Ortskunde:Punkrock in der Wäschekammer

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Die Westtorhalle in der ehemaligen Kemmelkaserne in Murnau ist seit 20 Jahren ein Ort für die Subkultur

Von Dirk Wagner, Murnau

Den in Murnau stationierten US-Soldaten diente das rote Haus in der Nachkriegszeit als Kino. Später nutzte die Bundeswehr die Halle am Westtor der Kemmelkaserne als Wäschekammer. Und als dann 1995 auch noch die letzten Bundeswehrsoldaten das Gelände verließen, griffen einige Kreativschaffende beherzt zu. Die nach ihrem Standort benannte Westtorhalle öffnete sich der Kultur. Mit mehr als 90 Veranstaltungen im Jahr, denen ein Spagat von Konzerten über Theateraufführungen und Kabarett bis hin zu Tango-Kursen und Spielabenden gelingt, bietet die Westtorhalle nicht nur der heimischen Kultur ein Podium. Auch überregionale und international renommierte Künstler konnten bereits an den Staffelsee gelockt werden. Getragen wird das ganze vom "Forum Westtorhalle", einem gemeinnützigen Verein mit zwischenzeitlich rund 160 Mitgliedern.

Damit ist das Westtor nicht nur dem Namen nach ein wirkliches Tor, das in die weite Welt hinausführt, sondern eines, das auch die weite Welt nach Murnau holt. Etwa, wenn hier jeden Sonntag argentinischer Tango getanzt wird, oder wenn an diesem Freitag 50 Teilnehmer eines Trommelworkshops, den der westafrikanische Perkussionist Neerava seit 13 Jahren am Staffelsee leitet, ihr Abschlusskonzert spielen. Das Kulturverständnis des Vereins, der das Westtor als Veranstaltungs- und Begegnungsort mit seinem Engagement erst möglich macht, greift sogar Ideen wie das Reparatur-Café auf, wo Menschen mit der Hilfe einiger leidenschaftlicher Bastler kaputte Gegenstände in Gemeinschaft reparieren.

Jungen Musikern steht in der Westtorhalle ein Studio zur Verfügung, und in der Werkstatt des Kulturzentrums wird kreatives Werken mit Holz oder anderem Material auch mal mit einem Kindergeburtstagsfest vereint. Überhaupt will die Kultur hier nicht nur konsumiert werden. Sie will aktivieren. Der "Kneipenabend", der an jedem Donnerstag stattfindet, bietet den Besuchern sogar die Möglichkeit, als DJs selbst für die Programmgestaltung zu sorgen. Einzige Bedingung: kein Mainstream, Antenne Bayern will hier niemand hören.

Um ein Programm jenseits des Mainstreams zu garantieren, das auch mal ein Konzert mit Musikern bietet, die trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer musikalischen Qualitäten nicht die Massen anlocken, sichern die Vereinsmitglieder mit ihren Beiträgen den Veranstaltern ein Grund-Budget. Ansonsten trägt sich das Programm selbst, so dass die Gemeinde am Staffelsee sich glücklich schätzen könnte über einen Ort, der sowohl Bürgerbegegnungsstätte als auch Kulturzentrum ist. Doch was hilft das schönste Angebot, wenn es den Nachbarn nicht gefällt? Und so haben auch die Programmorganisatoren in der Westtorhalle immer wieder mit Anwohnerprotesten zu kämpfen, immer wieder muss - um des lieben Friedens willen - die Lautstärke bei den Veranstaltungen drastisch reduziert werden. An Disco-Abende für die Murnauer Jugendlichen ist da nicht zu denken.

Wobei für Claus Auwärter, den Vorsitzenden des Westtor-Vereins, das Punkkonzert in der Halle an sich noch gar nicht mal das große Problem ist. Vielmehr sind es die Punks, die vor der Halle ihre mitgebrachten Getränke konsumieren wollen. Der Schreinermeister ist vor zehn Jahren von München nach Murnau gezogen. "Das Westtor war da ganz schnell mein Lieblingsort zum Weggehen", sagt Auwärter, der bald auch hinter der Theke stand und beim Ausschank mithalf. "Und ehe ich mich versah", erzählt er, "bin ich zum Vorsitzenden des Vereins gewählt worden". Als solcher freut er sich natürlich, dass sich das Verhältnis zu den lärmempfindlichen Nachbarn zuletzt deutlich entspannt hat. "Mittlerweile rufen sie auch nicht mehr bei der Gemeinde oder bei der Polizei an, sondern beschweren sich direkt bei uns, wenn etwas stört", sagt Auwärter.

Am problematischsten sind nach wie vor die Jugendveranstaltungen. "Trotzdem finden sie noch statt", betont Auwärter. Wie viele andere am Staffelsee ist auch er der Meinung ist, dass derartige Angebote für Jugendliche der beste Jugendschutz seien. Unabhängig davon freut sich Claus Auwärter jetzt auf ein großes Fest, mit dem das 20-jährige Bestehen der Westtorhalle als Kultureinrichtung gefeiert wird. Normalerweise ist das immer ein Hallenfest, mit dem im September die neue Spielzeit eröffnet wird. Wegen des runden Geburtstages wird es in diesem Jahr aber ein Open-Air-Festival auf dem Truppenübungsplatz geben, weil die Halle für das Jubiläumsprogramm einfach zu klein wäre. In der wird am Samstag vorab schon mal mit einem Gala-Abend im kleineren Kreis gefeiert.

20 Jahre Westtorhalle , Samstag, 18. Juli, Murnau (Seehausen/Riedhausen), von 23 Uhr an öffentlich

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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