Open-Air-Konzert:Das pralle Leben

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Fühlt sich in der Almhütte in Übersee wie zu Hause: Dani aus Luzern. (Foto: Michael Zirnstein)

Almhüttenflair beim Chiemsee Summer

Von Michael Zirnstein, Übersee

Als hier kürzlich noch eine Wiese zu sehen war, saß Martin Altmann mit seinen Mannen am Lagerfeuer und freute sich über das Tagwerk. Sie hatten Holzhütten errichtet. Wie damals, als er Schreiner lernte, um Baumhäuser zu bauen. Die vergangenen Jahre war der Geschäftsführer des "Chiemsee Summers" eingespannt, den Acker gegen den Regen zu befestigen, Lagerhallen zu bauen und ein eintägiges Rock- und ein dreitägiges Reggae-Festival zu einem fünftägigen Massen-Allerlei für 30 000 Gäste zu fusionieren. Endlich kam er dazu, eins seiner kleineren Lieblingsprojekte zu stemmen: Er entwarf - Asterix' gallisches Dorf im Sinn - Hütten. Eine Hühnerleiter führt ins Dachgeschoss mit Platz für sechs Personen, im Erdgeschoss gibt es Massivholzmöbel und Platz für weitere vier Matratzen. Er zimmerte alles selber zusammen. "Back to the roots", sagt Altmann und denkt an den ersten "Chiemsee Reggae" vor 20 Jahren, noch eintägig und noch direkt am Seeufer. Seine Erfindung.

Über einem der Häuschen hängt eine Schweizer Fahne. Bettina, Dani und Hans-Ruadi sind hier eingezogen. Sie haben in Luzern von den Almhütten gehört, haben sieben Kilo Fonduekäse eingepackt und sind in sechs Stunden nach Übersee gereist. Als ob es daheim keine Almhütten gäbe. Wer auf der Bühne spielt, ist ihnen gar nicht so wichtig. Etwa 400 Euro pro Person bezahlen sie für ihren Schlafplatz inklusive Festivalticket. "Für Schweizer gar nicht so teuer", sagen sie.

Besucher können heute wählen zwischen Standard-Zeltplatz, etwas lauschigerem Green Camping, Komfort mit oder ohne Mietzelt, Wohnmobil-Parken, Almhütten und der exklusiven Plus-Klasse mit Bühnenblick von der Panoramabar aus - das Festival als Abbild der modernen Leistungsgesellschaft. "Jeder soll nach seinen Wünschen und Möglichkeiten glücklich werden", sagt Altmann. Dafür braucht es ein breites Angebot, auch musikalisch, und deshalb ist er auch nicht traurig, vergangenes Jahr den Reggae aus dem Namen gestrichen zu haben. "Ein Festival muss leben", sagt er, "man kann nicht 15 Jahre lang die selbe CD einlegen." Solange man den alten Geist des Chiemsee-Sommers spürt: nichts richtig hart, nichts wirklich böse, summa summarum alles ein bisschen lässiger als bei den anderen Riesen-Open-Airs. Ob nun der gute alte Reggae von Gentleman oder Bunny Wailer, ob Rabaukenrock von Kraftklub, Alt-Punk von Bad Religion, Berliner Streetflair von den Ohrbooten, Techno im Zelt des Münchner Clubs Harry Klein, die irren Genies Deichkind oder der Electro-Swing von Parov Stelar, deren Sängerin Cleo Panther ruft: "Ein Festival soll Liebe, Einheit und kollektive Begeisterung zu schaffen."

Vielleicht sieht man deswegen heuer so viele Menschen, die Gratis-Umarmungen anbieten. Auch bei den Almhütten sitzt eine junge Frau im Bikini und beschriftet ein Pappschild. "Hugs for free - 50 Cent!"

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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