Neue Musik:Sprache der Proleten

Lesezeit: 1 min

Eddy, die von Tim Kuypers verkörperte Ödipus-Figur, macht sich auf zum Kampf gegen die Sphinx. (Foto: Wilfried Hösl)

Mark-Anthony Turnages "Greek" in der Werkstatt der Staatsoper

Von Egbert Tholl, München

Es gibt eine Erkenntnis über das Altern der Neuen Musik, und hier wird diese offenbar. Wobei sich diese Erkenntnis, oder besser, diese Empfindung, weniger auf die Musik selbst bezieht. Denn die ist angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Atmosphäre und Drama, ist über weite Strecken sehr perkussiv gehalten, bricht manchmal aus in Gefilde von Jazz und Schlager, doch auch diese Ausflüge haben immer noch etwas Raues, Harsches.

Mark-Anthony Turnage hat vor 30 Jahren gute Musik komponiert, die Oksana Lyniv mit Unterstützung zweier Co-Dirigentinnen sehr akkurat, ja vielleicht sogar ein bisschen zu akkurat ausbreitet. Das Bayerische Staatsorchester, angereichert unter anderem von Musikern des Gärtnerplatzorchesters, ist sehr aufmerksam, sehr korrekt, musikalisch ist die Aufführung über weite Strecken so spannend, dass man die klimatischen Bedingungen im Raum des wirklich imposanten Postpalast vergisst.

Doch bei der Uraufführung, 1988 bei der Münchner Biennale, wurde Turnages "Greek", so erzählen die, die damals dabei waren, auf Englisch aufgeführt. Nun wurde das Originallibretto übersetzt, und viel Glück hatte man damit nicht. Steven Berkoff, dessen Stück dem Libretto zugrunde liegt, schreibt viel in der Sprache einer englischen Unterschicht, die in der damaligen Thatcher-Ära wenig zu melden hatte. Nun das Derbe auf Deutsch zu hören, wirkt fast schon abenteuerlich fremd, trifft auch keinen zeitgemäßen Proleten-Jargon. Den Sängern ist dies jedoch erfreulich egal, alle vier sind rückhaltlos zu bewundern: Miranda Keys, Okka von der Damerau, Tim Kuypers und Robert Bork.

Turnage/Berkoff erzählen den "Ödipus"-Mythos, aber natürlich ohne Götter - die eliminiert inzwischen ja auch längst das Sprechtheater oder deutet sie als menschliches Movens um - linear inklusive der Vorgeschichte und eben als Drama, das aus der Unterschicht heraus entsteht und neben aller möglichen Schuld immer auch davon kündet, wie einer nach oben kommen will. Das ist nicht in jeder dramaturgischen Wendung aufregend, aber Regisseur Wolfgang Nägele ist geschickt darin, die Begegnungen der Figuren im offenen Riesenraum als sehr freie Aufeinandertreffen zu etablieren. Er unterläuft das Konstrukt und vertraut den Sängerdarstellern, Kuypers als wütenden Eddy (also quasi Ödipus),Damerau als gütige Geliebte mit strahlender Stimmschönheit, Keys und Bork als harte, garstige Zieheltern. Das klappt alles gut, aber die letzte Faszination fehlt.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: