Pop-Clownereien in der Geschichte:Scheiße aussehen über die Jahre

Lesezeit: 6 min

Väter der Popklamotte: Einige Epochen der populären Kultur sehen Jahrzehnte später einfach lächerlich aus - andere nicht. Wieso eigentlich?

Dirk Peitz

Oh Gott, ja, die Haare. Also, nicht dass die Klamotten nicht auch etwas...nun...stinkig aussehen würden. So geht einem das ja manchmal, wenn man Fotos anschaut und sich der Anblick von Menschen darauf gleich übersetzt in einen anderen Sinneseindruck. Zum Beispiel eben in Geruch. Oder in ein Anfassgefühl, so als könne man vom bloßen Hinschauen schon spüren, wie sich bestimmte Stoffe auf der Haut anfühlen müssen. Diese Kleider also - knallenge Satin-Overalls, knallbunte Polyesterhemden, absurd verzierte Nietenlederjacken, T-Shirts mit grrrrimmigen Tigerköpfen darauf - sehen nach einer Geruchsmischung aus süßlichen Schweißresten aus, die unauswaschbar in den Kunststoffporen kleben, leicht ranzig-mottenpulverigem Eichenkleiderschrankmief und dem bereits etwas talgigen, bald verwehten Duft eines Old-School-Herren-After-Shaves am Nachmittag. Das Anfassgefühl: teilweise unangenehm rau, teilweise unangenehm kühl, künstlich jedenfalls, verbunden mit einem elektrostatischen Nachknistern, das einem in den Fingern ziept. Die Haare hingegen, meist zu so genannten Mullets frisiert, vulgo Vokuhilas, schauen nach Omas strengem Haarspraygeruch aus. Also auch etwas mottenpulverig.

Nicht aus Köln, sondern aus Großbritannien, einer Nation, die eins die Weltmeere dominierte: Die Kempen der Popgruppe Slade aus dem 70er Jahren. (Foto: N/A)

Wie das alles zusammen wirkt - lächerlich. Die Bilder hat der deutsche Fotograf Wolfgang Heilemann gemacht, sie zeigen die britische Popgruppe The Sweet in den Jahren 1971 bis 1978 und wurden kürzlich in einem prächtigen Band vom Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf wiederveröffentlicht. Doch allem schönen Druck und kostbaren Einband, allen zwischenzeitlichen 70er-Jahre-Revivals in Mode und Musik zum Trotz, bleibt es dabei: Die vier jungen Herren auf Heilemanns Fotos sind und bleiben lächerlich, unrettbar stillos. Wobei das schon fast die Kernfrage ist: Was ist eigentlich lächerlich? Denn Lächerlichkeit ist ja kein feststehendes Kriterium, sondern ein subjektives, dem Zeitenwandel ausgeliefertes. Man könnte sagen: Lächerlichkeit definiert sich in der Betrachterperspektive, und die entsteht, ganz grob gesprochen, aus einer individuellen kulturellen Prägung, die mit den jeweilig herrschenden gegenwärtigen Vorstellungen von Schönheit abgeglichen wird. Es ist also nicht nur vorstellbar, sondern höchstwahrscheinlich, dass im Jahr 1972 eine größere Menge von Menschen, mutmaßlich eher jüngere, die vier Leute auf diesen Fotos schön fanden. Auch wenn man sich das heute wirklich nicht mehr vorstellen kann.

The Sweet waren das, was man eine Posterband nannte, weil ihre Konterfeis, auf dünnes, schlechtes, schnell reißendes Papier gedruckt, einmal die Zimmer unzähliger Teenager schmückten. Sie standen damit in einer in den sechziger Jahren erstmals massenwirksam aufgekommenen Tradition der Kinderzimmerdekorierung. Und wie in deren Frühzeit gab es auch da noch eine zweite Band, die ebenfalls mit ihren Postern übers Kinderbettchen wollte, die Bay City Rollers. Plattenindustrie und Jugendmedien hatten den für alle Beteiligten äußerst verkaufsfördernden Mechanismus angeblich widerstreitender Lebensentwürfe, die sich mit der Entscheidung für eine der Gruppen verbinden sollte, schon in der Inszenierung der vermeintlichen Gegensätze zwischen den Beatles und den Rolling Stones ausprobiert. Wobei sich bereits da über die Zeit bewiesen hatte, dass die Unterschiede eben nie so groß waren, wie sie gern behauptet wurden, auch die äußerlichen nicht. Die Bay City Rollers zum Beispiel waren genauso geschmacklos gekleidet wie The Sweet, und etwas anderes als Spaß versprachen sie auch nicht.

Nur echt mit dem abgewinkelten Tösschen: Frankieboy zudem mit Ralleystreifen am Hut. (Foto: N/A)

Die Tendenz zur Lächerlichkeit setzte sich pophistorisch fort, ebenso der Versuch der jeweils Beteiligten, sich nach einer vermeintlichen Frühphase modischer und musikalischer Fauxpas von all den ästhetischen Fehltritten lautstark zu distanzieren. Duran Duran vs. Wham!, Take That vs. East 17, Backstreet Boys vs. N'Sync (die bezeichnenderweise schon aus dem selben Produzentenstall stammten) - eigentlich alle großen Posterduelle zeichnen sich im Rückblick durch das monströse Aussehen und Verkleidungsverhalten ihrer Protagonisten mindestens zu Beginn der Auseinandersetzung aus. Und nur weil Tokio Hotel noch keinen Widerpart besitzen, heißt das ja nicht, dass deren Bandmitglieder in ihrem Pseudo-Goth-Styling nicht komplett bescheuert ausschauen würden.

Nun könnte man annehmen, dass es sich dabei allein um ein ästhetisches Spezifikum der Jugendkultur handele, für die solche Duelle inszeniert und von Industriestylisten absichtlich lächerlich ausgestattet werden. Demnach würden jugendliche Pubertierende schon aus Prinzip alles mögen, was ihre Eltern grauenhaft finden, und Geschmacksbildung wäre nur ein Lernprozess, der zum Erwachsenwerden dazugehört. Ist nicht ganz falsch, aber eben nur die halbe Wahrheit. Warum nämlich wurden die Bilder der Rolling Stones aus den sechziger Jahren zu Ikonen der Coolness, während man die Outfits und Haartrachten, mit denen die Herrschaften sich seit Beginn der siebziger Jahre bis heute öffentlich zeigen, größtenteils lieber übersehen möchte?

Einerseits hat eine heute so traurig ausschauende Figur wie Mick Jagger den üblichen Weg des Posterprotagonisten weg vom Lächerlichen, hin zum Geschmackvollen umgekehrt beschritten. Als Zeichen nämlich einer vermeintlichen Widerständigkeit, die zur ganz alten Rockmythologie gehört und als deren größter Travestiekünstler Jagger leider mit seiner schlecht verkleideten Band auch in diesem Jahr wieder welttourt. Andererseits hatten die Rolling Stones eigentlich verdammtes Glück: Sie wurden in dem einen Jahrzehnt groß, das als einziges im letzten halben Jahrhundert als eines gilt, das im Grunde keinerlei Geschmacklosigkeiten produziert hat. Sondern nichts als bleibende Coolness.

Insofern ist die Annahme, jede Zeit schaffe ihre eigenen Vorstellungen vom Schönen, möglicherweise gar nicht unbedingt richtig. Sondern dass es so etwas wie ewige Werte auch in Kleidung und Haarmode gibt. Man muss sich nur die Bilder anschauen, die bis heute (männlichen) Stil definieren. Steve McQueen in engen weißen Hosen und einem abgesteppten Blouson, 1963 von William Claxton in McQueens Jaguar XKSS während brausender Fahrt auf dem Mullholland Drive fotografiert: unsterblich. Der große Coolness-Macher Claxton, der vorher schon den Jazz mit seiner Kameralinse tiefgefroren hatte, nannte McQueen später "superhip", was sozusagen die doppelte Steigerung von cool bedeuten sollte.

Oder, das selbe Bildsujet: Sean Connery im Sommer 1964 während der Dreharbeiten zu "Goldfinger" in schmal und gerade geschnittener Cavalry-Twill-Hose, Tweed-Sakko und Wildlederstiefeln, an einen Aston Martin DB5 gelehnt, vor einem Schweizer Alpenpanorama: brutalstmögliche Glätte, ein ironisches Lächeln spielt um die Mundwinkel. Dieser Mann ist zugleich völlig entspannt und zu allem bereit, und obwohl man später erfuhr, das Connery schon zu jener Zeit Haarteile trug: Cooler geht es eigentlich nicht. Oder Frank Sinatra, Anfang, Mitte der sechziger Jahre, wie er in einem Studio in Los Angeles Musikaufnahmen macht, einen Hut schräg aufgesetzt, den Krawattenknoten gelockert: der größtanzunehmende Comeback-Star in seinen erfolgreichen mittleren Jahren, der es den verdammten Beatles noch mal zeigt.

Es war kein Zufall, dass Robbie Williams für sein Album "Swing When You're Winning" 2001 genau diese Fotos und keine anderen mit sich in der Sinatra-Rolle nachstellen ließ, und es ist auch kein Zufall, dass Williams Connerys Mienenspiel bis in die feinsten Nuancen imitieren kann und bereits früh in seiner Solokarriere die Bond-Mythologie musikalisch und in Videos anzapfte. Die gesamte Coolness der Figur Robbie Williams ist eine von historischen Vorbildern aus den sechziger Jahren geborgte, ein antrainiertes Sammelsurium aus gestischen, mimischen, modischen, musikalischen Zitaten. Der einstige Take-That-Posterboy fand im Baukasten der nachgelassenen Sixties-Coolness zu sich selbst, dem Star als Mischwesen aus authentischer Selbstdarstellung und synthetischer Herstellung. Selbst für die eigene Lächerlichmachung brauchte er das Zitat: Da ließ er sich in einem Video auf Kiss schminken und einkleiden, die, na klar, dafür aus der stinkenden Mottenkiste der siebziger Jahre hervorgeholt werden mussten.

Tatsächlich hat dieses Jahrzehnt der Lächerlichkeiten kaum bleibende Zeichen der Coolness hinterlassen, und wenn, dann waren sie bereits Zitate der Vergangenheit. Robert Redford in der Verfilmung des "Großen Gatsby", Bryan Ferry von Roxy Music im weißen Smoking vor einem Swimming Pool, auf dem Cover seines auch nicht zufällig "Another Time, Another Place" betitelten Coverversionen-Soloalbums von 1974, David Bowie in seinen Figuren des Soulboys aus "Young Americans" und des Thin White Duke. Während Ferry eine Art Stilvorbild der Yuppie-Ära in den achtziger Jahren wurde, war Bowie das Bindeglied zwischen den beiden ästhetisch gleich miserabel beleumundeten Jahrzehnten. Bowie war das Fashion-Idol der New-Romantic-Szene der frühen achtziger Jahre, der bis heute wohl exzentrischsten Verkleidungswelle der Popkultur. Zugleich bediente er sich ihrer: Für den Videodreh zu "Ashes To Ashes" engagierte Bowie 1980 den damaligen Türsteher und Clubmacher der New-Romantic-Urläden "Billy's" in Soho und "Blitz" in Covent Garden, Steve Strange, der selbst eine Art Londoner Untergrundmode-Ikone war. Das Pierrot-Kostüm, das Bowie in dem Clip trug, glich haargenau jenem, das Strange als eines der typischen New-Romantic-Ausgeh-Outfits etabliert hatte.

Diese Selbstlächerlichmachung nun war allerdings grundverschieden von der unfreiwilligen Lächerlichkeit einer Band wie The Sweet: Sie war eine bewusste, subversiv gedachte, sich selbst in der Nachfolge des Dandytums, ja von Wilde und Baudelaire begreifende Exzentrik, eine demonstrative Normverletzung, wie sie in ganz unterschiedlichen Schattierungen und mit ganz unterschiedlichen Motiven vorher und nachher etwa auch in der schwulen wie der afroamerikanischen Popkultur vorkam. Cool aber sind solche Formen der ästhetischen Widerständigkeit immer nur für ihre eigene Zeit. Ihre Haltbarkeit ist je kürzer, desto exzentrischer sie sich zum langfristig als normal Geltenden verhalten. Die exzessive Abweichung von allem Klassischen, die man in den Farben der siebziger und den Körpersilhouetten der achtziger Jahre mit ihren überbreiten Schultern und extremen Karottenhosenformen sieht, konnten selbst die revivalwütigen und retroseligen neunziger Jahre nicht massenwirksam in den Warenkreislauf des allgemein ästhetisch Akzeptierten rückeinspeisen.

Stil und Geschmack aber, wie sie im Vorbild der Sechziger eingefroren scheinen, sind heute die Norm einer Welt, die vor allem um Unauffälligkeit bemüht ist in dem, was sie demonstrativ nicht zur Schau trägt. Die ursprüngliche Coolness - oder das, was wir heute dafür halten - wurde also im Grunde durch das Streben nach ihr abgeschafft. Sie verlor sich im allerletzten Detail, sozusagen an der Unterseite eines versteckten Manschettenknopfes und in der nicht mehr sichtbaren Exzellenz einer Stoffverarbeitung. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach etwas, was es eigentlich nicht gibt: dem Unterschied zwischen normal und cool, den man nicht mehr erkennt, weil das Coole zum Verrecken nicht auffallen will. Vielleicht also brauchen wir zur Abwechslung dringend mal wieder etwas wirklich Lächerliches auf dieser Welt. Die Frisur des Tokio-Hotel-Sängers ist da schon mal ein guter Anfang.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: