Neue Platte: Blumfeld:Aber sonst geht´s gut, Jochen?

Lesezeit: 3 min

Darauf haben wir gewartet, auch wenn es in die Hose geht. Hier ist die Platte zur Debatte: "Blumfeld" ziehen hinaus in die Natur und entdecken "Verbotene Früchte".

Oliver Fuchs

Oh, Gott, nicht schon wieder eine Debatte! Es gibt doch schon die Wertedebatte und die Demografie-Debatte und die Bildungsdebatte und die Debatte über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, von der Migrations-Debatte und der Neokonservatismus-Debatte ganz zu schweigen.

Klingt jetzt ein bisschen wie "Das Wandern ist des Müllers Lust", aber nur ganz entfernt. (Foto: N/A)

Und jetzt also: die Blumfeld-Debatte. Darf ein Popsänger Lieder über Pflanzen und Tiere singen, darf er Nachtigallen feiern und Alpenveilchen, darf er sich mit Schmetterling, Storch und Schnecke solidarisieren? Ist das eskapistisch? Reaktionär? Öffnet er dem Neuen Biedermeier Tür und Tor? Oder revolutioniert Jochen Distelmeyer nur mal wieder die Popmusik, indem er Tabus bricht, Hörgewohnheiten erschüttert, lieb gewonnene Konventionen vom Tisch fegt?

Puh. Schwierige Frage. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass Blumfeld-Platten immer aufregend und provozierend waren. Man wollte sie sofort am Erscheinungstag kaufen, am besten gleich um 8,30 Uhr, wenn der Plattenladen aufmacht. So wie man eine Tageszeitung ja auch am besten druckfrisch liest. Um zu wissen, was los ist in der Welt. Um mitreden zu können. Wer nun aber losgeht, um sich ¸¸Verbotene Früchte" zu kaufen, die Platte zur Debatte, wird enttäuscht . Das Album ist zutiefst mittelmäßig und über weite Strecken stinklangweilig. Darin besteht der Schock, das ist der eigentliche Skandal. Die Frage, ob sich Jochen Distelmeyer vom linken Gegenkultur-Helden zum unpolitischen Naturschwärmer oder gar Neocon gewandelt hat, ist zweitrangig.

Um begreifen zu können, was da schiefgelaufen ist, muss man kurz zurückblicken.

Blumfeld betreten die Pop-Bühne Anfang der neunziger Jahre und werden prompt als Erneuerer, ja Erlöser gefeiert. Jochen Distelmeyer ist der kleine Prinz, der die deutsche Popmusik, die nach dem Abflauen der Neuen Deutschen Welle in einen Dornröschenschlaf gefallen ist, nachhaltig wachküsst. Distelmeyer, der Androgyne mit dem picobello Seitenscheitel und dem maliziösesten Grinsen von ganz Hamburg, ist ein Dichter und Denker und Sänger, wie es ihn in Deutschland noch nicht gegeben hat. Er nimmt Betroffenheitslyrik und Poststrukturalismus und Werbeslogans und Protestsong-Fetzen und was sonst noch so in seinem Kopf herumfliegt, und macht daraus berauschende Wortmusik. Seine Rap-Kaskaden sind bis zum Bersten vollgestopft mit Zitaten von Rainald Goetz, Klaus Theweleit, Godard, den Smiths, ¸¸Blade Runner", Ingrid Steeger, Matthias Reim . . . Da hat einer so viel mitzuteilen, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen soll.

Heerscharen von orientierungslosen Studenten der Geisteswissenschaft reden wie er, versuchen wie er zu empfinden, bemüht, ihm bei seinen abstrusen Gedankengängen bis in die letzte Hirnwindung zu folgen. Vielleicht leistet ja Distelmeyer - kühne Behauptung - für den Pop, was Godard für das Kino geleistet hat. Von ihm lernte man: Alles kann Kino sein, also auch abgefilmte Reklametafeln und Milchschlieren in Kaffeetassen. Das Prinzip Distelmeyer: Auch die trockenste Seminarprosa und der hirnrissigste Mike-Krüger-Spruch kann Pop werden, kann swingen und grooven und rocken. Auf dem Album ¸¸Old Nobody" (1999) wendet er sich dem Schlager Marke Münchener Freiheit zu, auf ¸¸Testament der Angst" (2001) betreibt er Old-School-Ideologiekritik, auf ¸¸Jenseits von Jedem" (2003) wird er zum Privat-Idylliker.

Und jetzt zieht es Distelmeyer hinaus, ins Offene, auf Feld und Wiese. Dorthin, wo die Wälder rauschen und die Bächlein murmeln und sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Es ist doch toll, wenn einer mal die Foucault-Bände zuklappt und ein bisschen frische Luft atmet. Leider klingt die Musik auf ¸¸Verbotene Früchte" flach und abgestanden, und die Texte sind großteils banal, wenn nicht total banane. ¸¸Er will für jeden Baum das Beste / So tut er, was er kann / Er hegt den Stamm und pflegt die Äste / Er ist: der Apfelmann", reimt Distelmeyer in dem Lied ¸¸Der Apfelmann". Darin werden tatsächlich von ¸¸Elstar" über ¸¸Winterprinz" und ¸¸Ontario" bis zu ¸¸Geheimrat Oldenburg" beinah alle Apfelsorten dieser Welt aufgezählt.

Aber sonst geht"s gut, Jochen?

Der Song ¸¸Tiere um uns" klingt entfernt nach ¸¸Das Wandern ist des Müllers Lust", ¸¸Schmetterlings Gang" erinnert an ¸¸Karl der Käfer" von der Gruppe Gänsehaut, und ¸¸Kleines Lied" beweist, dass nicht jedes Kinderlied - der Sänger wurde übrigens gerade Vater - unbedingt das Kinderzimmer verlassen und auf CD gepresst werden muss.

Wie gesagt: Das Problem ist nicht, dass Distelmeyer jetzt die Natur betrachtet. Das Problem ist, dass der Erkenntnisgewinn so kümmerlich ist. Zu Schnee fällt ihm ein, dass er weiß ist. Zu Tieren fällt ihm ein, dass es viele verschiedene gibt. Und Flüsse, das hat Jochen hart recherchiert und messerscharf analysiert, fließen! Heidewitzka, Herr Kapitän!

Während die Studenten von damals, die jetzt zum Beispiel Popkritiker im Feuilleton sind, hitzig debattieren, was Distelmeyer denn nun genau meint, wenn er singt ¸¸Sommervogel, flieg! / Immer weiter, kleiner Falter, flieg!", sitzt Jochen, der Ex-Punkrocker, vermutlich daheim, gießt sich eine Tasse Kaffee mit Verwöhnaroma ein, wickelt sich in eine Steppdecke und grinst maliziös. So viel Aufruhr! So viel Anteilnahme! So viele besorgte Nachfragen, ob er, der Dichter und Denker und Seher, vielleicht verrückt geworden ist.

Aber eine Staatskrise ist das ja nicht. Eine sehr gute Band hat ein schlappes Album veröffentlicht. Kann ja mal passieren. Deshalb fliegen nicht gleich die Löcher aus dem Käse.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.100, Dienstag, den 02. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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