Neu im Kino: "Die Geschwister Savage":Gar nicht mal so wild

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Wenn Eltern sich in hilflose Kinder zurückverwandeln, während die Nachkommen selbst noch mit dem Erwachsenwerden ringen: Philip Seymour Hoffman und Laura Linney torkeln durch den mehrfachen Generationenkonflikt.

Anke Sterneborg

Wenn man kein Geld hat, um große Kriegsschauplätze in fernen Ländern und Galaxien zu bauen, kann man sich immer noch auf intime Familienkriege zurückziehen. Auffällig häufig kreisen amerikanische Erstlings- und Independentregisseure derzeit um familiäre Turbulenzen: Filme wie "Dan - mitten im Leben" oder "Little Miss Sunshine" schlagen in mehr oder weniger weitläufigen Familienkonstellationen komödiantische Funken aus den Nöten, Neurosen und Schrullen des Personals.

Gar nicht wild: Philip Seymour Hoffman und Laura Linney spielen die Geschwister Savage. (Foto: Foto: ddp)

Im Vergleich dazu schlägt Tamara Jenkins in "Die Geschwister Savage" , ähnlich wie Noah Baumbach in "Der Tintenfisch und der Wal", im engen Familienkreis einen sehr viel ruhigeren, ernsteren, fast dokumentarischen Ton an.

So oder so lassen sich da private Therapiebedürfnisse aufs Trefflichste mit dem öffentlichen Interesse verbinden, denn wenn man zwei Stunden lang den Geschwistern Savage bei der Bewältigung ihrer Probleme beiwohnt, ist der Blick auch für den eigenen Umgang mit dem körperlichen und geistigen Verfall der Eltern geschärft, mit dem es die meisten Menschen früher oder später zu tun bekommen.

In ihrem Debütfilm "Hauptsache Beverly Hills" hatte Jenkins ihr eigenes bewegtes Coming of age filmisch aufbereitet, und wenn sie jetzt nach zehn Jahren Filmpause ihre schwierigen Erfahrungen mit der Demenz ihres Vaters verarbeitet, dann sind auch Jon und Wendy Savage mit Anfang vierzig noch immer mit dem Erwachsenwerden beschäftigt: Nicht umsonst tragen sie die Namen der beiden Kinder, die Peter Pan einst ins Neverland entführte, wo man nie erwachsen werden muss.

In dem Alter, in dem andere Menschen Karriere, Haus und Familie bereits im Griff haben, basteln die beiden noch an halbherzigen Projekten und unverbindlichen Beziehungen: In New York hofft Wendy auf ein Stipendium, mit dem sie ihr ewig unvollendetes Theaterstück zu Ende bringen kann, und darauf, dass sich ihr Gelegenheitsliebhaber aus der Nachbarschaft doch noch von seiner Frau trennt. In Buffalo lässt Jon seine polnische Freundin, deren Aufenthaltserlaubnis ausläuft, ziehen, weil er sich nicht zu einer Heirat durchringen kann und lenkt sich darüber hinaus mit lustlos gehaltenen Vorlesungen vom Abschluss eines Buchs über Brecht ab.

Scheißgraffiti

In diesem unguten Lebensschwebezustand erreicht die beiden nicht besonders eng verbundenen Geschwister ein Hilferuf aus der Seniorensiedlung, in der ihr Vater zunehmend seniler wird. Wenn der alte Lenny Savage (Philip Bosco), der vom Pfleger gerade unwirsch zurechtgewiesen wurde, dass er gefälligst spülen solle, mit dem Finger in die Toilette greift, um anschließend braune Graffiti an die Wand zu schmieren, dann ist schwer auszumachen, wo hier die Grenze zwischen alterssenilem Irrsinn und kindlichem Trotz ist.

So lotet Jenkins mit feinerviger Behutsamkeit die mysteriöse Dynamik aus, die entsteht, wenn Eltern sich in hilflose Kinder zurückentwickeln, während die Nachkommen selbst noch mit dem Erwachsenwerden ringen.

Die Probleme, die die Savages (deren Name natürlich der reine Hohn ist, denn sie sind nichts weniger als wild) nun mehr aus pragmatischem Pflichtbewusstein als aus liebevoller Hingabe gemeinsam bewältigen müssen, helfen ihnen auf widerspenstige Weise dabei, ihr eigenes Leben zu sortieren.

Dabei provoziert Jenkins keine dramatischen Plotpoints, sondern folgt eher dem unruhigen Rhythmus des wirklichen Lebens, und statt die komödiantischen Aspekte zu forcieren, durchsetzt sie ihre stille Tragödie mit Glanzlichtern komischer Selbsterkenntnis, die sich immer wieder aus der literarischen Bildung ihrer gebeutelten Helden speist - wenn Jon beispielsweise trocken anmerkt, man sei hier ja nicht in einem Stück von Sam Shepard. Wunderbare Verbündete für die Entfaltung ihrer ganz und gar unsentimentalen Geschichte hat Jenkins in Laura Linney und Philip Seymour Hoffman gefunden, die nicht um Aufmerksamkeit buhlen, sondern ganz beiläufig das Interesse auf sich ziehen und ihre Seelen vor der Kamera schon immer furchtlos bloßgelegt haben.

In Filmen wie "Der Tintenfisch und der Wal" , "You Can Count on Me" , bzw. "Magnolia" und "Tödliche Entscheidung" haben sich die beiden schon gut eingespielt in die Abgründe des Familienalltags, die sie hier in feinen Nuancen von Neurose und Lethargie, Erschöpfung und Resignation zum Klingen bringen. Wenn sie den Vater in ein Seniorenheim in der Nähe des Sohnes einmieten, dann herrscht im Winter von Buffalo genau jene harsche, graue Trostlosigkeit, von der auch schon Vincent Gallo in "Buffalo 66" erzählte.

Doch im Gegensatz zu dem erschütternden und ernüchternden Familienbild, das der zeichnet, ist die tief berührende Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit der Savages geradezu versöhnlich.

THE SAVAGES, USA 2007 - Regie, Buch: Tamara Jenkins. Kamera: W. Mott Hupfel, Musik: Stephen Trask. Schnitt: Brian A. Kates Kostüme: David C.Robinson. Mit: Laura Linney, Philip Seymour Hoffman, Philip Bosco, Peter Friedman, Gbenga Akinnagbe. Fox, 114 Minuten.

© SZ vom 24.4.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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