Neue Film-Festivalleitung:Not in Venedig

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Marco Müller wird neuer Filmchef in Venedig. Das dortige Festival zählt neben Cannes und Berlin immer noch zu den drei größten Europas, zeigt aber in letzter Zeit einen spektakulären Verschleiß seines Führungspersonals. Auch der neue Entscheider wurde quais holterdipolter gefunden.

Fritz Göttler

Zuletzt war es ähnlich wie beim eben ausgestandenen Kandidaten-Hickhack für die Wahl des Bundespräsidenten - man war heilfroh, dass die Sache endlich ausgestanden war, dass man sich auf einen Mann geeinigt hatte, und es schien erst mal egal, wer nun die nächsten vier Jahre das Filmfestival in Venedig leiten würde, das neben Cannes und Berlin immer noch zu den drei größten Europas zählt.

Müller ist ein Enthusiast, der auch andere begeistern kann, mit Liebe für Außenseiter. (Foto: Foto: dpa)

Angeblich waren Leute wie der Schauspieler Giancarlo Giannini oder Gabriel García Márquez im Gespräch gewesen.

Viele Wochen lang hatte man zuschauen müssen, wie der Stuhl von Moritz de Hadeln immer wackeliger wurde, in einem absurden Spiel politischer Ranküne. Zweimal hatte der Ex-Berlinale-Chef das Venedig-Fest ausrichten dürfen, durchaus erfolgreich, aber immer malträtiert von Berlusconis Kultur-Handlangern. Man wolle das Festival italienisieren, hieß es, möglichen Sponsoren öffnen.

Nun hat der Moritz also seine Schuldigkeit getan - und mit Verwunderung stellt man fest, dass mit Marco Müller eine noch stärker schillernde Figur die Nachfolge antreten soll. Erfahrung als Festivalchef hat er durchaus vorzuweisen, von 1986 bis 1989 hat er das Filmfestival in Pesaro, von 1989 bis 1991 das in Rotterdam, anschließend das in Locarno geleitet. 2000 verließ er den Festivalbetrieb und konzentrierte sich auf die internationale Filmproduktion.

Begonnen hatte es strikt akademisch. Marco Müller, Jahrgang 1953, geboren in Rom, aber italoschweizer Abstammung, studierte Orientalistik und Anthropologie in Italien und China. In China hat er auch promoviert, und die erste große Retrospektive, die er organisierte, war dem chinesischen Kino gewidmet, 1982 in Turin "Electric Shadows" (so wird in China das Kino genannt).

Die Liebe zum asiatischen Kino hat seine Arbeit bis heute bestimmt. 1980 hat er, nach einigen Jahren der Forschung und der Lehre, mit der Filmkritik angefangen und diverse TV-Dokumentationen gestaltet, für das italienische Fernsehen unf für den französischsprachigen Schweizer Sender TSR. Müller ist von allen Festivalchefs der produktivste, in Locarno hat er die Fondazione MonteCinemaVerità gegründet, die während des Festivals weltweit Koproduktionen fördert. Nach dem Weggang von Locarno hat er für die Fabrica gearbeitet, das Kommunikationszentrum von Benetton, und hier einige Filmproduktionen betreut, wie Moloch von Aleksander Sokurow, 1999, Schwarze Tafeln von Samira Makhmalbaf, 2000, oder No Man's Land von Danis Tanovic, der 2002 einen Oscar gewann.

Müller ist ein Enthusiast, der auch andere begeistern kann, mit Liebe für Außenseiter von Roger Corman bis Youssef Chahine. Wie stark er seine Cinephilie nun ausspielen kann, wird sich zeigen, er hat gerade mal ein paar Monate Zeit, um seinen ersten Durchgang zu organisieren. Und das A-Festival Venedig ist eine andere Klasse als die Cine-Paradiese von Rotterdam oder Locarno. Aber wenn es allzu bürokratisch wird im Berlusconi-Land, könnte er sich wieder an den Ursprung seiner Kinobegeisterung retten, nach China, zu den elektrischen Schatten.

© SZ v. 06./07.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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