Pop:Versace für die Ohren

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Wenn aus Posterboys der achtziger Jahre Märchenonkel werden: "Duran Duran" arbeiten am eigenen Mythos. Und bringen nebenbei ein neues Album raus.

Von Joachim Hentschel

Giorgio Armani, Gianni Versace, Karl Lagerfeld, Jean-Paul Gaultier, Azzedine Alaia, Claude Montana, Thierry Mugler, Yohji Yamamoto, Comme Des Garçons: Diese Liste diktiert Nicholas Bates ungefragt, ohne nachzudenken und ohne einmal Luft zu holen: Modedesigner, die in den achtziger Jahren aufgestiegen sind. Zum Beweis, was für eine stilverwöhnte Zeit das doch war. "Klar gibt es auch heute noch kreative Leute, aber viel weniger als damals."

Armani forever

Mal ganz erfrischend, mit einem Epochenzeugen zu sprechen, der von der Gegenwart offenbar so wenig mitbekommen hat wie vom Nato-Doppelbeschluss und von Tschernobyl. Und nichts von Fruit Of The Loom und Karottenhosen. Stattdessen: Armani forever. Um 1980 hat sich Nicholas Bates den Namen Nick Rhodes gegeben, dann als Synthesizer-Spieler der Pop-Band Duran Duran Millionen verdient und wurde zum Jet-Setter.

Mit Yacht, Loft, Festnetznummern von Foto-Models. Hat 1983 in Südfrankreich einen (kleinen) Picasso mit der American-Express-Karte gekauft und sah, im Nachhinein betrachtet, in Versace und Gaultier genau so bescheuert aus wie die Abiturienten von damals auf den alten Agfa-Ritsch-Ratsch-Partyfotos.

Dass Nick Rhodes mit Duran Duran eine neue Platte gemacht hat, ist nicht entscheidend. Er ist eh immer dabei geblieben. Entscheidend ist: Duran Duran haben sich wieder zum Original gemacht, nach 18 Jahren. Zwischenzeitlich bestand die Band nur noch aus zweien der fünf Gründungsmitglieder. Es war der natürliche Lauf langsamen Verwelkens, aus dem Bandnamen wurde ein etwas angegilbtes Label mit mehr Vergangenheit als Zukunft. Wenn man so will: Versace.

Hoffnungsloser Autoradiotrash

Heute also wird die erste Single der wieder originalen Duran Duran veröffentlicht, sie heißt "Sunrise". In zwei Wochen folgt das neue, elfte Album "Astronaut". Es nützt alles nichts: Das ist hoffnungsloser Autoradio-Trash.

Interessant aber ist, wie Duran Duran einen Begriff vom Original für die Popmusik einklagen. Der allerdings ist der Warenwelt entlehnt. Und zwar wortwörtlich. Es spricht Nick Rhodes: "Die Leute wollen das Original." Es folgt Sänger Simon Le Bon: "Ich will das auch!" Denn: "Wir können doch ehrlich sein - es hat nie mehr so richtig Spaß gemacht, als die ersten zwei gegangen waren. Als ob wir unsere Unschuld verloren hätten." Die Besetzung dient als Originalitätsnachweis (wie Adidas: original nur mit drei Streifen) und rückwirkendes Unschuldskonstrukt - und ganz nebenbei urteilt der Künstler Le Bon da die letzten 18 Jahre seines Schaffens ab.

Aber was wollen Duran Duran mit dem Begriff Original? Duran Duran, so trivialtypische Achtziger-Popper, dass sich jeder an ein Poster und die Videos von ihnen erinnert - und fast niemand an die Musik. Wie hießen die Lieder noch mal? "Girls On Film", für das sie als ganz junge Band einen Clip drehten, in dem halbnackte Mädchen, Verzeihung Girls, einen Schlamm-Boxkampf aufführten - weil Videos 1980 eh nicht im Fernsehen liefen, sondern in Nachtclubs.

"Hungry Like The Wolf", das in Sri Lanka verfilmt wurde, weil es 1982 in den USA schon MTV gab und klar war, dass ein so aufwändiges Video zehn Mal am Tag gezeigt würde. "Wild Boys" 1984 - da kämpften sie gegen Monster und darum, wer das teuerste Video der Musikgeschichte drehen würde. Duran Duran waren in ihrer großen Zeit vor allem Schauspieler und also eigentlich nichts, was man als Original verkaufen kann.

Big in Japan

Dann kam Tokio, vorletzten Sommer: Aus unterschiedlichen Landsitzen eilig zusammengetrommelt, spielten alle Ur-Mitglieder von Duran Duran das erste gemeinsame Konzert seit dem berühmten "Live Aid"-Festival im Jahr 1985. "Bei ,Live Aid' war ich bis unter die Ohren voll mit Koks", sagt Bassist John Taylor heute über den in alle Welt übertragenen Spendenmarathon. Wie man halt über alte Streiche kichert. Man hat ihnen die Schulden für den Exzess an den Hals gewünscht - gezahlt aber haben sie noch nicht. John Taylor, Nick Rhodes und Sänger Simon Le Bon, der langjährige Kern der Band, sehen in ihren Vierzigern hinterhältig jung aus.

Sie haben einfach ihre ursprünglichen Pläne fürs Alterswerk umgeschmissen, als Gitarrist Andy Taylor und Schlagzeuger Roger Taylor vor einem Jahr zurückkamen und auf der Rückkehr-Tournee durch Japan, die USA und Großbritannien fast nur Lieder aus den fünf frühen Jahren spielten, in denen die Gruppe in der Zusammensetzung bestand. Eine Achtziger-Bierzelt-Parade in ausverkauften Stadien war das. Sex lag in der Luft, der Sex der Fortysomethings.

In seinem Buch über den Sänger Boy George und seine Band Culture Club, damals Duran Durans Rivalen ums gleiche Publikum, beschrieb der englische Journalist Dave Rimmer 1985 die Unterhaltung mit einer Friseurin aus Hicktown, Ohio. Alle ihre Freunde hätten Boy George gehört, sagte sie, bis - ja, bis er sich die Haare abgeschnitten hätte. Kann das wahr sein, war das damals wirklich so? Es war so. Der Autor nannte das kleine Werk kulturpessimistisch "Like Punk Never Happened". Beim schieren Anblick des Buches haut Simon Le Bon wütend auf den Interviewtisch.

"Der größte Haufen Mist, den ich je gelesen habe! Die ganze Ausgangsthese ist Quatsch. Er tut so, als ob Punk eine ungeheuer moralische Sache war, bei der es nur um die reine Kunst ging. Und als ob dann wir gekommen wären, glamourös und modisch, und das alles kaputtgemacht hätten. So ein Dreck. Punk selbst war die größte Stil- und Modewelle, die je über die Medien geschwappt ist."

Die große Reproduktion

Ach ja, die Punks: Armani konnten die nicht bezahlen. Aber dafür hatten sie schon damals ihre eigene, gut erfundene Erzählung, um die Duran Duran sie so beneidet haben, dass Nick Rhodes vor zwei Jahren die Vor- und Frühgeschichte der Band vertont und festgeschrieben hat, apokryphe Lieder aus der Zeit mit Sänger Stephen Duffy, der mittlerweile für Robbie Williams komponiert.

Jetzt also die große Reproduktion mit den leicht gealterten Original-Mitgliedern. Sie erzählen von früher, aber wissen nicht recht was, weil ja alles schon mal irgendwo zu lesen war.

"Gestern habe ich eines der ,Live Aid'-Fotos von uns gesehen", sagt Rhodes, plötzlich ganz ernst, während die anderen zwei laut über Kokain und Gedächtnislücken lachen. "Dieses Foto - wir sehen so glücklich darauf aus. Seit ich das gesehen habe, denke ich mir: Vielleicht täuscht mich meine Erinnerung, vielleicht war es ja doch nicht so schlimm."

© SZ vom 20.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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