Neu im Kino: "Happy-Go-Lucky":Wer froh ist, ist ein König

Lesezeit: 4 min

Diese Komödie hat etwas von einem sozialen Experiment: Eine Gesellschaft, die Zynismus toleriert und Ironie liebt, trifft auf eine Frau, der beides fremd ist.

Susan Vahabzadeh

Eigentlich ist Poppy alles andere als ein Glückskind. In den ersten paar Minuten von Mike Leighs "Happy-Go-Lucky" wird sie von einem schlechtgelaunten Buchhändler gedisst, man klaut ihr das Fahrrad, und ihre Schwester bleibt über Nacht und schnarcht.

Eine unmögliche Person: Pauline alias Poppy (Sally Hawkins) albert herum. (Foto: Foto: AP/Tobis)

Das Besondere an Poppy ist, dass nichts davon ihr sonniges Gemüt beeinträchtigen kann. Sie wünscht dem Buchhändler bessere Laune und bedauert, dass sie dem Fahrrad nicht Lebewohl sagen konnte. Und sie sieht bei all dem aus, als wären für ihr Outfit mindestens zwei Dutzend Papageien gestorben.

Poppy ist eine unmögliche Person, im Film wie im richtigen Leben; dafür, dass Sally Hawkins sie trotzdem irgendwie hinbekommen hat, wurde sie bei der diesjährigen Berlinale mit dem Darsteller-Bären ausgezeichnet.

Im Grenzbereich zur Nervensäge

Poppy schliddert zwei Stunden lang, mehr oder weniger erfolgreich, im Grenzbereich zur Nervensäge herum, und natürlich ist sich Mike Leigh bewusst, dass man manchmal nicht weiß, ob man sie knutschen oder knebeln möchte.

Sie kichert und quietscht, spricht in Cartoon-Stimmen, klappert mit ihrem Plastikschmuck, hat permanent einen kecken Spruch parat und ein paar banale Weisheiten, und sie legt ein übertrieben unterstützendes Kommunikationsverhalten an den Tag.

Sie lacht über schlechte Witze und bedauert einen bei Nichtigkeiten. Menschen, die so nett sind, wirken dumm und oberflächlich; man könnte anfangs Poppy mit einer Frau verwechseln, der alles leichtfällt, und "Happy-Go-Lucky"mit einer leichten Komödie; aber der Weg, den sie für sich gewählt hat, ist sogar besonders schwer.

Der Kampf ist die ganze Zeit präsent

Es ist nicht so, dass ihr das Schicksal Freiheiten einräumt; ihre gute Laune ist eine Haltung zum Leben, die sie ständig verteidigen muss. Und die Tiefe, die diese Figur zauberhaft macht, die bekommt sie erst, wenn die glückliche Fassade Risse zeigt, man ihre Anstrengung, ihre Selbstbeherrschung ahnen kann.

Poppy ist dreißig, lebt immer noch mit ihrer besten Freundin aus Studienzeiten und arbeitet als Lehrerin in einer Londoner Grundschule, und wir begleiten sie ein paar Wochen lang durch ihren Alltag, ohne Zuspitzung - derer bedarf es gar nicht, denn das Problem, der Kampf, um den es hier geht, ist die ganze Zeit präsent.

Sie begegnet nachts einem verwirrten Obdachlosen und bleibt ein bisschen bei ihm, statt einfach weiterzugehen, vorsichtig, aber der Mut siegt; und die Komödie verliert alle Leichtigkeit, wird traurig und schwer, wenn er ins Dunkel davongeht, seinen Ängsten entgegen.

Kein Ausweg aus dem gegenteiligen Lebensentwurf

Es gibt noch einen, an dem sie scheitert mit ihrer Freundlichkeit. Poppy nimmt Fahrstunden und gerät dabei an den Fahrlehrer Scott, der brüllt und flucht und ein Gefangener ist seines seltsamen Regelwerks. Auch den kann sie nicht zu einem glücklichen Menschen machen.

Aber in der Konfrontation sieht man, wie trost- und ausweglos der gegenteilige Lebensentwurf ist - und wie wenig Sinn er ergibt, für niemanden, und am allerwenigsten für den, der ihn lebt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Poppy eine der ehrlichsten Kinofiguren seit langem ist.

Am deutlichsten sieht man in der Schule, welche Auswirkungen es hätte, würde ihre positive Energie wegbrechen, würde sie ein Problemkind aufgeben - es würde sie zu einem ohnmächtigen Verwalter von Kindersorgen machen. Ermutigen, beistehen, das ist sowieso alles, was sie dort tun kann. Darum geht es Mike Leigh in dieser Geschichte - ob permanente Betroffenheit nichts anderes ist als ohnmächtige Sorgenverwaltung.

Happy go lucky ... so wie Poppys Leben von den Wendungen des Schicksals bestimmt zu sein scheint, wirkt auch der Film wie eine Freistilübung, die sich beim genauen Hinsehen als akribisch durchgeplant erweist.

Vorbilder aus dem richtigen Leben

Was passiert, wenn man eine wie Poppy aufs Publikum loslässt oder besser noch auf die ganze Welt, wie sehr kann sie uns in unserer Vorstellung von Vernunft und erwachsenem Verhalten erschüttern, von angemessener Reaktion?

"Happy-Go-Lucky" hat etwas von einem sozialen Experiment im Komödiengewand. Eine Gesellschaft, die Zynismus toleriert und die Ironie liebt, trifft auf eine Frau, der beides fremd ist. Was Poppy zu einer der ehrlichsten, geradlinigsten Kinofiguren seit langem macht; und einen überlegen lässt, ob es nicht diese Geradlinigkeit ist, die Leigh mit ihr einfordert.

Von der Last, die ein großes Herz mit sich bringt, hat Leigh schon früher gern erzählt, am klarsten in seinem Venedig-Sieger "Vera Drake", dessen Heldin nicht aus Geldgier, sondern aus Mitleid Engelmacherin ist.

Leigh schreibt keine bis ins Detail ausgearbeiteten Drehbücher, er gibt das Ende seiner Geschichten nicht preis, bevor es gedreht ist, bereitet mit den Schauspielern aber sehr gründlich ihre Rollen vor - sie müssen sich Vorbilder aus ihrem richtigen Leben für die Figuren suchen.

Psychologische Meisterleistungen

Am Set lässt Leigh sie dann agieren, wie es ihnen in der Situation ihrer Figur angemessen erscheint. Es kommen manchmal spektakuläre Momente dabei heraus, wie jener in "Secrets and Lies", wenn die beiden Protagonistinnen das erste Mal sich begegnen, Mutter und Tochter - und mit ihnen die Schauspielerinnen - herausfinden, dass die eine weiß und die andere schwarz ist.

Was bei diesem Verfahren für psychologische Meisterleistungen herauskommen, kann man am ehesten am emotionalen Ausbruch des Fahrlehrers Scott erkennen. Zunächst ist der nur ein miesepetriger Freak, ein lächerlicher Verlierer, dem man für seine schlechte Laune fast vergeben will.

Wenn er gegen das System loswettert - man ahnt, dass er sich in Poppy verknallt hat -, ist das komisch, aber sein großer Monolog wird so irre, rassistisch, bedrohlich und surreal, dass die Amüsiertheit, die die Szene anfangs auslöst, in Unbehagen umschlägt.

Formwandler aus der vierten Dimension

Da ist sie plötzlich, diese Ohnmacht, aus der Wut entsteht. Eddie Marsan, der Scott spielt, erzählt, dass er ihn auf jemandem aufbaute, den er seit Jahren nicht gesehen hatte - und von dem er später erfuhr, dass er inzwischen ein glühender Anhänger des britischen Verschwörungstheoretikers David Icke ist, der unter anderem glaubt, die Erde werde von Formwandlern aus der vierten Dimension beherrscht. Genau der richtige Guru für Scott.

Happy-Go-Lucky, GB 2008 - Regie, Buch: Mike Leigh. Kamera: Dick Pope. Musik: Gary Yershon. Mit: Sally Hawkins, Alexis Zegerman, Kate O'Flynn, Eddie Marsan. Tobis, 118 Minuten.

© SZ vom 02.07.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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