PAM:Performance im Strafraum

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Public Art Munich bringt Kunst in den öffentlichen Raum: Im Olympiastadion treten Massimo Furlan als Sepp Maier und Franz Beil als Jürgen Sparwasser beim Weltmeisterschaftsspiel DDR-BRD von 1974 an.

Von Evelyn Vogel

Dass Fußball Kunst sein kann, wird keiner in Abrede stellen, der den Fußball liebt - egal ob seine Lieblingsmannschaft in Rot, Gelb oder Blau, in der Ersten Bundes- oder der letzten Kreisliga spielt. Schließlich nennt man Fußballspieler ja auch Ballkünstler. Dennoch glaubte der Ballkünstler Jürgen Sparwasser an einen Scherz der Marke "Versteckte Kamera" oder "Verstehen Sie Spaß?", als er vor zehn Jahren eine Einladung nach Halle zu dem Reenactment des WM-Fußballspiels DDR-BRD von 1974 bekam. "Ich dachte mir, wenn das Ernst sein soll, dann melden die sich wieder", erinnert er sich.

Und sie meldeten sich wieder. Und erzählten ihm allen Ernstes, dass der Künstler Massimo Furlan ganz allein auf dem Rasen des Stadions seine, Sparwassers, Spielzüge aus der legendären Partie nachspielen würde bis hin zu dem denkwürdigen Tor, dank dessen die DDR eins zu null gegen die BRD gewann. Bekanntermaßen erwischte die ostdeutsche Mannschaft in der Folge aber die stärkeren WM-Gegner und flog hochkant aus dem Turnier. Während die Westdeutschen die leichteren Gegner bekamen (was natürlich für alle Fans nicht den Ausschlag gab) und Weltmeister wurden. Sparwassers trockener Kommentar heute dazu: "Der Franz sagte später: ,Gebt dem Sparwasser die 23. Medaille.' Aber da warte ich bis heute drauf."

Überhaupt ist Jürgen Sparwasser, der später aus der DDR in den Westen flüchtete, recht trocken, wenn man mit ihm über das Spektakel spricht, das Furlan nun auch im Münchner Olympiastadion zum Auftakt der "Game Changers" im Rahmen von Public Art Munich, kurz PAM, inszenieren wird. Wobei es eine große Änderung zu früheren Reenactments des Spiels geben wird. Statt Sparwassers weite Wege zu laufen, stellt sich Furlan nun als Sepp Maier ins Tor. Kommentar Sparwasser: "Ist wahrscheinlich auch besser. Ich spielte ja auf der halb-linken Position, wo ich die langen Wege vom Franz (Beckenbauer, Anm. d. Red.) stören sollte. Ich glaube nicht, dass er damals wusste, was da konditionell auf ihn zukommt."

DDR-Stürmer Jürgen Sparwasser jubelte 1974 nach seinem Treffer zum 1:0 gegen die BRD. Am Boden: Torhüter Sepp Maier und Verteidiger Berti Vogts. (Foto: dpa)

Ob Furlan es wusste oder nur ahnte, sei dahin gestellt. Aber der Fußball-Narr hat das DDR-BRD-Spiel unzählige Male studiert und schon zweimal aufgeführt. Auch andere Fußball-Reenactments gehören ins Programm des Performance-Künstlers. Insgesamt 15 Mal stand er so auf dem Rasen, wie er in einem Interview mit dem SZ-Magazin (24. April) erzählt. Dort gesteht er aber auch, dass ihm die Rolle Sparwassers mittlerweile "zu anstrengend und intensiv" geworden sei. Sparwassers Part übernimmt nun der ehemalige Schaubühnen-Schauspieler Franz Beil.

Und wie werden die Zuschauer im Olympiastadion das Ganze erleben? Mit Hilfe eines Transistor-Radios oder eines Smartphones, das UKW-Frequenzen empfangen kann. Zwei Frequenzen wurden den "Game Changers", hinter denen das Münchner Kulturreferat steht, für das Reenactment am Montag, 30. April, im München Olympiastadion zugeteilt: 90,60 MHz und 98,0 MHz. Dort laufen wahlweise die Original-Kommentare der DDR- und der BRD-Kommentatoren. Die Veranstalter teilen zwar Leihgeräte vor Spielbeginn im Stadion aus. Hoffen aber, dass möglichst viele Besucher, ihre eigenen UKW-Radios mit Batterien mitbringen werden. Je älter und analoger, desto besser - Nostalgie gehört nun mal dazu.

Die "Game Changers" von PAM ist eines der größten performativen Events im öffentlichen Raum. Statt ein Kunstwerk, eine Installation, eine Skulptur im Stadtraum aufzustellen, wird es Schlag auf Schlag Performances geben. Fast könnte man meinen, es sei eine konsequente Fortsetzung der Skulptur Projekte Münster von 2017, wo der Begriff der Skulptur durch neue Auftritte neu definiert wurde. Doch das von der international tätigen Kuratorin Joanna Warsza in München künstlerisch verantwortete Spektakel sucht seinesgleichen. Am Beispiel der Geschichte und der Gegenwart Münchens will sie Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar machen. Sie wird Orte und Ereignisse, die man längst zu kennen glaubte, durch internationale Künstler neu definieren lassen.

Massimo Furlan als Jürgen Sparwasser im Reenactment des WM-Spiels DDR-BRD. (Foto: Jürgen Sparwasser)

Manche sind eng mit München verbunden wie Michaela Melián, Cana Bilir-Meier, Franz Wanner, Rudolf Herz&Julia Wahren, Anna McCarthy&Gabi Blum, Alexander Kluge oder Leon Eixenberger. Sie haben sich mit künstlerischen Tiefenbohrungen in das Gedächtnis des Stadtraums hineingefräst und werden Schichten freilegen, von deren Vorhandensein man nichts oder nur wenig wusste.

Andere wie Dan Perjovschi, Aleksandra Wasilkowska, Massimo Furlan, Franz Beil, Julieta Aranda, Olaf Nicolai, Markus Miessen, Anders Eiebakke, Jonas Lund, Alexandra Pirici oder Lawrence Abu Hamdan blicken mehr von außen auf die Stadt. Es ist dieses Spannungsfeld, das PAM so interessant macht. Flüchtig, intensiv, drei Monate lang.

Public Art Munich/PAM: Game Changers, dreimonatiges performatives Kunstevent im öffentlichen Raum. Eröffnung Mo., 30. April, 16-19 Uhr: Aleksandra Wasilkowska "Gold für Natascha, Silber für Timofei", Ost-West-Friedenskirche; 18.15 Uhr: Anna McCarthy&Gabi Blum "Parade of the W(e/a)k", Ost-West-Friedenskirche; 19 Uhr: Massimo Furlan "Ein Reenactment des WM-Fußball-Länderspiels DDR-BRD 1974", Franz Beil als Jürgen Sparwasser, Massimo Furlan als Sepp Maier, Olympiastadion (Eintritt frei). Di., 1. Mai: 14-16 Uhr: Dan Perjovschi "Live-painting 1". Maximiliansforum; 17 Uhr: Flaka Haliti & Markus Miessen, PAM Pavilion, Viktualienmarkt; 18 Uhr: Jonas Lund & Patricia Reed, PAM Pavilion, Viktualienmarkt. Das ganze Programm bis Ende Juli unter www.pam2018.de

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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