Popfestival:Planvoll Spaß haben

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Warum sollte nur das Publikum tanzen? Josie-Claire Bürkle von "Claire" bei ihrem Auftritt am Samstag. (Foto: Günther Reger)

"Puls Open Air" auf Schloss Kaltenberg begeistert seine Besucher von Donnerstag bis Samstag mit musikalischer Vielfalt und dem liebevoll gestalteten Gelände

Von Cindy Riechau

Die roten Strahlen pulsieren im Rhythmus der Musik, bilden Lichtgitter um die Musiker. Der Auftritt von Moderat aus Berlin ist einer der Höhepunkte auf dem diesjährigen "Puls Open Air". Tausende tanzen vor der einem Amphitheater nachempfundenen Kugelbühne auf Schloss Kaltenberg, als die Elektroband am Samstagabend als vorletzter Act des Festivals spielt. Kühl und klar klingen die Beats des Trios, dazu singt Sascha Ring mit seiner angenehmen, stets etwas sehnsuchtsvoll klingenden Stimme.

"This is not what you wanted, not what you had in mind", begleiten die Fans lautstark den Refrain des Songs "Bad Kingdom", der die Band international auch über die Elektroszene hinaus bekannt machte. Die wohldurchdachte Lichtshow unterstreicht die hallenden Synthesizer und die treibende Bassdrum. Plötzlich liegt in Geltendorf eine Sehnsucht nach der Hauptstadt, nach ihren alten Fabrikgeländen und verfallenen Industriehallen in der Luft. Moderat vertonen all die Hoffnungen, für die Berlin steht. Im streng durchgetakteten Festival-Set ist auch den Headlinern nur eine einzige Zugabe gestattet: "Aber es hat ja niemand gesagt, wie lange die gehen darf", witzelt Sascha Ring, der ursprünglich unter dem Namen Apparat auftrat, dann aber 2002 mit dem DJ-Duo Modeselektor zu Moderat verschmolz . Die Fans honorieren die rare Ansage der Band mit riesigem Applaus. Dann tauchen alle wieder ein in die sphärische Welt des Elektro-Trios.

"Allein dafür hat sich das Ticket schon gelohnt", schwärmt ein "Puls "-Besucher nach dem Auftritt. Das Festival hatte aber durchaus noch mehr zu bieten als die Musiker aus Berlin . The Mighty Oaks, Von wegen Lisbeth und Claire zum Beispiel. Einige Fans entdeckten im Line-up auch Überraschungen: "Das Lied kenn' ich doch", freut sich eine Besucherin, als sie beim Auftritt von Alice Merton deren aktuellen Chart-Hit "Roots" erkennt. Vom Auftritt der deutsch-irischen Sängerin auf der von Bäumen gesäumten Waldbühne scheinen aber nicht nur die Fans begeistert - Alice Merton ist es ebenfalls: "Das war echt toll, ich freue mich immer noch jedes Mal, dass die Leute meinen Song kennen".

Die 23-jährige Sängerin ist in Kanada, Großbritannien und München aufgewachsen, ihr Hit "Roots" handelt von Heimatlosigkeit. Viele der Fans auf dem Puls können dieses Gefühl, überall und nirgendwo zuhause zu sein, offenbar nachvollziehen. In den mitunter ziemlich überfüllten Shuttlebussen vom Geltendorfer S-Bahnhof zum Festivalgelände hat jeder einen Vergleich aus dem Ausland parat: Die Madrider U-Bahnen und die öffentlichen Verkehrsmittel in Indien seien mindestens genauso voll, in Tokio schöben sogar Arbeiter der Metro die Menschenmengen in die Bahnen. Die Festivalbesucher nehmen den Andrang gelassen, schließlich sind sie hier, um Spaß zu haben.

Dieses Vorhaben wiederum nehmen die jungen Leute dann äußerst ernst. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird gelacht und getanzt. Da werden auch Klamottenstände mit etwas lauterer Musik schon mal zur Tanzfläche umfunktioniert. Wer seine Kräfte zwischendurch auftanken will, liegt im Biergarten in einer der bunten Hängematten oder schlicht im Gras und beobachtet, wie hunderte Seifenblasen durch den Himmel fliegen. Die Veranstalter, die das Freiluftevent des jungen Programms des Bayerischen Rundfunks organisieren, zeigen viel Fingerspitzengefühl bei der Dekoration des ohnehin sehr schönen Geländes. Es gibt viele Sitz- und Essgelegenheiten, Lichter und vier Bühnen im Grünen, die aber nicht dauerhaft bespielt werden.

So treten im Schnitt immer zwei Bands gleichzeitig auf - die Fans müssen sich also nicht zwischen allzu vielen Optionen entscheiden. Ein bisschen Planung bedarf der perfekte Festivaltag dann aber dennoch. "Lass uns jetzt eine Stunde schlafen gehen und dann essen, dann haben wir noch Luft bis die Shout out Louds spielen," schlägt eine Besucherin ihren Freunden vor. Der Plan gefällt - schließlich wollen alle fit für ihre Lieblingsband am Abend sein.

Der Auftritt der Schweden ist dann eine einzige Party. Man erkennt: Die Indie-Band ist unter den Puls-Gästen bestens bekannt. Seit 15 Jahren spielen Sänger Adam Olenius und seine vier Bandmitglieder bereits zusammen. Der Charme ihrer Musik liegt nicht zuletzt an Olenius leicht nasalem Gesang, der stark an Robert Smith erinnert. Die Songs der Shout out Louds lehnen sich ein bisschen an The Cures "Boys Don't Cry" an. Da ploppen die Töne des Keyboards fröhlich auf, und das Schlagzeug treibt den Song angenehm vor sich her. Die Textzeilen sind indes bei beiden oft nicht so fröhlich wie der Sound. Während man bei den Shout out Louds die spritzigen Percussiontöne mitsummt, vergisst man geradezu dass der Song "Tonight I Have To Leave It" von einer unerwiderten Liebe handelt. "Why don't you give love?", fragt Olenius - die Fans können das bei der mitreißenden Musik der Stockholmer wohl genauso wenig nachvollziehen wie der Sänger.

Neben Indie- und Elektrogrößen durften sich auf dem Puls Open Air aber auch Nachwuchskünstler vorstellen. Als die Band Giant Rooks im Jahr 2015 ihre erste EP veröffentlichte, gingen einige Mitglieder noch zur Schule. Davon ahnt man wenig, als man sie am Freitagnachmittag auf der "Pyramidenbühne" mit großer Stimm- und Spielkraft rocken sieht. "Die sind wirklich gut", kommentiert ein Zuschauer das Konzert der Jungs aus Nordrhein-Westfalen. Er und viele andere verlangen dann nach dem Auftritt auch lauthals eine Zugabe. Als Sohn Sonntagnacht die letzten Töne ihrer Zugabe spielen, endet das "Puls Open Air" für dieses Jahr. Zum Glück können sich die Fans bereits Tickets für 2018 kaufen.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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