Philipp der Schöne:Der Mann, den die Frauen liebten

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Ladykiller Philipp der Schöne: Die Karriere des Märchenprinzen und Schürzenjägers nahm einen merkwürdigen Verlauf.

Manfred Schwarz

Manche Irrfahrten enden nicht mit dem Tod. Die des burgundischen Herzogs Philipp des Schönen ging weit darüber hinaus. Erst als sein Leben zu Ende war, wurde dieser Mann, der so hübsch war und elegant, so liebenswürdig und charmant wie kein anderer Fürst seines Zeitalters, zur Hauptfigur in einem bizarren Schauermärchen.

In seinem allzu kurzen, allzu unruhigen Leben hat Philipp wohl nichts so geliebt wie den Tanz, die Jagd und das Spiel, das farbenprunkende Ritterturnier und das höfische Fest; die sorglose Kurzweil, das unbeschwerte Plaisir.

Als Leiche jedoch, einbalsamiert und eingesargt, fern der Heimat und jeglichen Glanzes, führen ihn die Wege kreuz und quer durch die menschenleere kastilische Hochebene: Irrwege, diktiert von den aberwitzigen Launen des Schicksals und von den ebenso rätselhaften wie zutiefst sinistren Stimmungen seiner Witwe, Donna Juana von Kastilien.

Die Ritter, die feschen Kavaliere und frivolen Damen sind längst aus seinem Gefolge verschwunden. Auf seinem jahrelangen Geisterzug durch das ihm stets fremde und verhasste Land begleitet Philipp nur noch Mönchsgesang und Fackellicht - und das stumme Entsetzen des kleinen Hofstaats, den die Witwe noch um sich duldet.

Denn diese Wege ohne Ziel und ohne Sinn werden nur des Nachts zurückgelegt. Als sei es nicht gespenstisch genug, die Leiche eines Fürsten ruhelos durch die Lande zu schleppen, besteht Donna Juana auch darauf, das Tageslicht und die großen Straßen zu meiden: Es gezieme sich so für eine Witwe, deren Sonne mit dem Tod ihres Mannes für immer verloschen sei.

Dabei ist Juana doch eigentlich die Königin dieses Landes, durch das sie nun in kalten Winternächten vagabundiert; zumindest die Krone von Kastilien steht ihr rechtmäßig zu. Die Cortes, die Stände von Kastilien, haben ihr als Herrscherin gehuldigt, ebenso wie ihrem Mann. Deshalb ja war er in dieses Land gereist, trotz seines Widerwillens und lauernder Gefahren: Philipp der Schöne, der Erzherzog von Österreich und Herzog von Burgund, der geschickteste Jäger und vortrefflichste Ballspieler des Brüsseler Hofes, war hierher gekommen, um die Herrschaft anzutreten.

Eine atemraubende Kette von unkalkulierbaren Wechselfällen in den Geschicken der europäischen Fürstenhäuser um 1500 hatte es so weit kommen lassen, dass er, gerade er, der schöne und junge, leichtsinnige und lebenslustige Fürst Philipp aus den niederen Landen plötzlich die Hand nach einem Weltreich ausstrecken konnte.

Jede Nacht ein anderes Weib

Schwindelerregende Aussichten: dem Sohn aus der ebenso kurzen wie furiosen Ehe zwischen der früh verstorbenen Maria von Burgund und dem Hasardeur Maximilian von Habsburg öffnet sich jäh der Weg zu einem gewaltigen Herrschaftsbereich, der sich quer durch Europa und bis hin nach Amerika erstrecken würde - vom immer noch überreichen Reste Burgunds, den er geerbt hat und der im Kern dem heutigen Benelux-Raum entspricht, bis zu den spanischen Königreichen Kastilien und Aragon, mitsamt den Ländern in der Neuen Welt, die spanische Konquistadoren gerade zu erobern beginnen.

Als Nachfolger seines Vaters scheint ihm überdies die Krone des römischen Königs, das Kaisertum gewiss. Dabei hätte ihm, den die Staatsgeschäfte vor allem langweilten, die Aufmerksamkeit der Damen jederzeit ausgereicht. Und die fiel ihm nicht minder mühelos zu als die Aussicht auf ein Weltreich.

Jede Nacht, so empörten sich unentwegt die auswärtigen Gesandten am Hof in Brüssel, liege Philipp bei einem anderen Weib - er sei ein Sklave seiner Lüste und "in gewissen Trieben seines Körpers unersättlich". Nun, nach allem was wir wissen, und zumindest in diesem einen Punkt stimmen die Äußerungen der Zeitgenossen wirklich überein, hat er die Freuden der Liebe wirklich ausgiebig genossen.

Wer da die Nase rümpfte, war vor allem neidisch; denn ihm, Philipp, fielen jene Freuden offenbar mühelos zu, als glänzendem Mittelpunkt eines so glänzenden wie leichtlebigen Hofes, der für seinen Prunk, für seine hochgestimmten Festlichkeiten ebenso berühmt war wie für sein lockeres Liebesleben. Und - so der Humanist Petrus Martyr - nicht einmal die finstersten spanischen Gesandten mochten bestreiten, dass dieser ausgesprochen wohlgestaltete und überdies ungewöhnlich leutselige Jüngling alles im Überfluss besaß, "wovon Frauen nur träumen können".

Von vornherein war der junge Herzog ja nicht zum Monarchen erzogen worden, sondern lediglich zum burgundischen Ritter und Lokalfürsten - mit anderen Worten: zum Glänzen. Um die Staatsgeschäfte kümmerten sich seine Räte. Und sie taten dies geschickt: Erstmals seit vielen Jahrzehnten herrschte Frieden in den burgundischen Niederlanden.

Seitdem er 1494, gerade sechzehnjährig, die Herrschaft angetreten hatte, war Philipp beliebt beim Volk wie lange kein Herrscher mehr vor ihm: Er galt, Seigneur naturel, als wahrer Sohn des Landes, und er lässt eine betont "nationale", an den Interessen der burgundischen Niederlande ausgerichtete Politik betreiben. Große Hoffnungen verknüpfen sich mit ihm, dem ersten, wie Henri Pirenne betonte, wirklich volkstümlichen, einheimischen Fürsten dieses Landes. Aber diese Hoffnungen enden auch mit ihm. Enden auf den Feldwegen Kastiliens, wo eine makabre Prozession des Nachts mit seinem Sarg umherzieht, begleitet von Mönchsgesang und Fackellicht. Was aber hat den burgundischen Ladykiller, den eleganten Lebemann überhaupt in die kastilische Ödnis verschlagen?

Mit einer Hochzeit nahm das Unglück seinen Verlauf - mit einer Hochzeit, die "im Himmel gestiftet wurde", wie in seinem unseligen Übermut Maximilian I. anfangs meinte, und einer Reihe unvorhersehbarer Todesfälle.

Die Doppelhochzeit von 1496, die das Haus Habsburg mit den Katholischen Königen von Spanien verband, war fraglos ein politischer Sensationscoup - ein welthistorisches Ereignis von größter Tragweite, das die Rollen auf der politischen Bühne Europas vollkommen neu verteilte.

Aber niemand, weder der höchst besorgte französische König, noch der überschwängliche Maximilian oder die in allen Intrigen gewieften katholischen Könige von Spanien, Isabella und Ferdinand, konnte den Verlauf voraussehen, den die Ereignisse schließlich nahmen: Dass innerhalb weniger Jahre alle potentiellen spanischen Thronfolger sterben, und am Ende, im Jahre 1504, nach dem Tod Isabellas von Kastilien, deren Tochter Donna Juana die Herrschaft anzutreten hatte.

Diese aber ist, infolge eben der Doppelhochzeit von 1496, die Gemahlin Philipps des Schönen, und führt seit Jahren am burgundischen Hof eine zutiefst spanische, also düstere und einsame, geradezu melodramatische Existenz. Ihre Schwermut, ihre Launenhaftigkeit, ihre Wutanfälle und Hungerstreiks sorgen seit längerem für Gesprächsstoff an allen Höfen Europas. Im ebenso eleganten wie legeren Burgund findet man es zumindest überaus unschicklich, dass sich die junge Herzogin - sie zählte keine sechzehn Jahre, als sie dort eintraf - sehr nachlässig kleidet und sich nur ungern wäscht.

Schachfigur der Weltpolitik

Auch für die Eifersuchtsanfälle, mit denen sie auf die Amouren ihres Gemahls reagiert, hat man nur wenig Verständnis hier, wo man es seit alters her gewohnt ist, dass die Zahlen der unehelichen Kinder der Fürsten und der hohen Herren gewöhnlich im zweistelligen Bereich liegen. Feinsäuberlich werden Listen darüber geführt.

Moderne Historiker, vor allem, wenn sie aus Spanien stammen, neigen dazu, Donna Juana als Opfer der derben flämischen Sitten, des oftmals verhangenen Himmels, frivolen Hofes und eines Ehemanns zu sehen, der sie mit grausamer Arglosigkeit behandelte und rücksichtslos als machtpolitisches Instrument missbrauchte.

Nichts davon berichten die zeitgenössischen Quellen; selbst in spanischen Dokumenten, die gewiss keine Sympathien für das Lotterleben am burgundischen Hof verraten, führt man die zunehmend exzentrischen Züge im Verhalten Donna Juanas auf ihre hemmungslos leidenschaftliche Liebe zu Philipp und auf ihre - gewiss berechtigte, jedoch durch keine höfische Contenance gebremste - Eifersucht zurück.

Die dramatischen Verwerfungen im Leben des Paares, die Spannungen und Exaltationen, die Juana in den Wahnsinn treiben und Philipp in einen frühen und traurigen Tod, haben jedoch ihre Ursachen woanders. Sie gründen darin, dass Juana die Krone Kastiliens so unerwartet in den Schoß fällt - und Philipp die damit verbundene Aussicht auf ein universales Reich. Von diesem Moment an waren sie verloren.

Denn Philipp, der sich so bravourös beim Pelota-Spiel, im Ritterkostüm und auf den Tanzböden bewährte, der es verstand, die Frauen zu charmieren und als Ehrengast selbst am französischen Königshof mit seiner Eleganz zu entzücken wusste, war dem großen politischen Ränkespiel nicht gewachsen. Dieser vollendete Kavalier aus dem "Herbst des Mittelalters" (Johan Huizinga), dieser fabelhafte Märchenprinz aus der schönsten und spätesten Blüte des Burgunderreiches wurde von seinen Gegenspielern, vor allem von Ferdinand von Aragon, der sich nicht grundlos das Lob Machiavellis verdiente, hereingelegt wie ein dummer Junge.

Beide, Juana wie Philipp, waren am Ende nichts weiter als Spielfiguren, die auf dem Schachbrett der Machtpolitik hin- und hergeschoben wurden - und zwar von Anfang an, seit man sie zur Ehe bestimmt hatte.

Philipp hat längst ausgespielt, als er im Frühjahr 1506 durch dieses ihm innerlich fremde, ja feindliche Land zieht: ein Getriebener, ein heillos Verwickelter. Immer neue Fäden spinnen Ferdinand von Aragon, der König von Frankreich und MaximilianI. um diesen traurigen Ritter, der an der Spitze eines Landsknechtheeres in Kastilien steht, wo ihm nicht einmal die Turniere, die Feste mehr gefallen.

Selbst auf die hübschen Hoffräulein aus Brüssel muss er hier verzichten: Juana, deren "Wahnsinn" für größte Unruhe sorgt und für stets neue Komplikationen bei der Übernahme der kastilischen Herrschaft, duldet keine Frauen mehr in der fürstlichen Entourage; die dennoch heimlich mitgeführten "Sängerinnen", die sie nach der Ankunft der burgundischen Flotte in Galizien entdeckte, ließ sie umgehend zurück nach Flandern verschiffen. Sie, die neue Königin, kommt ohne eine einzige Dienerin, ohne Hofdamen in Spanien an - ein unerhörter Verstoß gegen das höfische Decorum.

Längst hatte der entnervte Philipp einen ausführlichen Bericht über die Absonderlichkeiten, die Unmöglichkeiten im Verhalten Juanas anfertigen lassen, um auf ihre Regierungsunfähigkeit aufmerksam zu machen. Nun aber benutzt der wesentlich schlauere Ferdinand von Aragon, Juanas Vater, eben diese Vorwürfe, um die Herrschaft über Kastilien an sich zu reißen, was ihm schließlich auch gelingen wird. Und Juana, Johanna die Wahnsinnige, hatte noch in Flandern den heiligen Schwur geleistet, in allem gegen die Absichten und den Willen ihres Mannes zu handeln; allein die "Erfüllung der ehelichen Pflichten" behielt sie sich vor.

Küsse für den stinkenden Toten

So ist sie zum sechsten Mal schwanger, als Philipp in Burgos stirbt. Beim Ballspiel, wie die einen behaupten, habe er sich ein Fieber geholt, das ihn in wenigen Tagen dahinraffte. Die anderen, und es sind nicht wenige, nehmen an, dass er vergiftet wurde.

Nicht vom französischen König, wie sich Maximilian auf dem Reichstag empören wird, sondern natürlich von Ferdinand, der das allergrößte Interesse daran hatte, Philipp aus dem Weg zu räumen. Selbst aus Rom hatten den Burgunderherzog dringliche Warnungen erreicht, niemals Speisen anzurühren, die nicht von seinen eigenen Köchen zubereitet wurden: "Bedenken Sie doch, Sire, daß es keinen Fürsten in der Welt gibt, der sich mehr vorsehen muss als Sie!"

Aber hätte Philipp sich tatsächlich vorgesehen, wäre er im reichen, lustigen Flandern geblieben, bei den Ritterspielen und Karnevalsbällen, bei den gefälligen Damen. Dorthin zurückgekehrt ist nur sein Herz, eingeschlossen in eine goldene Kapsel. Seine Gefolgsleute nahmen es mit, als sie nach dem Tod des Herrschers Spanien fluchtartig verlassen mussten. Philipp aber, den die Frauen so sehr liebten, gehörte am Ende, endlich, nur noch der einen: Donna Juana, die mit seinem Leichnam über Land zieht. Keine Frau darf in die Nähe des Sarges kommen, nicht einmal Nonnen.

Nur schwerlich bringt man sie dahin, den Sarg unterwegs zumindest in Kirchen oder Kapellen aufzustellen - statt in ihrem Schlafgemach. Auf die Auferstehung ihres Mannes soll sie gewartet haben. Und immerzu lässt sie, wie Wegbegleiter mit Schrecken berichten, den Sarg öffnen, um ihrem toten Gemahl die Füße zu küssen. Wobei der Leichnam wahrlich "nicht nach Duftwasser riecht", wie man an den König von Aragon berichtet. Der schließlich lässt die Irrfahrt nach drei Jahren beenden und Juana in Tordesillas einsperren. Jahrzehntelang wird sie dort als Gefangene leben, bis zu ihrem einsamen Tod.

Die Weltherrschaft, von dem nicht einmal Philipp und Juana zu träumen wagten, wird erst ihrem und Philipps Sohn Carlos zufallen, der 1519 als KarlV. auch deutscher Kaiser wurde. Zwei Jahre vorher hatte Karl den Leichnam Philipps mit allen Ehren in der Kathedrale von Granada beisetzen lassen - und zuvor dafür gesorgt, dass in Tordesillas unbemerkt eine Nachbildung des Sarges aufgestellt wurde: Seine Mutter sollte nichts von dieser Überführung erfahren.

Im Übrigen ließ sich der Sohn, ganz anders als der Vater, durch nichts von seinem Ehrgeiz abhalten. Nicht durch Tanz, nicht durch Spiel. Und schon gar nicht durch die Wonnen der Liebe.

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