Perry Rhodan in Berlin:Unser Mann im Schwall

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Es ist trivial, festzustellen, dass Trivial-Literatur trivial ist. Darum musste eine Berliner Tagung unbedingt feststellen, dass Perry Rhodan ein "modales Fenster" in unbekannte Welten aufstößt, an deren ontologischer "Tiefe" aber kein Zweifel besteht.

RALF BERHORST

(SZ v. 16.07.2003) Ein Selbstversuch: Am Kiosk lockt das bunte Heft mit einem Titel von kantischer Wucht ("Souverän der Vernunft") und der Unterzeile: "Krieg gegen das legendäre Reich der Güte - Die Journee steckt im Chaos fest". Ein neoliberaler Traktat über den deutschen Reformstau? Nein, wir halten Band 2185 der Perry-Rhodan-Reihe in Händen, der "größten Weltraumserie", wie der Titel noch vermerkt.

Und über uns die Sterne: Perry Rhodan galt als faschistoid, militaristisch, pseudowissenschaftlich, technokratisch oder einfach niveaulos. Gottseidank ist die Polemik nun etwas abgeflaut. (Foto: N/A)

Die Handlung in diesem Heft spielt etwas überraschend im Jahr 155081 vor Christus. Es geht um die Vergangenheit der Zukunft, Reisen in Nullzeit und den Kampf aufrechter "Emotionauten". Im Verlauf intergalaktischer Querelen bleiben 98 Millionen Außerirdische auf der Strecke - es steht ja auch das Überleben der Menschheit auf dem Spiel. Kein Stoff, der einen kalt lassen sollte, aber bald bleibt die Lektüre im Technik-Kauderwelsch (Stasiskonservierung, KNK-Modus) und in matten Weltweisheiten stecken.

Es ist trivial, festzustellen, dass Trivial-Literatur trivial ist, denn das erklärt noch nicht das Geheimnis ihres Erfolgs. Seit über 40 Jahren erscheint Woche für Woche ein neues Heftchen des unendlichen Perry-Rhodan-Epos, jener Science-Fiction-Serie, die von einem deutschen Autoren-Kollektiv ins Leben gerufen wurde und heute auch in Frankreich, Russland, Brasilien und Japan gelesen wird. Die Auflage der Space Opera liegt bei hunderttausend Exemplaren.

Eine Berliner Tagung, veranstaltet vom Archiv der Jugendkulturen, nahm Perry Rhodan jetzt als "Phänomen der Populärkultur" genauer in den Blick. Vielleicht ist der gravierendste Einwand gegen das SF-Genre, dass man in ihr viel über mögliche Welten, aber nichts über die wirkliche Welt erfährt. Dietmar Dath würde diesen Einwand nicht gelten lassen. Für ihn stößt die Perry-Rhodan- Lektüre ein "modales Fenster" in Welten auf, an deren ontologischer "Tiefe" er keinen Zweifel lässt. Dath wandte sich gegen den Reduktionismus der Kulturwissenschaften, die Populärliteratur wie Perry Rhodan nur zur Kenntnis nehme, um sie in die "Förmchen" ihrer ewig gleichen Deutungsmuster zu pressen.

Als Prämisse für eine wissenschaftliche Tagung war dieses Verdikt natürlich ein wenig heikel. Zumal der Menschheitsretter Rhodan von den Pop-Theoristen ohnehin eher links liegen gelassen wird. Anders als die Raumpatrouille Orion hat "PR" kein Kultpotenzial entwickelt. Vielleicht kommt die Reihe einfach zu ironiefrei daher oder die Serialität verhindert, dass sie Patina ansetzt. Dem klassischen PR-Leser (männlich, 30 bis 50 Jahre) ist das recht, denn er ist strukturkonservativ und scheut kurzlebige Moden. Die puristischen Fans reagieren allergisch, wenn ihr Held nicht mehr "rhodanisch" genug auftritt und der Mission des "kosmischen Humanismus" untreu wird.

Das erste Heftchen erschien im September 1961, mitten im Kalten Krieg und auf dem Höhepunkt des Space Race. Der Fiktion nach gelang Perry Rhodan sogleich die Mondlandung - sie war nur zu pessimistisch auf das Jahr 1971 datiert. Er entwickelt den messianischen Plan, die Menschen aller Nationen und Religionen friedlich zu einen. Das ist noch immer das schöne Fernziel des Heftchen-Heros, der dank eines "Zellaktivators" als ewig 39-Jähriger durch die Zeiten und Räume hastet.

Die geistige Heimat Perry Rhodans ist Amerika, auch wenn das SF-Genre mit Kurd Laßwitz und Paul Scheerbart ehrwürdige Traditionen in Deutschland besitzt. Zwischen 1969 und 1979 erschien die Serie auch in den Vereinigten Staaten, allerdings mit mäßigem Erfolg, wie Rainer Nagel berichtete. Spätestens als das Apollo-Programm auslief und das Sky-Lab im All verglühte, war auch die Raumfahrt-Euphorie erkaltet. Ein Versuch, die US-Ausgabe 1997 wiederzubeleben, wurde zum verlegerischen Desaster. Wohl auch, weil in den USA kein Markt für Heftchenromane existiert.

Als industriell gefertigte Massenware - das Lektorat pro Heft dauert manchmal nur vier Stunden - war "PR" der Ideologiekritik schon immer suspekt. Dabei, so Dierk Spreen, macht es sich die Literatursoziologie zu einfach, wenn sie Massenkultur per se als manipulativ inkriminiert. Denn ihr Einflussmodell ist simpel strukturiert. Es suggeriert, der Inhalt der Heftchen ließe sich umstandslos in die Wachstafel des falschen Bewusstseins einprägen lässt. Dabei ist "PR" ein Musterfall der guten alten Rezeptionsästhetik. Die Leser bestimmen mit ihren Reaktionen den Fortgang der Handlung. Der Käufer ist der eigentliche Autorgott des rhodanischen Imperiums.

Umso reizvoller ist die Frage, wie sich vierzig Jahre bundesrepublikanischer Geschichte in der Serie widerspiegeln. In der postnationalen Utopie der Rahmenhandlung erkannte Gregor Sedlag einen Reflex des "negativen Nationalismus" der jungen Nachkriegsrepublik. In den Sechzigern tritt Perry Rhodan als charismatischer Anführer, als "Kennedy im All" auf. Dann bleibt er von der Dialektik der Aufklärung nicht unangekränkelt und in den skeptischen Siebzigern verdüstert sich sein "Solares Imperium" vollends. Heute betreibt er, ganz zeitgemäß, "Nation Building" im All.

So stereotyp die Serie in ihrer wohl unvermeidlichen Gattungskonformität sein mag, die Kritiker sind ihr an Klischeefreudigkeit mindestens ebenbürtig. Das jedenfalls zeigte Hans Esselborns Sichtung der spärlichen Forschungsliteratur. Gegnern von links wie aus dem Bildungsbürgertum galt der "PR"-Kosmos wahlweise als faschistoid, militaristisch, pseudowissenschaftlich, technokratisch oder einfach niveaulos. Zuletzt ist die Polemik etwas abgeflaut. Wer heute, wie viele der in Berlin versammelten Wissenschaftler, zur Rekreation vom Seminar "Perry Rhodan" liest, gerät nicht gleich in den Verdacht des Eskapismus. Doch ein Enthusiast muss man schon sein, um über die feinen Unterschiede von Bd. 519 und 1600 streiten zu können. Das Paralleluniversum des "terranischen Residenten" ist eben ein Fall für unverbesserliche Liebhaber.

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