Neue Männer braucht der R'n'B:Die Rückkehr der Galanterie

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Nach dem Skandal um den Frauenschläger Chris Brown sucht die schwarze Kultur nach einem neuen Männerbild im R'n'B.

Jonathan Fischer

Als der R'n'B-Sänger Chris Brown vor vier Wochen in Los Angeles verhaftet wurde, brach für viele Fans eine Welt zusammen. Augenzeugen hatten die Polizei alarmiert, nachdem der 19-jährige seine Popstar-Freundin Rhianna krankenhausreif geprügelt hatte. Dabei galt Brown bisher als sauberes Aushängeschild des Genres, das gerne als Gegenbild zu angeblich verdorbenen Typen wie dem wegen Sex mit Minderjährigen verurteilten R. Kelly beschworen wurde. Polizeibilder der verschwollenen Rhianna kursierten kurz darauf im Internet und heizten eine Debatte über schwarze Macho-Attitüden und das Selbstbild afroamerikanischer R'n'B-Stars an.

Rhianna und Chris Brown waren das saubere Traumpaar des Rythm'n Blues - bis er verhaftet wurde, weil er sie verprügelt hatte. (Foto: Foto: ap)

Nun aber räsonieren insbesondere afroamerikanische Medien über die Zusammenhänge zwischen schwarzer Kultur und Frauenfeindlichkeit. Letztlich steht ein populäres männliches Selbstbild zur Diskussion: Die Figur des Pimp, des Zuhälters, und seine Rolle in der schwarzen Musik. Es gebe, so der afroamerikanische Kolumnist Frank Roberts im Webblog Newblackman, eine lange Geschichte des kulturell tradierten Sexismus, der die kollektive Ohnmacht der Schwarzen an die Schwächsten innerhalb ihrer Gemeinschaft weiterreiche. "Wir sind systematisch dahingehend konditioniert worden, an physische Gewalt als natürlichen und gesunden Weg zu glauben, um eine Frau auf ihren Platz zu verweisen".

Chris Brown scheint da nur der jüngste Vertreter in einer Ahnenreihe gewalttätiger Soul-Machos zu sein: Von Ike Turner über James Brown bis zum gerade wegen ehelicher Gewalt angeklagten Gospelsänger BeBe Winans - Männern also, die in ihren Songs gerne das Bild des vermeintlichen Ideal-Partners verkörpern. Doch muss der Widerspruch zwischen dem Balzgeschmachte des R'n'B und der oft begleitenden Geringschätzung des umworbenen weiblichen Gegenübers wirklich überraschen? Bereits seit den neunziger Jahren hängt das Genre am Tropf des Hip-Hop. Nicht nur die Kleiderordnung und die Beats haben die R'n'B-Sänger von ihren rappenden Gegenparts übernommen, sondern auch deren Macho-Werte.

Der afroamerikanische Dozent und Kulturkritiker Mark Anthony Neal erinnert deshalb in der Zeitschrift Vibe unter dem Titel "Rhythm And beatdown?" an die von gewalttätigen, frauenverachtenden Metaphern durchsetzten Texte vieler Mainstream-Rapper. Oder an das erfolgreiche Video des Ronald Isley-R.Kelly-Duetts "Down Low", in dem ein eifersüchtiger Liebhaber seine Partnerin zu Boden schlägt. Auch wenn diese Minderheit unter den schwarzen Männern nicht das pathologische Stereotyp rechtfertigen würden, das die weißen Medien so gerne von ihnen zeichneten: Die Gewalt sei tief im Selbstbild männlicher Afroamerikaner verankert. Gleichzeitig erinnert er an eine beinahe in Vergessenheit geratene schwarze Tradition: Die des empathisch-mitfühlenden Soulsängers.

Tatsächlich scheinen immer mehr Hörer im R'n'B nach einer Alternative zum bloßen Anmach-Soundtrack zu suchen. Erst recht, seit Präsident Obama ein neues schwarzes Männerbild verkörpert, das den Macho-Typus merkwürdig verbraucht aussehen lässt. Da springen in der Soul-Tradition geerdete Gentlemen wie Raphael Saadiq oder Anthony Hamilton in die Bresche. Letzterer bricht auf seinem aktuellen, dritten Album "The Point Of It All" mit dem in seinem Genre geläufigen Image des potenten, hinter einer hyper-maskulinen Maske agierenden Selbstdarstellers: Im Video sitzt der Sänger vor einem kaputten Fernseher unter einem lecken Hausdach, und als ihm auf dem Weg zum Date auch noch das Auto stehen bleibt, zelebriert er trotzdem die Liebe zu seinem Mädchen wie ein Soul-Galan alter Schule: "Our love is so cool!"

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Hamilton für seine Geliebte beten will.

Mit der Bezugnahme auf den nicht immer glamourösen Alltag seiner Hörer erinnert Hamilton an eine Realität, die der sogenannte R'n'B fast vollständig ausgeblendet hat. Wenn der Sänger stattdessen verkündet, dass er für seine Geliebte "beten würde", erinnern seine Zeilen an den Soul der sechziger und siebziger Jahre, die mitfühlenden Hymnen von Curtis Mayfield, Bobby Womack oder Bill Withers.

Inzwischen gilt Anthony Hamilton gemeinsam mit Raphael Saadiq, Anthony David und Donnie als Speerspitze einer neuen Generation von Soulsängern: Sie verteidigen die Werte der schwarzen Musik der Prä-Rap-Ära. Sie predigen eine Sorte gesellschaftskritischen Soul, der zwar den Hip-Hop nicht leugnet, seine Inspiration aber woanders findet: In der schwarzen Kirche etwa oder dem gerade ein halbes Jahrhundert alt gewordenen Motown-Klassizismus.

Jenseits der Rhythm and Blues-Fleischbeschau

Von letzterem hat Raphael Saadiq sich für ein ganzes Album inspirieren lassen: "The Way I See It". Schon das Cover - der Sänger posiert vornehm-zugeknöpft im Sechziger-Jahre-Anzug - suggeriert ein Szenario weit jenseits der Rhythm and Blues-Fleischbeschau, wie sie barbrüstige jüngere Kollegen gerne inszenieren. Tatsächlich wagt sich Saadiq, in den achtziger Jahren Leadsänger von Tony! Toni! Toné! und später Songwriter und Produzent für D'Angelo, Erykah Badu und Mary J.Blige, diesmal weiter in die Vergangenheit als je zuvor: Tamburins und Händeklatschen tragen den Rhythmus, die Arrangements könnten von den jungen Temptations stammen, und Saadiq singt mit der romantischen Hingabe eines Smokey Robinson.

Vom Marketing-Standpunkt aus gesehen eine Todsünde: Schließlich missachtet Saadiq jeden modischen Zeitgeist, lässt er sich bis auf ein Jay-Z-Gastspiel kaum auf die Hip-Hop-Kultur ein und beschwört im Interview stattdessen den "spirituellen Vibe" einer Platte, die man ohne Bedenken auch der eigenen Mutter schenken könne.

Und doch scheint Saadiq alles richtig gemacht zu haben. Selbst Konkurrenten loben ihn für seinen Mut. "The Way I See It" verkauft sich besser als jedes andere seiner bisherige Alben. Das Album stellt Saadiqs sanftes, fließendes Falsett in den Mittelpunkt, einen Gesangsstil, der aus jeder Silbe Verletzlichkeit atmet, und der sich Frauen in der respektvollen Pose des Verehrers nähert.

"Erwachsen" - das Wort bekommen Sänger wie Hamilton oder Saadiq von Journalisten am häufigsten angehängt, ein Attribut, das sie von all den Chris Browns unterscheidet, die mit Stimmakrobatik über Hip-Hop-Beats die Charts beherrschen. "Es ist nicht einfach, zu lernen, ein Mann zu sein - ein Mann ohne Knarre im Hosenbund", sagt Anthony Hamilton. Und bedauert alle, die Zärtlichkeit als unmännlich abwerteten: Würden sich hinter den Grobheiten nicht gewöhnlich allzu verletzliche Menschen verbergen, die nur versuchen ihr Herz zu schützen? "Ich gebe meinen Zuhörern Hilfestellungen. Damit sie mal wieder ausatmen können."

Der afroamerikanische Kulturkritiker Kevin Powell geht in einem Essay zum Fall Chris Brown noch weiter: "Wir müssen all die Manifestationen von Sexismus um uns herum in Frage stellen - auch unsere Heldenverehrung von frauenverachtenden Rap-und Popstars. Nur wenn wir deren fiktionale Erzählungen maskulin dominierter Beziehungen durchschauen, können wir uns als Männer neu definieren!"

© SZ vom 30.3.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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