Neu im Kino: "The Happening":Fanatiker der Liebe

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Wenn das Ende der Menschheit naht, hilft nur noch die Abkehr vom Rationalen: In seinem neuen Rätsel-Thriller sucht M. Night Shyamalan die Überwindung des Bösen in einer unbedingten Hingabe an das Gefühl.

Doris Kuhn

Es ist ein Leichtes, sich über die Filme von M. Night Shyamalan lustig zu machen. Seit 1999 seine zweite Regiearbeit "The Sixth Sense" einschlug und einen deutlichen Abdruck in der Erinnerung und in der Filmgeschichte hinterließ, erzählt er von merkwürdigen, möglicherweise übernatürlichen Phänomenen, die ohne Vorankündigung ins gewöhnliche Leben einbrechen und bedrohliche Krisen hervorrufen, die dann aber in einer Schlusspointe durchaus einleuchtend erklärt werden können. So lässig und stimmig wie damals funktioniert das inzwischen aber schon länger nicht mehr.

Das mag am märchenhaften Ansatz Shyamalans liegen. Es ist offensichtlich einfach, im Kino Zombies zuzuschauen, die den Rest der Bevölkerung als Nahrungsreserve betrachten - einfach und auch lustig, denn ein Zombie ist leicht zu verstehen und auch leicht zu bekämpfen, vorausgesetzt, man hat keine Skrupel, ihm ungeniert den Kopf wegzuballern.

Einbrüche in den Alltag

Das Märchen aber erzählt vom Fabelhaften und vom Wunderbaren, von Einbrüchen in den Alltag, die keine ganz eindeutige Erklärung finden, und schon wird es schwieriger mit der Akzeptanz.

Egal ob eine Geschichte zur Mahnung der Kinder dient, wie das Monster in "The Village", oder ob sie mit den Wirkungsmöglichkeiten eines unbeirrbaren Glaubens spielt, wie die Nixe seines letzten, nicht wenig verlachten Films "Das Mädchen aus dem Wasser" - für das Publikum scheint das Terrain schwankender zu werden, je mehr hinter den Filmen ein Lehrstück erkennbar wird, und ein ernstgemeintes dazu. Lehrstücke über die Angst und über die Liebe sind jedoch genau das, was Shyamalan zeigt.

Wie Märchen kennen auch seine Filme wenig Gnade mit ihren Figuren. An Grausamkeiten wird nicht gespart, nicht bei Kindern, Frauen oder Hundebesitzern, wie eben hier, in "The Happening", Shyamalans neuestem, bis zum letzten Moment geheimgehaltenen Entwurf über ein großes Sterben an der Ostküste Amerikas.

Autofahrer rasen gegen den nächsten Baum

Für einen kurzen Augenblick ist alles normal, im Central Park, New York City, um acht Uhr dreiunddreißig. Dann beginnen frühmorgendliche Passanten wirr zu sprechen, halten inne auf ihren Wegen und werden gewalttätig, in ganz ungewohnter Weise: nicht gegeneinander, sondern gegen sich selbst.

Bauarbeiter stellen sich auf hohe Gerüste und springen in den Tod, konzentriert und ohne den Schatten einer inneren Unstimmigkeit; lesende Mädchen zweckentfremden ihre Haarnadeln auf unschöne Art, Autofahrer rasen gegen den nächsten Baum.

Das sind Szenen von gruseliger Intensität, die ahnen lassen, wie furchterregend es werden könnte im Genrefilm, wenn den Figuren dort nicht die Chance gelassen würde, ihre Aggressionen gegeneinander zu richten: Die hier gezeigte Todessehnsucht wirkt weitaus unheimlicher als der gängige, extrovertierte Überlebenswille.

Flucht ins Umland

Ohne erkennbare Ursache beginnt also die Katastrophe und breitet sich mit hoher Geschwindigkeit über New York hinweg aus. Was dabei eine Rolle zu spielen scheint, ist der Wind, der mit frevelhafter Poesie durch die Städte weht, hinaus aufs Land, auf demselben Weg wie die Menschen, die versuchen, sich vor dem Unerklärlichen zu retten.

Vom Großen ins immer Kleinere führt dabei der Film, von der Masse zu Gruppen und Grüppchen mit immer weniger Personen, und was Shyamalan dabei interessiert, ist nicht der gleichbleibende Effekt des unbekannten Übels, sondern die sich ständig verändernde Reaktion der Betroffenen.

Verwirrung und wilde Flucht beobachtet er, gefolgt von Versuchen der Analyse und gemeinsamer Bewältigung, schließlich die Aufsplitterung der Gruppen zu Einzelkämpfern, wie eine Rückwärtsbewegung in die Zeit der frontier.

Vom Vororthaushalt zur Redneck-Farm

Die Flucht führt ein liebendes Paar (Mark Wahlberg und Zooey Deschanel) und ein achtjähriges Mädchen von Philadelphia, Shyamalans Heimatstadt, ins Umland, wobei sie, gar nicht metaphorisch, verschiedene amerikanische Lebensmodelle durchqueren - den gutbürgerlichen Vorortshaushalt, das Militär, die Redneck-Farm, die Einsiedelei in der Wildnis.

Kommentiert wird jeder dieser Entwürfe, erstaunlich kompromisslos zeigt Shyamalan deren geringes Potential im Falle einer Notlage, in welcher Tatkraft, Entscheidungswille oder auch bloß Mitgefühl gefordert sind.

Grandios ist an einer dieser Stationen ein kleiner Ausflug in die wunderbare Welt eines Plastik-Musterhaushalts, der so selbstverständlich bereits die Wirklichkeit vereinnahmt, dass der Held das echte Leben kaum mehr vom nachgestellten unterscheiden kann.

Lösungsmöglichkeiten

Gleichzeitig beschreiben diese verschiedenen Stationen jeweils Lösungsmöglichkeiten, die dem nahenden Ende der Menschheit Widerstand entgegensetzen könnten.

Was Shyamalan aber letztlich fordert, von seinen Figuren wie von seinen Zuschauern, ist die Abkehr vom Rationalen. Er ist ein Fanatiker der Liebe, er sucht die Überwindung des Bösen in einer unbedingten Hingabe ans Gefühl. Das ist weitaus mehr, als das durchschnittliche Unterhaltungskino verlangt, bei allem Beziehungsoptimismus, den es ständig serviert, und es ist auch das, was von Shyamalans Filmen länger haften bleibt als seine traditionelle, diesmal gar nicht uninteressante, Schlusspointe.

The Happening, USA 2008 - Regie, Buch, Schnitt: M. Night Shyamalan. Kamera: Tak Fujimoto. Mit Mark Wahlberg, Zooey Deschanel, Ashlyn Sanchez, John Leguizamo. Verleih: Fox, 91 Minuten.

© SZ vom 12.06.2008pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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