Oben-Ohne-Festival:Freie Liebe inbegriffen

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Erhobene Arme, ausgelassene Tänze und viel gute Laune: Das Publikum genoss das Oben-Ohne-Festival in vollen Zügen. (Foto: Catherina Hess)

18 000 Rap- und Hip-Hop-Fans feiern auf dem Königsplatz ausgelassen den Sommer, das Leben und die Musik

Von Sabine Fischer, München

Für Kontra K ist deutscher Hip-Hop gestorben. Ausgerechnet der diesjährige Headliner des Oben-Ohne-Festivals, seit jeher auch ein Fest des Raps und Hip-Hops, schwört gleich dem ganzen Genre ab - zumindest so, wie man es heute kennt: "Ich sehe mich selbst als Musiker und nicht als Rapper", sagt Kontra K. "Hip-Hop ist und bleibt für mich die Sprache der Straße. Das hat mit all dem, was da heute so ist, nichts mehr zu tun. Heute hat Hip-Hop Bild-Zeitungsniveau."

Zu diesem Zeitpunkt sitzt er im Backstage-Bereich des Festivals - ganz unprätentiös auf einer Bierbank. Wenn er spricht, denkt man nur noch selten an den düsteren Jungen aus Berlin, der sich den Dreck der Straße von der Seele rappt. Heute ist da nicht mehr viel mit hartem Gangster-Rapper. "Gerade ist eine neue, gute Zeit. Es ist Festivalzeit, mir geht's gut, meinen ganzen Freunden geht's gut. Ich kann viele Leute ernähren und das freut mich", sagt er. Nach dem schweren Sound des Vorgängers ist auch sein aktuelles Album "Vom Schatten ins Licht" dementsprechend tanzbarer, irgendwie leichter - auch wenn er das wegen der Cro-Analogie nicht so gerne hört. "Ich bin eben erwachsen geworden", erklärt Kontra K, bevor er stockt und die Augenbraue hochzieht, als müsse er erst noch einmal darüber nachdenken. "Na ja. Was heißt erwachsen? Da bin ich noch nicht angekommen, aber ich befinde mich in dieser Metamorphose. Ich gehe auf die dreißig zu, da kann ich den jungen Hörern nicht mehr erzählen, wie die Straße ist. Warum auch?" Stattdessen wird Kontra K auf der Bühne manchmal fast sanftmütig: "Lasst uns einen Gänsehaut-Moment mitnehmen, München", ruft er vor dem Song "Ein Fels in der Brandung" in die Menge - und die antwortet. Textsicher, begeistert und sichtlich bewegt.

"Das Oben Ohne ist kein Hip-Hop-Festival. Die Leute, die kommen und das hören, sind cool. Die geben einem was zurück und haben Lust drauf. Das Oben Ohne ist Musik, es ist zusammen Spaß haben, das Wetter und den Sommer genießen." Ganz unrecht hat er da nicht. Auf dem Königsplatz, auf den das Festival von der Messestadt zurückgekehrt ist, besteht das Publikum längst nicht mehr nur aus klassischen Hip-Hop-Fans mit Snapback-Kappen und Air Max-Schuhen. Stattdessen verteilen die meist jungen Festivalbesucher im individualistischen Hippie-Gedächtnislook - Blumenkranz, High Waist Shorts, bauchfrei - Luftballons, "free hugs", und ganz viel Liebe. Die Stimmung erinnert an das amerikanische Hippie-Spektakel Coachella: Ein bisschen alternativ will man sein, ausgelassen und auf freie Liebe eingestellt.

Denn auf dem Oben Ohne bleibt es nicht bei Gratis-Umarmungen. "Free Kisses" werden verteilt und im Extremfall auch - zumindest den Edding-Kritzeleien auf einigen weiblichen Oberarmen zu schließen - "free Blowjobs". So ganz ernst meint das jedoch wahrscheinlich keiner der rund 18 000 Zuschauer. Stattdessen kommen die meisten von ihnen vor allem wegen der Musik - und um gemeinsam zu feiern. Paul und Markus, 18 und 19 Jahre alt, sind für das Festival beispielsweise mit dem Bus aus Aichach angereist. Auch sie halten ein braunes Pappschild in den Händen, auf denen sie "free hugs" anbieten. "Wie genau das gekommen ist, weiß ich gar nicht", lacht Paul. "Wir sind in einer großen Gruppe angereist. Einer hat damit angefangen und dann ging das so weiter."

"Die Leute sind einfach supercool dabei", meint auch Fabian Bottler von Exclusive. Gemeinsam mit Gitarrist Benedikt Höcherl sitzt er nach dem Auftritt der fünfköpfigen Münchner Band im Backstage-Bereich und wirft bei dreißig Grad sehnsüchtige Blicke in Richtung des aufgebauten Planschbeckens. Auf der Bühne prägt vor allem Bottlers raue Stimme den Sound der Band. Außerdem hat man sich nach den Indie-Rock-Anfängen auf Electro-Pop spezialisiert. Den schweren Gitarrensound von einst ergänzt ausdrucksstarker Synthesizer-Sound - und das kommt an. "Es ist lustig, dass die Leute zu unseren Sounds bouncen, das habe ich noch nirgends sonst erlebt. Eigentlich bounct man bei uns nicht. Man springt, man hebt die Arme in die Luft und so", lacht Bottler nach dem Gig.

Erhobene Arme und ausgelassene Tänzer sieht man auch während des restlichen Programms: Das Hip-Hop-Trio 257ers beispielsweise, für das der Weg aus Berlin dank Stau neun Stunden lang dauerte und das erst Minuten vor dem Auftritt am Königsplatz eintraf, ist für seinen ironisch pointierten Spaß-Rap bekannt. Und der kann schon mal derb werden: Auf der Bühne geht es um "Monsterschwänze", "Hurensöhne" und - nun ja, "Piraten". Mit schnellen, ausgelassenen Hip-Hop-Beats und Texten, die sich selbst alles andere als ernst nehmen, sorgen sie am späten Nachmittag trotz Regenschauer für entfesselte Stimmung.

Der einst als Hipster-Rapper verschriene Wahlberliner Olson wagt hingegen den Imagewandel. Seit das "Rough" aus seinem Künstlernamen weggefallen ist, mischt er romantisch-melancholischen Pop mit klassischem Rap und arbeitet mit klaren Gesangs-Hooks. Auf dem Oben Ohne besingt er die Grenzen seines "kleinen Hollywoods" genauso wie die Kurzlebigkeit schöner Momente: "Es ist morgen schon wieder vorbei", ruft er ins Mikrofon und spricht damit wohl dem Publikum aus der Seele. Denn auch das Festival dauert nur wenige Momente. Danach bleiben nur die Erinnerungen - und die allgegenwärtigen, neon-grünen Promo-Caps einer Krankenkasse.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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