Neu im Kino: "Dreamgirls":Flauschiger Traum

Lesezeit: 4 min

"Dreamgirls" geht als Favorit in die Oscar-Verleihung. Die Musical-Verfilmung mit Beyoncé Knowles und Jamie Foxx erzählt das Märchen vom Aufstieg einer R'n'B-Band. Mit Video und Bildstrecke.

Susan Vahabzadeh

Die Eroberung der Plattenschränke durch schwarze Popmusik ist eine wunderbare Siegergeschichte von einer sanften Revolution. Als das Motown-Label gegründet wurde und zu einer Erfolgsmaschine wurde, durften seine Stars lange noch nicht in jedes Restaurant in den USA, das sie bezahlen konnten.

Dem Musical "Dreamgirls", das Bill Condon nun verfilmt hat mit Eddie Murphy, Jamie Foxx und dem Popstar Beyoncé Knowles, vorzuwerfen, dass seine nachgemachten Rainbow-Records es mit der Einzigartigkeit des Motown-Sounds, mit den Supremes, nicht aufnehmen können, ist müßig: Kann sein. "Listen", Beyoncés große Befreiungsarie, dröhnt schon vor dem Kinostart aus allen iPods. Man hört ihr eben gern zu. Genau so ist das ganze Stück - eingängig, man folgt ihm genießerisch und delektiert sich an den liebevoll gestalteten Sechziger-Jahre-Dekors und den unfassbaren Kostümen.

Es geht um die Dreamettes, drei junge Mädchen, die bei einem Talentwettbewerb ihren ersten Job ergattern: Der Autoverkäufer Curtis Taylor (Foxx) bringt sie als Background-Sängerinnen beim R'n'B-Sänger James Early (Murphy) unter. Mit der Zeit - und ein paar miesen Touren - gelingt es ihm, das System auszutricksen: Er macht Deena (Knowles) zum Star, baut sich ein Plattenimperium auf, thront in den Hügeln von Hollywood als fleischgewordener Traum aller Unterdrückten. Aber er hat die anderen Opfer bringen lassen für diesen Siegeszug, hat alles aussortiert, was dem weißen Publikum nicht gefallen könnte, die Frontfrau Effie (Jennifer Hudson) zurück in die Sozialwohnung geschickt, die alten Weggefährten zu Statisten degradiert.

Beyoncé und die Newcomerin

Die bewegendsten Momente hat Eddie Murphy dieser Geschichte abgerungen. Auf eine schöne Weise ist es ein bisschen qualvoll, zuzusehen, wie er sich zugrunde richten lässt und sich immer selbst noch ein wenig mehr hineinreitet ins Elend, das Ende der Karriere, die Drogensucht. In einer der stärksten Szenen des Films hat es Taylor endlich geschafft, James Early und den Dreamettes einen Auftritt zu verschaffen vor einem weißen Luxuspublikum in einem Nobelhotel - und während James sein Ding abzieht auf der Bühne, lasziv mit den Hüften wackelt und ins Mikro stöhnt, zeigt die Kamera die angeekelten Gesichter der Damen mit den Turmfrisuren und den Nerzstolas.

So kommt es, dass Curtis die Mädchen allein auftreten lässt - weil ihr Sexappeal mit dem Rassismus mühelos vereinbar ist, der von James aber nicht. Die weibliche erotische Phantasie kam im damaligen Klima - es gibt einen schönen kleinen Exkurs dazu in Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" - nicht zurecht mit diskriminierten Randgruppen. Bill Condon hat vorher "Kinsey" gemacht, wo er Liam Neeson mit Peter Sarsgaard ins Bett steckte - für solche Tabuzonen hat er ein feines Gespür.

Dass er ein verdammt guter Regisseur ist, erkennt man unter anderem daran, dass er mit seiner Hauptdarstellerin, die keine Schauspielerin ist, sehr gut zurecht kommt - er verlangt nichts von ihr, was sie nicht kann. Deena Jones ist nicht die beste im Trio, sie ist die schönste, eine biegsame junge Frau, die sich von Curtis anweisen lässt, wie sie zu singen hat, wie sie sich zu verhalten hat als seine Partnerin - und dass der große Showdown mit der geschassten Effie davon lebt, dass die ihre Kontrahentin mit Verve an die Wand singt; Beyoncé Knowles lässt sich das mit professioneller Coolness gefallen. Auch das ist ganz schön anzuschauen, wie der Film eben nicht den Fehler macht, von dem er erzählt: Er gibt der rundlichen, ungeheuer begabten Newcomerin Jennifer Hudson einen ebenbürtigen Platz neben Beyoncé.

The Sound of Money

Nur die Außenwelt kommt zu kurz in dieser Story: Die Studiotür wird aufgemacht, draußen brennt Detroit, und dann ist die Tür wieder zu. Rassismus, Unterdrückung, Betrug, alles, was an der Geschichte, die "Dreamgirls" zugrunde liegt, schrecklich ist, wurde ihr ausgetrieben. Das Drumherum, die historischen Eckdaten, werden abgehakt, die Rassenunruhen haben einen Kurzauftritt, die Existenz von Martin Luther King wird in einem Gag verhandelt - die "I have a Dream"-Rede verkauft sich als Platte besser als Musik -, und auch davon, dass Deena Jones eine entrechtete Angestellte in der Firma ihres Mannes bleibt, erzählt das Filmmusical nur in einer erträglichen light-Variante. Was, andererseits, natürlich auch erklärt, warum Musical und Film ein Erfolg sind.

Es macht Spaß, zuzusehen und zuzuhören. Aber es macht eben nur Spaß. Alles bleibt schön schmerzfrei und glatt. Vielleicht ist Condon der Ärger mit dem rechten Rand der amerikanischen Gesellschaft, den er sich mit dem freizügigen "Kinsey" eingehandelt hat, doch zu nah gegangen. Dass "Dreamgirls" keinem weh tut, liegt aber in der Geschichte selbst, im Musical schon begründet - weil der Film die Rassentrennung als gelöstes Problem verhandelt; und weil Curtis Taylor, der Verräter, das Spiel, das er mit den anderen gespielt hat, am Ende nicht gewinnt. Die betrogenen Frauen rotten sich zusammen. Zurück bleibt - und so was ist im Kino nun mal sehr beliebt - ein herzerwärmendes Gefühl.

Die amerikanische Kritikerin Pauline Kael hat, als die Urform aller Erfolgsmusicals, "The Sound of Music", in die Kinos kam - wo ja auch einer schrecklichen Story eine flauschige Oberfläche verpasst wurde -, versucht zu erklären, warum dieses herzerwärmende Gefühl, diese "luxuriöse Falschheit", sie so ärgerlich gemacht hat: Wer so was liebt, der wird nichts mehr anfangen können mit Filmen, die davon erzählen, dass diese Welt nicht die beste ist, die man sich vorstellen kann; und wer vorher etwas zu sagen hatte, der stimmt sich ein auf den Klang des Geldes, the sound of money.

Eskapismus vs. Politik

Das war vor vierzig Jahren. Es ist dann keineswegs so schlimm gekommen mit dem amerikanischen Kino: Kaum hatte Kael das geschrieben, brach um sie herum und durchaus mit ihrer Hilfe New Hollywood aus, eine der fruchtbarsten, härtesten Phasen des amerikanischen Kinos. Die Realität eroberte die Leinwände zurück. Das Publikum war also nicht auf alle Zeit verdorben für die hässlichen Fratzen der Wirklichkeit. Was man schon allein daran erkennen kann, dass "Dreamgirls" mit einem politisch sehr gegenwärtigen Hollywood-Jahrgang konkurriert. Acht alles überstrahlende Oscar-Nominierungen hätten es in diesem Jahr aber nicht unbedingt sein müssen - bei aller Sehnsucht nach sanftem Eskapismus, nach einer schöneren, gerechteren Welt.

DREAMGIRLS, USA 2006 - Regie: Bill Condon. Drehbuch: Condon, nach Tom Eyens Broadway-Produktion. Kamera: Tobias Schliessler. Musik: Henry Krieger. Mit: Jamie Foxx, Beyoncé Knowles, Eddie Murphy, Danny Glover, Jennifer Hudson. UIP, 131 Minuten.

© SZ v. 31.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: