Perspektive:Punks brauchen keine Zukunft

Lesezeit: 3 min

Franka Potente und das jüngste deutsche Kino

Anke Sterneborg

Sie haben keinen leichten Stand, die Männer, die Machos wie die Softies, sie stehen auf verlorenem Posten: Ihr angestammter Platz als Patriarchen und Macher ist neben den stärker werdenden Frauen längst ins Wanken geraten, und einen Ort, an dem sie ihr Gleichgewicht wiederfinden, kennen sie noch nicht.

Lebens in den Randzonen der bürgerlichen Gesellschaft: "Hochhaus" von Niklas Chryssos. (Foto: Foto: Berlinale)

Selbst in der "Perspektive Deutsches Kino", in der sich unser Regienachwuchs naturgemäß eher mit jüngeren Menschen befasst, spürt man die Ausläufer dieses gesellschaftlichen Bebens quer durch alle Generationen.

Eine profunde Entwurzelung

Burkhard Wagner beispielsweise versucht noch verzweifelt dem alten Bild des Ernährers gerecht zu werden, als "Lebensversicherer" reist er durchs deutsche Land, um seine Policen an den Mann im Truck und die Frau in der Raststätte zu bringen, er kennt alle Tricks, die den Deal erleichtern, und legt auch mal ein Karaoke-Tänzchen aufs Linoleum, um die Stimmung zu lockern.

Immer wieder spricht er auf den Anrufbeantworter zuhause und versichert, dass er sein Soll bald erreicht haben wird, aber es wächst das Gefühl, dass diese Familie nur ein Trugbild ist, dass es sie womöglich nie wirklich gab.

Das Gefühl einer profunden Entwurzelung zieht Bülent Akinci in seinem Seelentrip-Roadmovie aus der monotonen Bewegung auf den Straßen, mit ihren flackernden Lichtern und dröhnenden Geräuschen, aber auch aus Jens Harzers Spiel, der seinen traurigen Helden mit einer schönen Mischung aus pseudoselbstbewusster Pose und unfreiwilliger Komik spielt.

Franka Potente wiederum spielt in ihrem Regiedebüt mit den alten Mustern der Filmgeschichte. In "Der die Tollkirsche ausgräbt" mischt sie das Leben von 1918 in einem gutbürgerlichen, aber verarmten Hause ordentlich auf, indem sie einen Punk von heute vorbeischickt, der als einziger keine Stummfilm-Sprechtafeln braucht, um sich zu verständigen und auf subversiv wunderbare Weise deplatziert wirkt.

Zug der Zeiten

Weil Punks sich ohnehin nicht so große Sorgen um Zukunft und Vergangenheit machen, kann er sich unter den zappelnden Stummfilmgestalten mit ihrer exzessiven Mimik ganz entspannt aufs Sofa legen, Trauben essen und sehen, was auf ihn zukommt.

Die Schauspieler, unter anderem Justus von Dohnanyi, Stefan Arndt und Max Urlacher haben sichtlichen Spaß am Spiel mit den Gesten und Masken des Stummfilms, und Franka Potente jongliert souverän mit den Tricks des Expressionismus, mit Kreisblende und Stopptrick.

Mit den formalen Eskapaden ist ihr Film fast schon eine Ausnahme in der "Perspektive", die meisten der jungen Regisseure lauschen ihre Geschichten eher der Wirklichkeit ab. Florian Gaags "Wholetrain" hat durch seine eigenen Erfahrungen in der Sprayerszene spürbare Streetcredibility.

Atemlos und gehetzt ziehen die Sprayer durch Straßen, Bahnhöfe und Züge, immer auf der Hut vor den Polizisten, die Jagd auf sie machen, aber auch unter dem Druck der konkurrierenden Gangs, die ihre Werke bei der morgendlichen Einfahrt in den Bahnhof zwischen Bewunderung und Neid begutachten - der nervöse Drive unter den Sprayern überträgt sich auf Kamerabewegungen und Schnittrhythmus.

Eine andere Ruhelosigkeit ist in dem Kurzfilm "Hochhaus" von Niklas Chryssos zu spüren, die eines Lebens in den Randzonen der bürgerlichen Gesellschaft. Die elternlosen Brüder Daniel und Patrick schlagen sich in einer runtergekommenen Neubausiedlung unter einsamen alten Damen und verwahrlosten Süchtigen durch, in einem leerstehenden Haus halten sie die entführen Haustiere der Gegend gefangen und bringen sie ihren Besitzern gegen Finderlohn zurück, sobald Vermisstenanzeigen auftauchen.

Der kleine Film vibriert unter der rohen Energie jugendlicher Aufmüpfigkeit, die sich mit der Verzweiflung der Armut zu einem gefährlich kriminellen Gebräu vermischt.

Ein seltener Fall von Geschwisterkino: Dietrich (Regie) und Anna Brüggemann (Drehbuch, Darstellerin) springen in ihrem Film "Neun Szenen" auf das endlos sich drehende Karussell der Beziehungen, zwischen Eltern und Kindern, Verliebten und Entliebten.

Dabei entsteht zwischen den neun in sich geschlossenen Episoden ein raffiniert gesponnenes Netz von Verbindungslinien, die Hauptfiguren des einen Films sind die Nebenfiguren des nächsten, bis sich alle Teile zu einem komplexen Ganzen fügen. Man spürt, wie sich die jungen Filmemacher über die episodische Form langsam ans Erzählen längerer Geschichten herantasten.

Eine andere Art der Annäherung ans filmische Erzählen ist natürlich der Dokumentarfilm, und in "Katharina Bullin - Und ich dachte ich wär' die Größte" kommt Marcus Welsch ganz nah an die Gefühle der Titelfigur, einer DDR-Volleyball-Olympiasiegerin von Moskau, 1980, heran, die wie so viele andere Sportler sozialistischer Staaten den sportlichen Triumph mit einem furchtbaren Schicksal bezahlen musste.

Der verantwortungslose Einsatz von Hormonen und ungetesteten Medikamenten führte nicht nur zu lebenslangen Schmerzen, sondern veränderte auch ihre ganze Erscheinung. Auf ihre tapfere und mutige Weise kämpft auch sie, wie all die orientierungslosen Männer, um ihren Platz im Leben.

© SZ vom 15.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: