Neu im Kino: "Things We Lost In The Fire":Eine Kugel zuviel

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Als er für seine Kinder ein Eis holen will, wird ein Mann zufällig auf der Straße erschossen: In "Things We Lost In The Fire" spielen Halle Berry und Benicio Del Toro zwischen abgrundtiefer Verstörung und der Suche nach Nähe.

Rainer Gansera

Gute Filmemacher haben viele Ideen, große Filmemacher eine einzige. Das Signum ihrer Œuvres ist nicht Extension, sondern Intensität. Die dänische, aus dem Umkreis der Dogma-Bewegung hervorgegangene Filmemacherin Susanne Bier fand mit "Open Hearts" (2002) ihr Thema, formulierte es neu und bezwingend in "Brothers" (2004) und im oscarnominierten "Nach der Hochzeit" (2006).

Zwischen Verlust und Hingabe: Halle Berry und Benicio Del Toro in "Things We Lost In the Fire". (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Es ist, in ihren Worten: "Das Empfinden für die Nähe potentieller Katastrophen, für die prinzipielle Gefährdung der menschlichen Existenz. Mich beschäftigt die Frage: Was geschieht, wenn Menschen, deren Leben in sicheren, glücklichen Bahnen zu verlaufen scheint, plötzlich mit dem Unvorhersehbaren konfrontiert werden. Wie hilflos und konfus verhalten sie sich da?"

Zwei brillant agierende Stars

Bei ihrem ersten englischsprachigen Film bleibt sie ihrem Thema in souveränster Weise treu und nutzt die Chance, es mit zwei brillant agierenden Stars - Halle Berry und Benicio Del Toro - auszuformen.

Das Leben, das in sicheren, glücklichen Bahnen verläuft: Hier erscheint es als Beinahe-Idylle. Mit einem liebenswert-sanften Ehemann, Brian Burke (David Duchovny), der es als Immobilienhändler zu Wohlstand gebracht hat und seit elf Jahren mit der bildschönen Audrey (Halle Berry) verheiratet ist.

Dazu zwei aufgeweckte Kinder und eine geräumige Middleclass-Villa am Stadtrand Seattles. Dann die Katastrophe: ein zufälliger, "sinnloser" Tod. Brian will seinen Kindern Eis holen gehen, sieht auf der Straße ein heftig streitendes Paar, möchte der Frau zu Hilfe eilen, wird vom Mann erschossen.

Albtraumhaft

Der Beginn des Films schildert das familiäre Leben und die Katastrophe in einer wilden, aufwühlenden Montage aus Rückblenden und albtraumhaften Bildfragmenten. So wird Audreys Trauma schon im Erzählstil evoziert.

Bis Jerry Sunborne (Benicio Del Toro) bei der Begräbnisfeier die Szenerie betritt, und die Erzählung mit ihm zu einer wundersam besänftigenden Ruhe und Linearität findet.

Jerry ist ein heroinsüchtiger Ex-Anwalt, der in Brian, seinem Freund aus Kindertagen, den einzigen Menschen hatte, der noch zu ihm hielt. Der Schock von Brians Tod rüttelt Jerry aus seinem Selbstzerstörungstrip auf.

Dieser Junkie

Audrey begegnet Jerry mit tiefem Misstrauen, sie war nie damit einverstanden, das ihr Mann den Kontakt zu "diesem Junkie" aufrechterhielt. Jetzt aber bietet sie Jerry an, in die umgebaute Garage einzuziehen, und mit dem, was sich fortan zwischen beiden abspielt, tastet sich der Film zu seinem Herzstück vor.

Halle Berry spannt die Gefühlsbögen weit auf zwischen abgrundtiefer Verstörung und der Suche nach Jerrys Nähe, in der sie sich etwas vom Andenken an ihren Mann bewahren will.

Den faszinierenderen, ergreifenderen Part aber hat Benicio Del Toro. Immer schon zeigte sich Del Toro als Ausnahmedarsteller (zum Beispiel in "Basquiat", "Traffic", "Sin City"), in Cannes wurde er jüngst für seine Titelrolle als Steven Soderberghs "Che" ausgezeichnet, hier aber übertrifft er sich selbst. Wie er es schafft, mit jeder Körperfaser den Sog der Sucht spürbar zu machen, wie er dabei der Jerry-Figur doch auch Charme, Witz und sogar etwas wie kindliche Unschuld verleihen kann, das verfolgt man mit atemloser Spannung und großem, begeistertem Staunen.

Unbegreiflich

Truffaut beschrieb einmal den Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Kino etwas schematisch, die Ausnahmen ignorierend, aber doch im Kern erhellend so: Amerikanisches Kino zeige Triumphe des Willens, also Du-kriegst-was-du-fest-genug-willst-Helden, europäisches Kino aber schildere Menschen, deren Wollen bis in die Wurzeln hinein verstört ist.

Auch bei ihrem ersten US-Film erweist sich Susanne Bier als europäische Filmemacherin par excellence. Sie schreibt unbeirrt und leidenschaftlich ihr Katastrophen-Thema fort, zeichnet Figuren, die einem unbegreiflichen Schicksal ausgesetzt sind, die taumeln, verzweifeln, nach Hoffnungsankern suchen, und dringt mit dem großartigen Benicio Del Toro in das Drama jener existentiellen Momente vor, in denen sich das Leben dem Willenszugriff fundamental entzieht.

THINGS WE LOST IN THE FIRE, USA 2007 - Regie: Susanne Bier. Buch: Allan Loeb. Kamera: Tom Stern. Mit: Halle Berry, Benicio Del Toro, David Duchovny, Alison Lohman. Universal, 117 Minuten.

Außerdem laufen an:

The Eye, von D. Moreau, X. Palud

Interview, von Steve Buscemi

Sex And The City - The Movie, von Michael P. King

Standard Operating Procedure, von Errol Morris

© SZ vom 29.5.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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