Neu im Kino:Finish der Phantasie

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Gut im Rennen - mit "Seabiscuit" besinnt sich Hollywood auf alte Tugenden.

Von Fritz Göttler

Verblüffend ist es, rührend und ein wenig grotesk, wie Jeff Bridges daherkommt in den ersten Szenen dieses Films. Er ist als junger Spund zurechtgemacht, ein Lehrbub des Lebens, der mit wachem Blick seine Umwelt beobachtet, der aufmerksam registriert, was es an Entwicklungen und Erfindungen gibt, und ein Gespür dafür hat, wie erfolgsträchtig das alles sein mag.

Das Pferd ist zu klein und der Jockey zu groß - Tobey Maguire im Film "Seabiscuit". (Foto: Foto: Imagenet/UIP)

Mit Fahrradreparaturen beweist er fürs Erste seine Geschicklichkeit, aber dann wird er von dem neuen Medium fasziniert - dem Automobil. Er baut die Buick-Vertretung auf in San Francisco und wird lässig zum Millionär.

Zeitverschiebungen, Rhythmusverlagerungen, Anachronismen, der Film ist voll davon, er lebt von ihnen. An Tom Sawyer erinnert Bridges in diesen ersten Momenten, ein wenig auch an Dickens-Figuren, und dass es sich dabei um eine Camouflage, eine Kostümierung handelt, will der Film gar nicht leugnen - schon deshalb, weil man immer an den wirklichen Jung-Bridges denken muss, den man in Erinnerung hat aus dem Film "The Last Picture Show".

Jeff Bridges ist Charles Howard, der Mann, der die Legende von Seabiscuit geschaffen hat - jeder amerikanische Traum braucht auch einen Manager. Er hat den Weg geebnet für einen unglaublichen Siegeszug dieses Pferdes, bei den großen nationalen Rennen, von San Rafael bis Santa Anita, geradewegs in die Herzen von Millionen Amerikanern.

Charles Howard ist die Personifizierung amerikanischer Souveränität, auch dann noch, als sein Leben sich radikal verdüstert. Er verliert seinen Sohn - bei einem Autounfall - und seine Frau verlässt ihn, und der Wirtschafts-Crash bringt ihm Millionenverluste. In seinem Haus ist nun Leere und Dunkelheit, bis er eines Tages, auf der Rennbahn, eine andere Frau findet, Marcela (Elizabeth Banks).

Es ist faszinierend, wie der Film mit seinem Star umgeht, er lässt ihn oft am Rande stehen, schneidet ihm schon mal das Wort ab, wenn er zu Erklärungen ansetzt für die Presse. Chris Cooper macht ihm zudem Konkurrenz was die stoische Haltung angeht, er spielt Tom Smith, einen alten Cowboy, der sich bei einer Wildwest-Show verdingen muss.

Er lässt sich reichlich Zeit bei dem, was er tut und was er sagt, was meistens auf bekannte und nicht besonders originelle Sprüche hinausläuft wie "Man schmeißt doch nicht ein Leben weg, bloß weil es ein wenig ramponiert ist". Tom Smith ist es, der Seabiscuit wieder aufpäppelt, der ihn auf die Siegesstraße bringt.

Als dritter ist Tobey Maguire im Bunde, der Seabiscuit reitet bei seinen großen Erfolgen. Etwas groß ist er für einen Jockey, 1,70 m, aber nicht schwerer als 60 Kilo. Ein junger Wilder, irischen Geblüts, von seinen Eltern aus Armut preisgegeben in der Jugend.

Er hat es mit Boxen versucht, immer wieder, allen Niederlagen zum Trotz. Ein loser, der sich, erstaunlicherweise, durchs Lesen regeneriert, mit ihm schlägt der Film von Dickens um zu Emily Dickinson, die er liest, in Erinnerung an den Vater.

Rennprolet mit krummen Beinen

Seabiscuit ist, was man einen natural nennt in Amerika, ein Naturtalent. Ein Prolet auf den Rennplätzen, etwas kurz geraten im Vergleich mit den Glamourstars des Turfbetriebs, und mit krummen Beinen - aber gerade deswegen geeignet zur mythischen Figur in den Jahren von Depressiont und New Deal.

Ein Held aus dem Herzen von Amerika, "The Pride of Kentucky" hieß der erste Film über ihn, 1949, mit Shirley Temple und - als Vierzigerjahre-Cooper - Barry Fitzgerald.

Ein natural war auch das Buch, das Laura Hillenbrand dem erfolgreichen Renner vor drei Jahren widmete und das mit atemberaubendem Tempo sich an die Spitze der Bestsellerlisten setzte. Ein klarer Fall auch für Hollywood, und die Verfilmung präsentiert sich als ein Aufgalopp in klassischer Hollywood-Tradition. Im amerikanischen Kinosommer hat der Film für echte Belebung gesorgt im zermürbenden Getöse der wirren Actionspektakel.

Der Film schlägt Kapital aus seinem Anachronismus, er ist American Dreaming in Reinkultur, aber er rückt dabei den Mythos zurecht, die Not der Depression hätte das Land geeint, in unerhörter Solidarität. Seabiscuit bleibt aggressiv, ein Herausforderer, und die junge Generation von der Westküste stellt sich dem Establishment des Ostens - Seabiscuit gegen den Triple-Crown-Sieger War Admiral, ein Zweikampf, der erst nach langem Sträuben stattfand, auf der Pimlico-Bahn in Baltimore, 1938.

Es ist nicht die schlechteste Taktik, die Regisseur Gary Ross hier praktiziert - einen großen Teil des Rennens sich hinten hängen zu lassen und erst spät vorzupreschen.

Ross ist stolz darauf, dass es keine Special effects gibt in den Rennszenen - mit seinen Kameras ist er den Gäulen millimeternah an die Körper gerückt, das Action-Design hat der Jockey Chris McCarron entworfen. Die Buchautorin Laura Hillenbrand gab Jeff Bridges eine Brieftasche, die einst Howard gehörte, und der Schauspieler hat sie immer in seiner Tasche getragen, als er die Rolle spielte.

"Seabiscuit" ist ein klassischer Suspensefilm geworden, physische Dichte und Authentizität, großartige Figuren und starke Spannung, aber es ist auch ein vertrackter kleiner Medienfilm. Seine Bewegung ist imaginär - Amerika hat damals Seabiscuits Erfolge am Radio miterlebt. In den Rennszenen, die der Film zelebriert, scheint daher die Zeit stillzustehen.

(SZ vom 24.9.2003)

© SEABISCUIT, USA 2003 - Regie, Buch: Gary Ross. Nach dem Buch von Laura Hillenbrand. Kamera: John Schwartzman. Schnitt: William Goldenberg. Musik: Randy Newman. Mit: Tobey Maguire, Jeff Bridges, Chris Cooper, Elizabeth Banks, Gary Stevens, William H. Macy. UIP, 119 Minuten. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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