New York:Die Rache der Metropolis

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Bloomberg, Clinton, Giuliani: New York träumt von drei Präsidentschaftskandidaten und dem Sieg im Kulturkampf.

Andrian Kreye

Die Feindseligkeiten zwischen Stadt und Land sind so alt wie die zivilisierte Menschheit. Egal, ob die klugen Männer der Polis von Athen die Provinzen verhöhnten, ob die ländlichen Bayern die humorlos modernen Preußen beschimpften oder die New Yorker das Landesinnere als "Flyover States" belächeln, als Provinzstaaten, die man höchstens mal auf dem Weg von Stadt zu Stadt überfliegt - die gegenseitige Verachtung von Großstädtern und Provinzlern gehört fest zur Identitätsstiftung. Hin und wieder brechen diese Zwistigkeiten auf. Dann kommt es schlimmstenfalls zum Krieg und bestenfalls zum Kulturkampf.

Blick vom Rockefeller Center auf das Empire State Building und den südlichen Teil Manhattens. (Foto: Foto: AP)

Der hat sich in Amerika inzwischen zugespitzt. Schließlich waren die letzten sechseinhalb Jahre ein Triumphzug der Provinzen, die nicht nur ihre Männer und Frauen aus den "Flyover States" in den höchsten Ämtern installierten, sondern auch ihr Wertesystem im Gefüge der Nation verankerten.

Das kosmopolitische Amerika der Ostküste sinnt seit Jahren auf Rache, denn die Provinz dominiert nicht erst seit der Dynastie Bush in Washington, wo sich Präsidenten aus Texas, Nebraska, Georgia und Arkansas ablösten. Noch nie aber war die Rache der Metropolis so greifbar wie heute.

Für das Jahr der Präsidentschaftswahlkämpfe haben die New Yorker nämlich einen Traum. Mit einer historisch einmaligen Geste könnte sich New York 2008 für die Herrschaftsjahre jener Machtclique rächen, die sich vornehmlich aus machthungrigen Provinzlern und korruptem Geldadel aus den Seebädern von Neuengland rekrutierte.

Noch bevor der Endspurt beginnt, könnten die Vorwahlen der Stadt New York schon einen Sieg auf der ganzen Linie bescheren. Es ist nämlich gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich gleich drei Kandidaten um das höchste Amt bewerben, die in der New Yorker Politik groß geworden sind: der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, die derzeitige Senatorin Hillary Clinton für die Demokraten und als unabhängiger Außenseiter der amtierende New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg.

Propere Provinz, gottlose Stadt

Ein solch kosmopolitisches Triumvirat wäre in jedem Fall ein Triumph. Denn auch wenn Rudolph Giuliani als Held des 11. September und konservativer Hardliner die besten Aussichten hätte, so steht er doch für einen Konservatismus, der nicht im christlichen Kernland, sondern in der Großstadt verwurzelt ist.

Ganz und gar untypisch für seine Partei tritt er für strenge Waffengesetze, schwule Bürgerrechte und das Recht auf Abtreibung ein. Er war drei Mal verheiratet, trat bei New Yorker Maskenbällen in Frauenkleidern auf und ist zudem Katholik. Das macht ihn - mehr noch als die intellektuelle Strategin Clinton und den jüdischen Pragmatiker Bloomberg -, zum Sinnbild für den Moloch New York, der vom Rest der Nation mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht betrachtet wird.

Wie tief dieses Unbehagen reicht, zeigt ein Blick in die Filmgeschichte. Ein ganzes Genre beschäftigt sich mit der amerikanischen New-York-Skepsis. Meist sind es Komödien. Da scheiterten Jack Lemmon und Sandy Dennis als Provinzler aus Ohio bei Lemmons Geschäftsreise zur Konzernzentrale in New York an den Tücken des Großstadtdschungels in Arthur Hillers "The Out of Towners".

Der Moloch ist der Sündenfall

Jon Voight überlebt New York in John Schlesingers Tragikomödie "Asphalt Cowboy" nur, weil er sich die Naivität des Burschen vom Lande erhält. Später gab sich der Australier Paul Hogan stellvertretend für den Rest der Welt als Archetyp des Hinterwäldlers Crocodile Dundee der Lächerlichkeit preis. Das Muster ist immer das gleiche: Der Provinzler scheitert zunächst am Zynismus der Großstadt, weil er sich seine Naivität und Unschuld bewahrt, die ihn schließlich rettet.

Der Moloch ist der Sündenfall, die Metropolis der Antipode des Garten Eden. Nirgendwo wird das deutlicher als in den Thrillern: Der Triumph der Bauernschläue schlägt in Revanchismus um, wenn Charles Bronson in "Ein Mann sieht rot" den Überfall auf seine Familie als Ein-Mann-Todesschwadron rächt, oder Robert de Niro als "Taxi Driver" Travis Bickle im Sündenpfuhl der Lower Eastside Amok läuft.

In den Filmen der siebziger Jahre drückte sich nicht nur das Misstrauen gegenüber New York aus, sondern die gesamte Litanei der Vorurteile gegen die kosmopolitische Kultur der Großstädte. Gottlose Geldkultur, steingewordene Entfremdung und intellektueller Dünkel vereinen sich in den Augen der Provinzler im pluralistischen Gemisch der Völker und exotischen Religionen wie dem Katholizismus und dem Judentum zu einem ungesunden Gebräu weltlicher und fremder Werte, das der Natur des Menschen doch fremd und zuwider sein sollte.

Und auch wenn diese Ressentiments keineswegs eine amerikanische Domäne sind, so ziehen sie sich bis heute durch die amerikanische Kulturgeschichte.

Im Kampf um Geld, Erfolg und Ruhm, verliert der Mensch seine Unschuld

Höhepunkt war der phänomenale Erfolg der Fernsehserie "Smallville", die in Deutschland auf RTL gezeigt wurde. Da wird die Frühgeschichte von Clark Kent alias Superman erzählt, der im Provinznest seiner Jugend mit seinem späteren Erzfeind Lex Luthor gut befreundet ist.

Erst als sie als Erwachsene in die Großstadt Metropolis ziehen, werden sie zu den Vertretern von Gut und Böse. Und weil die Serie ganz offen mit christlichen Motiven spielt, ist die Botschaft ganz deutlich - die Großstadt ist der Ort des Sündenfalls, erst hier, im Kampf um Geld, Erfolg und Ruhm, verliert der Mensch seine Unschuld.

Nun bedient Hollywood mit solchen Drehbüchern nicht nur die konservative Volksseele. Auch die linksliberale Woodstock-Generation benutzte New York als Symbol für all das, was mit der Moderne nicht stimmte. Bob Dylan lamentierte in einem seiner frühen Songs: "It's hard times from the country, livin' down in New York Town".

Ein Moment Verbundenheit

Der Liedermacher Jim Croce jammerte in seinem Song "New York is not my home" über die überfüllten Straßen und leeren Gesichter, und Gene Parsons schrieb für die Byrds den Song "Gunga Din", in dem er die Stadt als Brutstätte arroganter Schnösel verdammte, weil er mit seiner Lederjacke nicht ins Restaurant des Gramercy Park Hotel gelassen wurde. Da trifft sich die linke mit der ländlichen Antimoderne in der gemeinsamen Ablehnung.

Nur ein einziges Mal fühlte sich ganz Amerika der Stadt am Hudson River verbunden, dem einzigen Moment in seiner Geschichte, kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers, als New York nicht der Hort der viel zu Erfolgreichen, Klugen und Schönen war, sondern das Opfer. Lange hielt dieses Gemeinschaftsgefühl nicht an, dann herrschte wieder der übliche Argwohn. Nun ist es sicher zu früh, um schon über den Wahlkampf des nächsten Jahres zu spekulieren.

Doch nicht nur das intellektuelle und liberale Amerika träumt vom kosmopolitischen Triumvirat aus New York. Was vom solidarischen "Wir sind alle New Yorker" aus den Wochen nach dem 11. September geblieben ist, das ist sicherlich das Gefühl, sich im Kulturkampf auch diesseits des Atlantiks auf die Seite der Moderne schlagen zu wollen.

© SZ vom 16.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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