Pop: Alison Goldfrapps "Seventh Tree":Ist der Ruf erst ruiniert

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Das Image wiegt schwerer als die Musik: Alison Goldfrapp macht vor, wie man sich als weiblicher Popstar gegen den Echtheitswahn der Branche behauptet.

Jens-Christian Rabe

Es ist nicht leicht, ein Popstar zu sein. Ein guter, richtiger, wichtiger weiblicher Popstar zu sein - das ist sogar richtig schwer. Die Musik ist ja nur das eine. Das leichtere. Denn wahrscheinlich hat es noch nie so viele so versierte Pop-Produzenten gegeben, die irgendwo auf der Welt herumsitzen und nur darauf warten, ein Album passgenau auf der Höhe der musikalischen Zeit in die Charts zu nähen.

Alison Goldfrapp rebelliert gegen das Pop-Klischee eines blonden Mauerblümchens. (Foto: Foto: AP)

Oder vielmehr: nicht nur zu warten, sondern das dann eben auch hinzubekommen. Das nötige Studio-Equipment war noch nie so billig zu haben. Ein, zwei tausend Euro reichen völlig. Die Timbalands, Rick Rubins, Missy Elliotts oder Neptunes dieser Welt sind alles andere als die einsamen Monolithen des Geschäfts. Das von einer Schar weitgehend Namenloser produzierte aktuelle Album Kylie Minogues, "X", ist nur der jüngste Beweis.

Die Musik ist also nicht das Problem für einen weiblichen Popsänger. Eher schon all das, was man eben sein und tun, genauer, was man nicht tun und nicht sein darf als Star der populären Musik. "It's the singer not the song", lautet eine der ältesten Popweisheiten - das Lied ist zweitrangig, es kommt darauf an, wer es singt. Der Gesang dieses Sängers, der Sängerin allerdings - man darf sich da nicht auf die falsche Fährte locken lassen - spielt dabei auch nur eine untergeordnete Rolle.

Seitdem Cher Ende der neunziger Jahre mit dem Song "Believe" einen weltweiten Nummer-1-Hit hatte, dürfte jedem klar sein, was technisch möglich ist: Zu hören ist in dem Lied eine Stimme, die einmal Chers Stimme gewesen sein soll, die jetzt allerdings seltsam metallisch klingt und sich ständig überschlägt.

Der Klang ist das Ergebnis der extremen Übersteuerung eines Effekts names "Auto-Tune", der für die sogenannte Tonhöhenkorrektur zuständig ist. Mit anderen Worten: Er ist dafür zuständig, die falschen Töne eines Gesangsparts elektronisch zu richtigen zu machen. Die Karrieren der "Sängerinnen" Britney Spears, Madonna oder eben Kylie Minogue wären ohne solche Hilfsmittel kaum möglich gewesen. Alle diese Stars gelten stimmlich und gesangstechnisch als eher limitiert.

Anti-authentische Artikulation von Weiblichkeit

Aber das ist eben genau nicht der Punkt. Der Punkt ist: Ein guter, richtiger, wichtiger weiblicher Popstar zu sein, das ist heute (wie im Grunde zu allen Zeiten) natürlich in erster Linie ein Stilproblem. Damit wären wir bei der Londoner Sängerin Alison Goldfrapp, deren neues, viertes Album "Seventh Tree" soeben erschienen ist.

Bekannt wurden Goldfrapp - das Duo komplettiert der Keyboarder und Filmkomponist Will Gregory - mit ihrem im Jahr 2000 erschienen Debütalbum "Felt Mountain". Kommerziell war es ein Flop, aber es gab gar nicht wenige, die das Sphärische, Filmmusikartige dieses elektronischen Mainstream-Pops mochten, die trägen, beim Trip-Hop geborgten Beats und den heiser-gehauchten Gesang. Andere hielten es für schlechtere Fahrstuhlmusik.

Aber dann war da noch die Sängerin. Sehr blond, sehr hübsch und sehr erwachsen. In den Videos sah Alison Goldfrapp jeden Moment so in die Kamera, als wüsste sie schon allein deshalb genau, was sie da tat, weil sie sich alles selbst ausgedacht hatte. Es schien also im Mainstream-Pop etwas auf, was der Theoretiker Diedrich Diederichsen ein Jahr zuvor in seinem Buch "Der lange Weg nach Mitte" als bislang ungelöste Aufgabe adressiert hatte: eine "Selbstverständlichkeit in der popkulturellen Artikulation von Frauen".

Diese Selbstverständlichkeit wird aber gerade nicht authentisch verstanden - nämlich als vermeintlich emanzipierte moderne weibliche Verhaltensnorm (freches spaßorientiertes antifeministisches Selbstbewusstsein), wie der einst von der Zeitschrift Spex Anfang der neunziger Jahre erfundene Begriff des "Girlisms" schrägerweise aufgegriffen worden war - sondern im Gegenteil: anti-authentisch. Als Begriff für künstlerische "Tricks, Ästhetiken und Strategien" gegen die strengen und im Kern nur männliche Phantasien reflektierenden Rollenvorgaben für Frauen in der Popmusik: Mauerblümchen, blonder Engel, Diva, Femme fatale.

Neue Generation der Pop-Frau

Alison Goldfrapp bittet Journalisten, die mit ihr über die Bedeutung des Visuellen für das Projekt Goldfrapp reden wollen, freundlich, sich unbedingt das neue Video anzusehen. Ihre Augen versteckt sie dabei hinter einer großen Sonnenbrille. Für das unkontrollierbare Spiel, halb gewollt, halb ungewollt Leben und Werk einfach ineinander fallen zu lassen, an dem Britney Spears und Amy Winehouse im Moment zugrunde gehen, für dieses Spiel ist Alison Goldfrapp gerade nicht zu haben. Genauso wenig wie für die triste Art informierter Sexyness, mit der zuletzt die potugiesischstämmige kanadische Sängerin Nelly Furtado die Charts dominierte. In deren Hit "Promiscuous" (Promisk) wird zuerst tatsächlich ein Rollenwandel angedeutet, bevor es doch zum Knicks kommt: "I'm a big girl I can handle myself / But if I get lonely I'm gonna need your help"- "Ich bin ein großes Mädchen, ich finde mich allein zurecht / Aber wenn ich einsam bin, werde ich deine Hilfe brauchen."

Annie Lennox, die eine Hälfte der Eurythmics, die in den achtziger Jahren das freie Spiel mit den Geschlechterrollen gegen alle damaligen Selbstverständlichkeiten so weit trieb, dass der Musiksender MTV angeblich ihre Geburtsurkunde sehen wollte, um sicher sein zu können, dass sie eine Frau sei - Annie Lennox hat deshalb natürlich recht mit ihrem Kommentar zur neuen Generation der Pop-Frauen: "Es sind einige wirklich kluge Frauen im Geschäft, aber der Konsens ist immer noch, dass man sich prostituieren muss." Und ebenso hat sie unrecht, denn Alison Goldfrapp ist längst nicht mehr allein.

Mit Leslie Feist etwa oder Róisín Murphy sind ihr Künstlerinnen erfolgreich gefolgt, die sich genauso wenig dem grassierenden Authentizitätszwang beugen, die wissen und sich selbst ausgedacht haben, was sie tun. Den Vergleich mit Madonna, der künstlichen Überfrau des Pop, handeln sie sich deshalb alle ein, Alison Goldfrapp sogar ganz besonders, seitdem Madonna 2005 "Supernature", das Elektro-Disco-Album des Duos, zu ihrem Lieblingsalbum erkor.

Der Image-Ruin

Tatsächlich sieht die Sängerin im Video zum grandios hohl stampfenden Disco-Boogie "Ooh La La", der in den USA sogar bis auf den ersten Platz der Single-Charts kam, der Neunziger-Jahre-Domina-Madonna verblüffend ähnlich, vom schwarzen Body mit absurd weitem Schlag, über die blonden Locken bis zu einzelnen Tanzbewegungen. Aber es ist natürlich den einen Tick smarter als das Original, der den Unterschied macht zwischen dem Alten und dem Neuen im Pop. "Wir erfinden keine Menschen", sagt Goldfrapp, "wir dramatisieren unsere Musik." Und so wurde aus Madonna in der Zeit von Goldfrapp: "Oldfrapp".

Noch älter sah die ehrgeizige Amerikanerin nur aus, als Alison Goldfrapp kürzlich mit ein paar Sätzen erklärte, warum das neue Album ein so überraschend ruhiges geworden ist, das akustische Gitarren und Streicherflächen prägen; warum sie sich im Video zur ersten Single "A&E" im Wald von Laubmenschen umtanzen lässt, während sie, blondgelockt, ein blütenweißes Unterhemd trägt; und warum trotz all dem eine morbidere Visualisierung des Songs nicht denkbar ist: "Alle Augen waren (nach dem Erfolg des Disco-Albums Supernature) auf mich gerichtet und erwarteten eine Frau, die mit meterhohen Absätzen und all dem Flatterkram über die Hauptstraße stolziert und schreit: Hallo, hier bin ich! Mir wurde angedichtet, diese Bühnenpersönlichkeit, das sei ich selbst. Das ging mir irgendwann auf die Nerven. Immer nur dieses eine Bild von mir: dieses Monster, diese verdammte Schlampe."

Es kann kein Zufall sein, dass Goldfrapp damit einverstanden waren, dass "Ooh La La" der Song ist zur aktuellen Werbekampagne der Unterhaltungselektronik-Kette Saturn. Wer genau weiß, was er tut, der weiß auch: Gründlicher kann man ein Image nicht ruinieren.

© SZaW vom 23./24.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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