Neu im Kino: "Speed Racer":Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins

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Nach "King Kong" und "Jurassic Park": Das Symptom "Speed Racer" beraubt das Actionkino seiner wichtigsten Tradition - der Körperlichkeit.

Tobias Kniebe

Vorname Speed, Nachname Racer. So heißen Comicfiguren für die ganze Familie, die gern Gas geben und lustige Autorennen fahren, bonbonbunt und schlicht von Gemüt, aber immer im Kampf für das Gute. Der Film "Speed Racer" wäre also nicht weiter der Rede wert - hätten nicht Larry und Andy Wachowski Regie geführt. Seit ihrem Blockbuster "The Matrix" haben sie alles Geld der Welt und stehen unter verschärfter Beobachtung: Halb Hollywood orientiert sich an ihren Computertricks und visuellen Effekten, die auch diesmal wieder als "nie gesehen", "bahnbrechend" und "wegweisend" gepriesen werden. In gewisser Weise stimmt das sogar - aber der Weg, den sie weisen, führt nun ziemlich direkt ins Verderben.

Digitale Animation trifft auf bekannte Wirklichkeit: Steven Spielbergs "Jurassic Park". (Foto: Foto: oH)

Oder zumindest in ein multimediales, rundum verpixeltes Kinderzimmer, in dem man staunend feststellen muss, dass man fürs Kino nun endgültig zu alt geworden ist. Wo Rennwagen mit 600 km/h über riesige Carrerabahnen rasen, ohne je greifbarer zu sein als bunte Schatten, wo sie zusammenprallen und auseinanderfliegen, ohne dass man eine Kollision spürt, wo man sich im Inneren eines Computerspiels wiederfindet, das gar kein Außen mehr kennt - da verlässt man das Kino so unbewegt wie nur selten zuvor.

Das Problem ist dabei nicht die digitale Künstlichkeit, denn digital und künstlich ist heute alles. "Speed Racer" aber bricht mit einer Tradition, die gerade die Filmemacher der Aktion, der Kinetik und der Geschwindigkeit immer geprägt und groß gemacht hat: das Versprechen, dass man die Kräfte, die auf der Leinwand entfesselt werden, auch am eigenen Körper spüren darf.

Die Leinwand durchbrechen

Denn die Körperlosigkeit, das Gefühl, keine Substanz zu haben, ist vielleicht das Ur-Problem des Kinos überhaupt. Nur Licht und Schatten auf einer dünnen Leinwand, eine ungreifbare, flackernde Illusion. Wer würde glauben, was dort zu sehen ist? Selbst der Eindruck der Bewegung ist nur ein Trick, mit dem das Auge ständig von Neuem überlistet wird, ein einziger Spezialeffekt von Anfang an.

Aber dann kommt dieser Triumph in der oft beschworenen Vorführung der Brüder Lumière, 1895, wo das Bild des heranfahrenden Zugs im Gare La Ciotat die Zuschauer von den Sitzen reißt. Sie sind die ersten Zeugen dafür, dass dieses flackernde Licht eine Wucht hat, gewaltige Triebkräfte und tonnenschwere Massen suggerieren kann, dass die Macht seiner Bilder immer auch darauf zielt, das dünne Gewebe der Leinwand zu durchbrechen.

Im Kino der Aktion wird es künftig darum gehen, diese erste, unschuldige Reaktion zurückzuholen und von Neuem spürbar zu machen - während die Zuschauer zugleich entschlossen sind, nicht noch einmal darauf hereinzufallen. So werden die Behauptungen bald immer dreister, die das Kino aufstellt, die Illusionsmaschine beginnt ihre große Aufrüstung. Die erste Eisenbahn-Kollision mit Miniaturmodellen wird schon im Jahr 1900 gedreht, zwei Jahre später fliegt Georges Méliès bereits zum Mond, und 1925 betreten die ersten Dinosaurier die Szene.

Man kann die Kinogeschichte also durchaus als den Versuch beschreiben, die Zuschauer immer wieder vom Sitz zu reißen, sie auf eine Achterbahnfahrt mitzunehmen, bei der die Anspannung der Augen auf den Rest des Körpers überspringt. Die großen technischen Innovationen, der Ton, die Riesenleinwand, die das ganze Gesichtsfeld ausfüllt, das tiefe Vibrieren der Dolby-Surround-Bässe - sie dienen letztlich vor allem diesem Zweck.

Oberflächlich betrachtet versucht auch "Speed Racer" nichts anderes: Das Spiel der ewigen Überbietung noch ein Stück weiter zu treiben, noch höhere Geschwindigkeiten, Schub- und Fliehkräfte zu mobilisieren, noch spektakulärere Karambolagen zu zeigen. Aber etwas ist in diesem Moment endgültig umgekippt, hat sich von allen Traditionen abgekoppelt, existiert plötzlich wieder nur als Behauptung aus bunten Pixeln und flackerndem Licht. Wer soll noch glauben, was man da sieht? Die Kids vielleicht, die es von ihren Computerspielen nicht mehr anders gewohnt sind. Wenn das funktioniert, wenn der Kampf um die Substanz der Bilder nun ganz unnötig geworden ist, geht ein großer und nobler Wettstreit zu Ende.

Große Künstler haben diesen Wettstreit vorangetrieben. Nehmen wir "King Kong", den ersten, aus dem Jahr 1933, und seinen Trickfilmmagier Willis O'Brien. Er arbeitet mit diesem beweglichen Modell-Affen, mit Fell bezogen und mit Holzwolle gefüllt, der aber turmhoch und tonnenschwer erscheinen muss, sonst wird der ganze Aufwand vergeblich sein. Was tut man nicht alles für diese Illusion! Bevor der Affe überhaupt auftaucht, schwanken und brechen erst einmal die Baumkronen im Urwald: Man muss seine Masse ahnen, ihre Auswirkungen studieren, noch bevor man ihn sieht.

Auf der nächsten Seite: Nach "King Kong" und "Jurassic Park" - Was passiert, wenn die entfesselte Kraft den Zuschauer nicht mehr mitreißen kann.

Später kämpft Kong auf Leben und Tod mit einem T-Rex, Modellfigur gegen Modellfigur, doch die Statik ihrer Puppenkörper ist perfekt bis hin zum Judo-Überwurf. Dann reißt der Affe dem Saurier das Maul auseinander, mit scheinbar titanischer Anstrengung, und - das ist der genialste Touch - prüft anschließend nachdenklich den Widerstand der gebrochenen Knochen: Es ist keiner mehr da, der Kiefer hängt schlaff herab. Und dann der Moment am Schluss, wo King Kong fallend an der Kante des Empire State Building aufschlägt, beim Sturz in die Tiefe noch einmal um die eigene Achse rotiert. Kraft und Masse, Druck und Gegendruck, das wird hier so deutlich spürbar, dass man "Autsch!" rufen möchte.

Seit "The Matrix" gelten die filmschaffenden Wachowski-Brüder als "wegweisend" auf dem Gebiet der visuellen Effekte. (Foto: Foto: Warner Bros.)

Die Gefahr, dass die Kraft nicht überspringt, die Zuschauer sich nicht überzeugen lassen, Sperrholz und Pappmaché ahnen, die unerträgliche Leichtigkeit der Filmkunst - sie sitzt den Meistern des Actionkinos seit jeher im Nacken. Nur deshalb muss Steve McQueen in "Bullitt" selbst ans Steuer; nur deshalb besteht er darauf, über die steilsten Straßen von San Francisco zu brettern, die Stoßdämpfer zu quälen, die Funken sprühen zu lassen, noch das Letzte an Fliehkraft und Reifenabrieb in die Bilder zu packen: This is not a trick!

Oder Gene Hackman in "French Connection": Der erste Zusammenstoß zerstört seinen Wagen halb, der zweite macht ihn zum fahrenden Wrack, und genauso muss es sein, damit eben niemand auf die Idee kommt, dass hier nur das Bild eines Autos mit dem Bild eines Brückenpfeilers kollidiert. Obwohl das ja exakt der Vorgang ist, den die Leinwand zeigt. Auf eine Weise ist also "Speed Racer" ein ehrlicher Actionfilm: Weil sich hier niemand mehr die Mühe macht, auf der Illusion zu beharren, und weil zwei Festkörper zur Not auch denselben Raum zugleich einnehmen können: Die gepixelten Autos, so scheint es, fahren manchmal auch einfach durch einander hindurch.

Wobei es natürlich nie darum ging, sich sklavisch an die Regeln der Physik zu halten. Wenn am Anfang von George Lucas' "Star Wars" der riesige Sternenzerstörer über den Köpfen der Zuschauer einschwebt, vibriert das Kino im tieffrequenten Rumpeln, die raumgreifende Körperlichkeit dieser Szene packt alles - und selbstverständlich spielt es dabei keine Rolle, dass im Weltall überhaupt kein Schall existiert, dass Geräusche sich gar nicht fortpflanzen.

Der Eindruck ist trotzdem unauslöschlich, von ähnlicher Wucht wie das Duell in "Jaws" zwei Jahre zuvor, wo Steven Spielberg einen Fischkutter und einen Weißen Hai aufeinander losließ. So schlecht die Tricktechnik damals auch noch funktioniert hat - Spielberg gelingt es mit der Spannung von Tau und Harpune, mit Druck- und Zugkräften, mit berstenden Planken und platzenden Beschlägen die Präsenz des Riesenfischs für alle Zeit spürbar zu machen. Im Anschluss wird er einer der größten Meister im physischen Kino überhaupt - was man besonders in dem Moment erleben kann, in dem er sich in digitale Welten hineinwagt.

Ein rührendes Zeugnis

So ist sein erster "Jurassic Park" heute ein rührendes Zeugnis handwerklicher Sorgfalt, eine große Bitte an die Zuschauer, doch bitte auch der Körperlichkeit der neuen Pixelgeschöpfe zu vertrauen. Bevor überhaupt ein T-Rex auftauchen darf, erschüttert sein Stampfen das Kino, zittert das Wasser im Trinkbecher. Später dann, wenn die Bestie Jagd auf Menschen macht, muss sie unbedingt noch einen morschen Ast mitreißen, der nur scheinbar zufällig ins Bild ragt: Das Medium der digitalen Animation ist neu, jede Einstellung sucht noch den Kontakt mit der bekannten Wirklichkeit, will sich absichern gegen den Vorwurf, zu leicht und zu flach zu sein.

Auch James Cameron ist so einer, dem das immer wichtig war. Seinen zweiten "Terminator", den digitalen Flüssigkeitmetall-Mann, umgibt er sorgsam mit Monstertrucks, Stahlfabriken, gewaltigen Karambolagen und Arnold Schwarzenegger - schwerstmöglicher Ballast gewissermaßen, um die Geschichte vor dem Abheben zu bewahren.

Gerade haben diese zwei wieder im Action-Genre gedreht, Spielberg den vierten "Indiana Jones", James Cameron "Avatar", sogar in 3-D. Viel wird davon abhängen, ob sie dem Wachowski-Irrsinn noch trotzen wollen, ob sie entschlossen sind, die Tradition des kinetischen Kinos hochzuhalten. Denn die Zukunft gehört natürlich anderen, und einer wie Peter Jackson, der erdverbundene Neuseeland-Hobbit, ist bei seinem "King Kong"-Remake bereits eingeknickt.

Die Matrix ist überall

Da gibt es die sogenannte Brontosaurus-Stampede, eine trampelnde Herde aus tonnenschweren, langhalsigen Urviechern, Fleischmasse in einer engen Schlucht. Eigentlich ein Beispiel der alten Schule: Gerade weil unsere Pixel nichts wiegen, geht nichts über die Entfesselung solcher Gewichte. Zugleich aber rennen Menschen zwischen den Beinen der Saurier herum, die dort rein physikalisch nicht sein können. Die Angst des Filmemachers, sich mit seinen Tricks lächerlich zu machen, zählt dabei nicht mehr. Denn größer ist offenbar die Angst, die Kids zu langweilen - und im Achselzucken des "Alles- schon-gesehen" unterzugehen.

Das treibt erkennbar auch die Wachowski-Brüder an. Ihr Ruhm beruht ironischerweise auf der "Matrix"-Idee - auf dem unabweisbaren Verdacht, dass wir längst in einem Pixeluniversum leben, in dem die Maschinen die Macht übernommen haben und uns eine hyperrealistische Scheinwelt nur noch vorgaukeln.

Damals musste die Illusion noch perfekt sein, denn am Ende stand die Idee von Ausbruch und Rebellion - und die Wiederentdeckung des Körpers. "Speed Racer" dagegen ist eine Matrix, deren Künstlichkeit evident sein darf. So quietschbunt und harmlos und schwerelos ist diese Welt, dass niemand an Ausbruch auch nur denken würde - selbst wenn sie noch einen Ausgang hätte.

© SZ vom 07.05.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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