Neuer Roman von Heinz Strunk:In Löffelchenstellung

Lesezeit: 3 min

Faulige Körpergase, geronnene Waschlappen und mangelnde Erfahrung: Heinz Strunks neuer Roman "Fleckenteufel" will in den Feuchtgebieten mitschwimmen.

Ch. Schmidt

Schlüpfriger als der Inhalt des neuen Romans von Heinz Strunk ist die feuchte Art und Weise, wie er aufgemacht ist und beworben wird. Und das liegt nicht allein am gefühlsecht flutschigen Umschlag, der das Buch als Trittbrettsatire auf Charlotte Roches Skandalerfolg "Feuchtgebiete" ausweist. Dessen purpurne Schamesröte ist nun türkisfarben erblasst, und statt eines Heftpflasters schwebt ein verfleckter Waschlappen mit dem satten Glanz einer Eiweißglasur leicht erhaben auf dem Cover. Darunter der Titel: "Fleckenteufel", ein Wort, das wie "Feuchtgebiete" mit einem F beginnt und dreizehn Buchstaben umfasst, gesetzt in der bekannten Fraktur, deren Anlehnung an den Bibeldruck lästerlich-lüstern mit den sündigen Beichten kontrastiert, die es verspricht.

Trittbrettsatiriker der tiefergelegten Volksaufklärung: Heinz Strunk. (Foto: Foto: Philipp Rathmer)

Als sei das noch nicht Mimikry genug, wirbt der Verlag für seinen Titel mit einem wahrhaft spritzigen Video-Clip, der erklärt, was der Waschlappen soll und was geschah, bevor er zum Frontispiz, sagen wir ruhig: gerann. Die weißen Kleckse werden von dem wie ein Tafelschwamm quietschenden Waschlappen weggewischt.

Dann erscheint der lustige Lehrer im Bild. Telekolleg Sexualkunde, Kapitel abseitige Gelüste. Heinz Strunk trägt die schärfsten Stellen aus dem Roman vor, berichtet von der akribischen Rosettenpflege seines jugendlichen Helden mit der Wundercreme Nivea und dessen Heißhungerattacken, die sich zwischen den "Glocken" von Susanne Bohne und dem "Pumpenschwengel" seines Kumpels Andreas noch nicht entscheiden können. Gegenschnitt zum Autorengespräch, dem die feuilletonistische Überhöhung vorbehalten ist. Eben noch die Rampensau Strunk, jetzt der Feingeist, der sein Buch als "universellen Jugendroman" verstanden wissen will.

Man muss das so ausführlich erzählen, weil die Vermarktungsstrategie des "Kulturschaffenden mit Schwerpunkt Humor" (Strunk über Strunk) darin besteht, diesen Widerspruch zu bewirtschaften. Einerseits soll sich der Roman auf den Büchertischen in Löffelchenstellung an die "Feuchtgebiete" schmiegen, andererseits die voyeuristischen Erwartungen umlenken.

Tatsächlich ist die Verbindung zwischen beiden Büchern nur ein herbeiinszenierter PR-Gag, suggestiv gemacht durch Strunks gemeinsame Zeit mit der Autorin Roche beim Musiksender Viva sowie ihre zweistimmigen öffentlichen Lesungen aus der urologischen Promotionsschrift "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern". Dabei eignet sich "Fleckenteufel" ebenso wenig zu schocklüsterner manueller Selbstfindung wie zu Spekulationen über das emanzipatorische Potential sexueller Extremerfahrungen.

Krisengebiet der Pubertät

Bei Heinz Strunk ist der Körper seines Helden Thorsten Bruhn vielmehr das ganz normale Krisengebiet der Pubertät, permanent erschüttert von den Explosionen fauliger Körpergase. Der Roman beginnt mit der konkreten Poesie von Thorstens Flatulenz. Zwischen Ppppffff und Pfffkkrr entfaltet sich eine Typologie der Darmwinde von "schleichenden Entlastungspupsen" zum "stillen Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume". Die hartnäckige Verstopfung, unter der Thorsten leidet, erklärt aber nur zum Teil seine anale Fixierung. Thorsten ist einfach ein Spätentwickler. Nicht nur der Körper des 16-Jährigen ist kleiner als der seiner Altersgenossen, auch sonst steckt er immer noch tief in der Kindheit.

In seinem dritten Roman beutet Mathias Halfpape, der unter dem Pseudonym Heinz Strunk selbst zum Bestsellerautor einer ins Autoaggressive gewendeten Pop-Ironie avanciert ist, eine frühere Lebensphase aus. Pubertät schildert er als einen Schwellenmoment, in dem alles zugleich hochnotpeinlich und "auch schon wieder geil" ist. Das Schuldgefühl erweist sich dabei als genauso hartnäckig wie die Lust, die Unschuld zu verlieren. Thorsten mag sich zwar fühlen wie ein "dirty old man" und daherreden wie ein Müllkutscher auf der Reeperbahn, in Wahrheit hat er die fromme Seele eines Kindes, das jedes Wort glaubt, das der Pastor spricht.

Spießigkeiten der Nachkriegs-BRD

Im evangelischen Zeltlager an der Ostsee verlebt Thorsten ein paar verregnete Sommerwochen. Natürlich wird er, wie sich das für einen Initiationsroman gehört, nicht aus den Ferien zurückkehren, ohne wenigstens ein bisschen gereift zu sein. Er wächst über Enid Blytons Fünf Freunde hinaus und über ein paar Idole des wahren Lebens. Und natürlich kündigt sich der Wachstumsschub als plötzliche Entleerung an. Endlich kommt alles heraus, womit er vollgestopft wurde, "Schwarzbrot, Graubrot, schlimme Augenwurst", aber auch die bigotte Moral. So nimmt nicht nur Thorstens Hartleibigkeit ein gutes Ende, sondern auch Heinz Strunks spekulative Motivwelt eine kathartische Wendung.

Mit ätzendem Witz versteht er es, das Zeitkolorit des Jahres 1977 herauf zu beschwören, die Spießigkeit einer kleinbürgerlichen Jugend in der Nachkriegs-BRD. Das Problem des Buches ist nicht Strunks Vorliebe für die intimsten Körperöffnungen, es ist Dieter Bohlen, der in jeder Zeile sein Gebisslächeln bleckt. So amüsant diese hammermäßige Kiez-Eloquenz auch ist, so sehr nervt sie auf Dauer, weil sie dem Helden mit dem nie abgeheilten Jugendslang des Endvierzigers Strunk zugleich eine falsche Bewusstseinslage unterschiebt. Zunächst denkt man, diese Zungenfertigkeit sei die späte Rache für eine verklemmte Jugend. Doch es zeigt sich, dass Strunk keine andere Sprache zu Gebote steht. Für authentische Momente findet er keinen Ton, seine Stimme wird dann piepsig und dünn. Und darum gibt es so wenig authentische Momente im Roman.

Fütterung der PR-Maschine

Strunks Routine als Bühnenperformer schlägt hier auf sein Schreiben durch und lässt den Roman in Nummern zerfallen. Das Wissen um diese Schwäche könnte erklären, warum er die PR-Maschine so willig füttert. Er braucht Leser, die mehr Appetit mitbringen, als der Autor zu stillen vermag. Von Kapitel zu Kapitel schwindet das Interesse an seiner Romanfigur, weil diese immer nur zu Pointen kommt, aber kaum je zu Erfahrungen. Und darum ist die Aufmachung des Buches vielleicht doch passend. Thorsten Bruhn ist wirklich ein Zwangsonanist, aber nicht als Romanfigur, sondern als Erzähler.

HEINZ STRUNK: Fleckenteufel. Roman. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2009. 220 Seiten, 12 Euro.

© SZ vom 4.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: