Neu im Kino: "Ulzhan" von Volker Schlöndorff:Funkelnder Irrsinn

Volker Schlöndorff ging nach Osten und drehte den Western "Ulzhan - Das verlorene Licht". Darin gibt es auch ein Wiedersehen mit David Bennent aus "Die Blechtrommel".

Susan Vahabzadeh

Die langsame Enträtselung kann der Motor für eine schöne Geschichte sein, wie eine Gestalt sich langsam zusammensetzt, ein Charakter sich herausbildet, während man ihm zuschaut. Der Franzose Charles (Philippe Torreton) streicht langsam durch die kasachische Steppe zu Beginn von Volker Schlöndorffs "Ulzhan", will sich nicht mitnehmen lassen von freundlichen Lastwagenfahrern, sondern schweigend vor sich hinstapfen. Und mit jedem Schritt wird ein bisschen klarer, was er dort sucht; wie die Einsamkeit, die Bindungslosigkeit ihn schützen sollen, weil jede Bindung Verletzung birgt und Verlust.

Neu im Kino: "Ulzhan" von Volker Schlöndorff: Philippe Torreton und Ayanat Ksenbai im Drama "Ulzhan - Das vergessene Licht" von Volker Schloendorff.

Philippe Torreton und Ayanat Ksenbai im Drama "Ulzhan - Das vergessene Licht" von Volker Schloendorff.

(Foto: Foto: ddp)

Charles wird dann erst mal festgenommen und nach Astana geschafft, der Industriespionage verdächtigt, aber er geht weiter, immer weiter nach Osten, und liest doch auf dem Weg zwei Menschen auf, die ihn begleiten. Zwei wunderbare Feengestalten - erst mal Shakuni (David Bennent), den Worthändler, der seine Weisheiten eintauscht gegen Nahrung, was ein schöner Handel ist; und dann, weil der Weg immer beschwerlicher wird, kauft er ein Pferd von einer kasachischen Elfe, die ihm folgt. Ayanat Ksenbai spielt diese Ulzhan - das Reizvolle an ihr ist, dass sie alles ist: guter Geist und doch bodenständig, eine, die immer zu wissen scheint, worum es wirklich im Leben geht.

"Ulzhan" führt zwei Veteranen zusammen, die immer wieder zusammengearbeitet haben, Schlöndorff und den Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, auf den er von der " Blechtrommel" bis zum "Unhold" immer wieder zurückkam. Überhaupt kommt Schlöndorff ja gerne auf etwas zurück, Schauspieler und Autoren - und er demonstriert hier, dass er immer noch David Bennents funkelnden Irrsinn am besten zu dosieren weiß.

Charles, auf der Flucht vor seinem Schmerz, ist Schlöndorffs "Searcher", und "Ulzhan" ist ein wunderschön gefilmter, gespiegelter Western - heute, im Osten, in einer Welt, die nicht mehr unberührt ist, sondern die die Spuren trägt der gescheiterten Gesellschaftsentwürfe, die sie verändert haben. Charles übernachtet in einem verlassenen Lager aus der Sowjet-Ära, der große Showdown mit dem Sinn des Lebens findet auf einem verseuchten Atomraketentestgebiet statt; und auf der anderen Seite Astana, die Stadt, die der neue Kapitalismus geschaffen hat, der das wenige Brauchbare, was die Vergangenheit geschaffen hat, durch nichts ersetzt. Und irgendwo dazwischen die Nomaden, die beides zu sesshaften Phantomen gemacht hat.

Astana sieht aus, als hätte George Lucas die Stadt aus dem Boden stampfen lassen für eine seiner "Star Wars"-Episoden - das hat Schlöndorff natürlich nicht getan, er hat diese pompöse Kulisse so vorgefunden, und sie ist tatsächlich so marode wie eine für gerade mal drei Monate Haltbarkeit gebastelte Lucastown, die Wohnungen hinter den glitzernden Fassaden sind unbewohnbar. Auch diese Assoziation ergibt eine hübsche Spiegelung - Lucas hat sich seinerzeit wie Schlöndorff heute von Fords "Searchers" verleiten lassen zu "Star Wars" - zur Erkenntnis, dass nur da, wo das Land ganz offen ist, der Horizont weit genug weg ist zum Träumen.

In Schlöndorffs kasachischer Steppe laufen alle Mythologien zusammen. Einmal hat Charles eine Vision von persischen Christen, die sich vor Urzeiten auf denselben Weg gemacht haben, auf der Suche nach einem paradiesischen Ort, den es nicht gab. Diese Geschichte benutzt Charles als Vorwand, wenn er erklären soll, wohin er eigentlich will; denn er kann nicht begreifen, dass er das einzige, wonach es sich zu suchen lohnt, längst gefunden hat.

ULZHAN, D/F/Kasachstan 2007 - Regie: Volker Schlöndorff. Buch: Jean-Claude Carrière. Kamera: Tom Fährmann. Musik: Bruno Coulais, Kuet Shildebaev. Mit: Philippe Torreton, Ayanat Ksenbai, David Bennent, Vladimir Aryskin, Tanyrbergen Berdongarov, Marek Brodzki. X Verleih, 105 Minuten.

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