Popmusik: Bright Eyes:Selbstmord My Love

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Selten spürt man mehr Verzweiflung als zwischen lernenden Jura- und Medizinstudenten - da hilft nur ein Konzert von Bright Eyes: Eine Liebeserklärung an den Sänger Conor Oberst. Mit Bildergalerie.

Patrizia Odyniec

Manchmal scheint sich das Auto während der Fahrt mit Gefühl zu füllen. Wenn das stimmt, dann wäre es diesmal Liebe gewesen: Ich hörte "A Perfect Sonnet" von Conor Oberst, als ich mit einem liebeskummergeplagten Freund zu einem Konzert fuhr. Steffen seufzte und war davon überzeugt, dass "Bright Eyes" dieses Lied nur für ihn geschrieben hat. Ich war mir da nicht so ganz sicher, aber das war egal - denn soeben hatte ich mein Herz verschenkt.

Disney und Hugh Grant hatten mir jahrelang eine unrealistische Vorstellung von Liebe vermittelt. Dabei ist Liebe weder blind noch bedingungslos, denn Supermodels sind nun mal mit Rockstars verheiratet und nicht mit Obdachlosen. Nur Kate Moss und Pete Doherty lassen daran zweifeln.

Amors Pfeil kennt sehr wohl Status, Äußerlichkeiten und Vorurteile, aber in diesem eng gesteckten Rahmen trifft er uns dann doch plötzlich. Und als ich hörte, wie Conor Oberst, der Junge aus Nebraska, mit kraftvoll zitternder Stimme über die Schwere des Lebens sang, ahnte ich: Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen.

Ich kämpfte für unsere Beziehung: Als Fan wünschte ich mir auf jeder Party, in jedem Club immer Bright Eyes und kassierte einen Korb nach dem anderen. "Selbstmord-Musik", nannte man es in München und "Vielleicht spiele ich es als Rausschmeißer", antwortete man mir in Köln. Während die Musikpresse den amerikanischen Singer-Songwriter mit der ständig wechselnden Bandbesatzung abfeiert, scheint auf deutschen Tanzflächen kein Platz für schwermütige Schunkelei zu sein. Conor und ich passten nicht in die schillernde Welt der gestylten Diskokugeln. Unser gemeinsames Glück wartete auf uns an einem anderen Ort.

Das Lallen von damals

Wenn man Bright Eyes über Liebe, Leid und Leere spielen hört, sieht man sich selbst an einem Lagerfeuer sitzen oder am Meer. Ganz verzaubert und frei, doch Liebe ist auch Alltag, grau und gewöhnlich - Unibibliothek zum Beispiel. Man spürt selten mehr Verzweiflung, Trauer und Frustration, als zwischen lernenden Juristen und Medizinern. Unibibliotheken repräsentieren viel besser die Schwere der Welt als vermeintlich Sonnenuntergänge und Weinabende.

Und da waren wir - Conor und ich - ein Grundstudium lang. Fast jeden Tag rettete er mich vor dem leisen Fluchen, dem lauten Blättern und den sinnlosen Gesprächen meiner paukenden Leidensgenossen, brachte mich durch Praktika und Prüfungen. Denn das ist "true love", nicht diese Eintagslieder oder Alben die einen eine Liebeskummer-Lebensphase, einen Winter lang begleiten. Conor und ich, das ist etwas für die Ewigkeit.

Bereits vor über zwei Jahren durften wir einem gemeinsamen Abend verbringen. Conor lallte ins Mikrofon und war wirklich unglaublich traurig und verzweifelt - ich mochte ihn trotzdem. Früher, da konnte er noch besoffen auf die Bühne gehen und eine miese Show hinlegen, da nannten es die Leute "echt" und "ehrlich". Heute kostet ein Abend Bright Eyes über zwanzig Euro und es wäre "Abzocke" und "unverschämt", würde Conor in dem damaligen Zustand auftreten - das weiß er auch.

Liebe ist...

Er wirkt verhältnismäßig nüchtern bei seinem Auftritt im Gloria in Köln, aber die Aura der Niedergeschlagenheit und Schwere nimmt ihm das trotzdem nicht. Langes Haar hat er bekommen, er wirkt distanzierter und divenhafter als früher: Da war er einfach nur ein Junge aus Nebraska. Heute ist er Bright Eyes und seit über einem Monat ausverkauft.

Ich hatte eine genaue Vorstellung von dem Abend, welche Lieder er spielen und wie er gucken würde. Natürlich habe ich in dieser Vorstellung Raum gelassen für ein paar Momente in denen ich überrascht sein werde, schließlich will man den anderen auch so sein lassen, wie er wirklich ist.

Aber Conor spielte keines der von mir erwarteten, uns seit Jahren zusammenhaltenden Lieder. Statt dessen legte er Songs hin, die er mit 16 geschrieben hatte und gab Einblicke in sein neues Album "Cassadaga", welches am 7. April erscheinen wird. Conor war Conor und am Ende der Show - bei der er immerhin zwei Zugaben spielte - ziemlich betrunken. Aber auch das ist Liebe: zu merken, dass alles anders ist als man es sich vorgestellt hat - und es trotzdem gut zu finden.

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