwelt selten. Kleine Mädchen hassen Britney Spears, weil sie Christina Aguilera-Fans sind. Aber das hält immer nur so lange wie der Charterfolg. Ansonsten wird nicht gehasst im großen Pop-Kindergarten, warum auch, es geht ja schließlich nur um Lieder und nicht, wie etwa im HipHop, um Bandenkriege.

Beim 28-jährigen Sänger James Blunt aber geht es um mehr. Ihn hassen Arrivierte. Studierte. Weltverbesserer. Unlängst gab der wegen seiner humanitären Leistung zum Sir geadelte Bob Geldof ihn, Blunt, zum Abschuss frei.

Als ihn jemand bei einem Konzert spaßeshalber dazu aufforderte, eines von Blunts Liedern zu singen, gab Geldof zurück: "Fuck off! ,You're beautiful' ist das ,Lady In Red' des 21. Jahrhunderts!"

Und "Lady In Red" ist, wie die meisten von uns nie vergessen werden, der sämige Hit jenes Mannes, den ein Kritiker unlängst als den "unbeliebtesten Star aller Zeiten" bezeichnete, als gälischen Gnom ohne Persönlichkeit: Chris de Burgh.

James Blunt provoziert in vielen Männer einen verbündenden Tonfall. " Hey, Kumpels!" schreibt etwa ein Redakteur der renommiertesten Zeitung Englands, der Times, "Ich garantiere euch, solltet Ihr euch je in einem Raum mit James Blunt befinden, werdet Ihr ihn nicht sexuell einschüchternd finden. Er ist klein, hat ein fehlerhaftes Gebiss, Mädchenaugen und Mädchenhaare" (wahrscheinlich hatte der Times-Redakteur Gardemaß, Hollywoodzähne und ein Heldenkinn, wie fast alle britischen Journalisten).

Im Internet werden Verwünschungen gegen Blunt ausgestoßen, Morddrohungen, die Aufforderung, ihm die Stimmbänder mit einer Black&Decker-Säge zu zertrennen. Auf einer Seite kann man mit Tomaten auf eine animierte Blunt-Figur zielen, und ein Blogger, der sich selber "Super-Hans" nennt, bezeichnet James Blunt als "nasses Salatblatt".

Die Super-Hanse dieser Welt fühlen sich von jeher von einer bestimmten Art Lied unangenehm angefasst: Jenem, das ihre Freundinnen gerne zum Echo der Badezimmerkacheln singen. Lieder wie Elton Johns "Tiny Dancer", in dem es um eine kleine Ballerina geht, die auch mal Jeans trägt.

Lieder wie Al Stewarts "Year Of The Cat", Lieder, wie sie auch Jack Johnson, neben James Blunt der andere Überraschungserfolg des letzten Jahres, singt. Und Lieder wie jene zehn, auf denen Blunts Karriere beruht.

Darin geht es um ein Mädchen, in das er sich in der U-Bahn verliebt. Oder um ein anderes Mädchen, das sich von ihm trennt. Und um ihre ungeborenen Kinder. Eine Vordergründigkeit, die viele Männer aggressiv macht und den Verdacht nährt: James Blunt ist wieder einer dieser Typen, die nicht mit geballten Fäusten kämpfen, sondern mit Watte.

Die beim Sport freiwillig bei der Mädchenmannschaft einspringen und auf dem Schulhof nicht bei den Busenwitzen lachen. Man kann sie als Junge nicht mal verhauen, weil ihre Haut so weich ist und ihre Augen an die Bucht von Amalfi erinnern oder einen anderen Quatsch.

Die Tatsache, dass es in dem Blunt-Song "No Bravery" um seine traumatischen Erfahrungen als Soldat im Kosovo-Krieg geht, die Information also, dass Blunt früher im Jungslager war, wiegt in dieser Anklage nur umso schwerer.

Es macht ihn nicht nur zum Deserteur, es macht ihn zum Überläufer. Zumal man Blunt in seinen Videoclips mit den Entbehrungen einer Armeezeit kokettieren sieht: halbnackt im Schnee, gehetzt im Wald, gequält in der Wüste. Und in jedem Clip gibt es Zeitlupensequenzen, die das Pathos weit, weit ausdehnen.

Das Plattencover seines Debütalbums "Back To Bedlam" - was sowohl "Zurück nach Bethlehem", als auch "Zurück in die Irrenanstalt" heißen kann - und seine Webpage sind mit art-noveau-artigen Mustern überzogen, Scherenschnitten von galoppierenden Pferden, Wildgänsen mit ausgebreiteten Schwingen, aufhorchenden Hasen.

Ein kleiner Junge springt in die Luft, ein betrunken tanzender Affe trägt eine Krone, sie sitzt schief: mythogisch-beziehungsreich wie das Poesiealbum eines Hippie-Mädchens. Fehlt noch das Einhorn. Und: der Bezug.

Dazwischen sind Fotos von Blunt, mal am Boden, wie getroffen. Dann wieder wie ein Soziologiestudent im T-Shirt, der Mund weich, die Nase nachdenklich-spitz. Auf vielen Fotos sieht er älter aus als im wirklichen Leben, und seltsam unmodern. Lange Nackenhaare, weite, schlecht sitzende Sakkos, wie die Künstler, die in den frühen achtziger Jahren "Die aktuelle Schaubude" bevölkerten.

James Blunt verhalf der britischen Musikindustrie zu einem Rekordjahr. Über 126 Millionen Platten wurden 2005 laut British Phonographic Industry verkauft.

"Back To Bedlam" war mit vier Millionen das meistverkaufte Album. Und das trotz Limewire und den vielen anderern illegalen Tauschbörsen. Was wiederum etwas über die Fans von James Blunt aussagt, denen es offenbar zu heikel oder zu aufwändig ist, sich die Sachen illegal aus Tauschbörsen zu ziehen. Vielleicht sind es auch einfach grundehrliche Leute.

"Alles Hausfrauen", wie Blunt bei einem Auftritt scherzte.

"Ist doch klar, dass Jungs das nicht verstehen", wird ein Mädchen aus Blunts Chelsea-Clique in der Times zitiert. Sie kennt ihn noch aus der Zeit, als er mit seiner Gitarre auf Parties auftauchte und spontan ein Ständchen vor den Gästen gab: "Er macht weinerliche Mädchenmusik mit tollen Refrains. Er macht sogar Witze darüber, zum Beispiel, dass seine Musik das neue Prozac für dreißig- bis vierzigjährige Geschiedene ist."

Irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass alle diese Informationen, sein kometenhafter Aufstieg auf einer intuitiven Strategie basieren, und dass das hier kein Widerspruch ist - für andere aber sehr, sehr schwer zu decodieren.

Das Militär hatte er 2002 verlassen, mit der festen und erstaunlich selbstbewussten Absicht, eine Platte zu machen, die sich 100.000 Mal verkauft. Er trat in kleinen Clubs auf, mit selbstgeschriebenen Liedern und seiner Gitarre.

Irgendwann sah ihn dann Linda Perry.

Linda Perry ist eine der erfolgreichsten Frauen des Musikgeschäfts. Früher war sie selber Sängerin, bei der Band Four Non Blondes, die der Welt ein schauderhaftes Lied hinterließ: "What's Going On".

Im Vorprogramm von Neil Young wurde Frau Perry nicht ganz zu Unrecht mit Bierdosen beworfen. Seither aber schreibt sie Popstars wie Pink oder Gwen Stefani Hit um Hit. Nachdem sie Blunt gehört hatte, gab sie ihm einen Plattenvertrag, holte ihn nach Los Angeles und brachte ihn im Haus der Schauspielerin Carrie "Prinzessin Leia" Fisher unter.

In deren Badezimmer spielte Blunt sein Lied "Goodbye, My Lover" ein. Denn, hey, in Hollywood haben die Leute ihre Flügel im Badezimmer.

Carrie Fisher schwärmt in den höchsten Tönen von ihrem Hausgast: "James Blunt ist ein Soldat und ein Gentleman und ein Rockstar. Die Kombination findet man nicht sehr oft."

Womit sie Recht hat, geht man vom normalen Leben aus. In einer Soap Opera wäre sie, vor allem kombiniert mit der zipfeligen Schaumfrisur Blunts, nicht weiter unnatürlich.

James Blunts richtiger Name lautet Blount, was gar nichts heißt."Blunt" bedeutet im Duden-Englisch "stumpf". Und im Jargon "Joint", weshalb man hinter dem Namen eher einen mit Kentucky Fried Chicken gemästeten Rapper vermutet.

James Blunt aber ist ein Weener. So wurde er zu seiner Militärzeit von den anderen genannt. Ein Weener wiederum ist im Englischsprachigen ein beliebter Dackelname - kann aber auch Würstchen, Wienerle, bedeuten.

Auf jeden Fall bedeutet es nicht, dass ein Weener einem ein Mädchen ausspannen kann. Er steht dackelhaft unter dem Tisch, an dem die anderen sich ums Essen streiten und dabei vielleicht mal was runterfallen lassen.

Aufpassen, nicht rumzappeln, den Ball flach halten, sich nicht mit den anderen anlegen.

Allerdings: Plötzlich kommt Weeners große Stunde. Dann kriegt er sie alle auf einmal. Und jetzt ist es soweit.

Dass James Blunt gehasst wird, ist nämlich nur die halbe Wahrheit. Die ganze ist, dass er entweder gehasst oder abgöttisch geliebt wird. Die Grundlage: ein einziges Album, das vor über einem Jahr erschienen ist, bewusst ohne große Werbekampagne.

Stattdessen ging Blunt auf eine Art Endlos-Tournee. Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem er nicht gespielt hat. Meistens sogar zweimal am Tag: "Letzten Samstag in New York bei Saturday Night Life. Am nächsten Tag Radiotermine. Dann ging's weiter nach Atlanta, zur Aufzeichnung der Conan O'Brian-Show."

Und heute hier nach Baden-Baden zum SWR, wo er später noch auftreten und derart inbrünstig intim und, ja, doch: rührend singen wird, dass die Gesichter der Baden-Badener schon nach dem ersten Lied leuchten wie Kerzen.

Wieviel Interviews hat er im letzten Jahr gegeben? "Es müssen so um die 5000 gewesen sein", sagt er flach.

In der Biografie auf seiner Webpage ist nachzulesen, dass Blunt eher unfreiwillig beim Militär landete. Dass er im Kosovo seine Gitarre dabei hatte. Dass er aus einer sehr unmusikalischen Militär-Familie stammt. Blunt hat als Kind zwei Jahre in Deutschland gelebt, weil sein Vater bei Düsseldorf stationiert war. Auf seiner Webpage klingt er sehr selbstironisch. Im wahren Leben, als Superstar, komplett phantasielos.

Ist er ehrgeizig?

"Ja." (unromantisch, falsche Antwort)

Schreibt er schnell?

"Ja. ,No Bravery' habe ich in zehn Minuten geschrieben, ,You're Beautiful' in zwei." (unromantisch, falsche Antwort)

War er sich von Anfang bewusst, dass seine Biografie ein gefundenes Fressen ist für die Medien? Eine einzige Doktor-Schiwago-Krieg-und-Frieden-Medien-Abfahrt, präsentiert von einem gutaussehenden Jungen, der zehn Instrumente beherrscht, rührend singen kann, gescheit, soldatisch diszipliniert, frei von Lampenfieber ist - und bereit, jeden Tag des Jahres zu singen und Interviews zu geben?

"Ein Ex-Soldat zu sein ist nicht unbedingt gutes Medien-Material."

In Kombination mit sanften Melodien und Falsettstimme ist es das schon.

"Aber das war nicht abzusehen. Und meine Herkunft ist auch kein Sympathienfänger."

In England pflegt man einerseits eine Hassliebe zu Prolo-Stars. Andererseits: Mitglieder von Bands wie Pink Floyd, Genesis, Rolling Stones, Keane, Radiohead und auch Chris Martin von Coldplay haben teure Privatschulen oder Elite-Internate besucht.

Blunt war, wie vor ihm einst Winston Churchill, auf dem exklusiven Internat Harrow, und danach auf der renommierten Militärakademie Sandhurst. Er ist Mitglied im Raffles Club auf der Kings Road in Chelsea, wo jedes auch nur halbwegs gutaussehende, reiche West-Londoner Mädchen darauf hofft, am Kamin seinen künftigen Millionärs-Ehemann zu treffen.

Sprich: James Blunt ist posh. Für Briten erkennbar am Akzent. In deutschen Ohren klingt sein Englisch einfach sehr klar und schön.

"Posh" sagt er, "ist ein sehr hässliches Wort."

Könnte er es bitte definieren?

Er seufzt tief.

"Es ist ein Akronym von ,Port Out, Starboard Home'. Das war angeblich auf die besseren, teureren Tickets der Schiffe gestanzt, die im 19. Jahrhundert zwischen England und Indien kreuzten.

Im England von heute ist oft ein Synonym für ,reich'. In meinem Fall bezieht es sich allerdings auf meinen Akzent. Die Armee hat für meine Schule gezahlt, weil bereits mein Vater gedient hat; die Armee hat für meine Universität bezahlt, weil ich mich dafür für vier Jahre verpflichtet habe."

Womit auch klar ist, was hinter der kolportierten Pressemitteilung steckte, dass sein Vater sein Schuldgeld zurückverlangte, nun, da der Sohn zu Geld gekommen ist: ein steifbeiniger Witz.

Charismatisch ist Blunt offenbar nur auf der Bühne. "Ich bin ein reservierter Mensch. Nur die Öffentlichkeit enthemmt mich, und ich nehme mal an, viele finden mich deswegen unmaskulin. Aber ich bin, gerade was meine Männlichkeit angeht, sehr zuversichtlich."

Ein trockenes Keckern. Und ein feuchter Händedruck zum Abschied. Dann geht er raus, stellt sich auf die Bühne, seine Lieder singen und die Baden-Badener Kerzen anstecken.

Nur er, ganz allein.

Und das ist es wohl auch, was die anderen Jungs ihm nicht verzeihen können: Er braucht sie nicht.

© James Blunt ist von kommender Woche an auf einer - größtenteils bereits ausverkauften - Tour. Er gastiert in München 19.1., Böblingen 20.1., Köln 22.1., Berlin 23.1. und Hamburg 29.1. .<p>SZ vom 14.1.2006</p> - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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