Neu im Kino: "Chiko":Auf goldenen Felgen

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Der deutsch-türkische Gangsterfilm "Chiko" überrascht mit Härte, Geschwindigkeit, Moritz Bleibtreu und "Lady Bitch Ray".

Tobias Kniebe

Wer in diesem Film Marihuana von akzeptabler Qualität kaufen will, verlangt beim Dealer "korrektes Ot". Diese Mischung aus deutschem Slang und dem türkischen Wort für "Gras" oder "Kraut" kennzeichnet sofort eine spezifische Mischung der Kulturen, eine präzise lokalisierbare Szene mit fließenden Übergängen zwischen Kiez-Gemütlichkeit und harter Drogenkriminalität.

Zerreißprobe: Moritz Bleibtreu als Brownie (l.) und Volkan Oezcan als Tibet (r.). (Foto: Foto: ddp)

"Korrektes Ot" zu fordern, ist in der Hamburger Vorstadt offenbar die natürlichste Sache der Welt - nicht aber, den Dealer dann krankenhausreif zu schlagen, ihm allen Stoff abzunehmen und ihm dann auch noch ("Merk dir meinen Namen") die eigene Signatur vor die Nase zu halten: Einen tätowierten Unterarm mit den Buchstaben CHIKO. "Ich hab' ihm in die Fresse gehauen, sonst wäre ich nie an Sie rangekommen", sagt Chiko wenig später, vom Boss des Drogenrings zur Rede gestellt: eine Bewerbung, die in ihrer Dreistigkeit und Konsequenz sofort Erfolg hat.

Dreist

Chiko wird also Karriere machen im Milieu. Er könnte ein Großer werden, auch wenn er von seiner Statur her eher schmächtig ist. Denis Moschitto hat zwar einige Muskelmasse angesetzt für diese Rolle, aber die Weichheit in seinem Gesicht, seine reflexive Intelligenz konnte er natürlich nicht wegtrainieren. Warum auch! Genau das ist doch der immerwährende "Scarface"-Traum vom Aufstieg in der Hierarchie des Verbrechens, der den ebenfalls schmächtigen Al Pacino alias Tony Montana zur Ikone der Hiphop-Generation gemacht hat:

Dass es gerade nicht auf den Umfang deines Bizeps ankommt, sondern auf die Größe deiner Cojones, auf Besessenheit und persönlichen Mut. Diesen Traum einmal ganz ungebrochen gelebt zu sehen, mitten im deutschen Kino, mit der nötigen Klarheit, Härte und Geschwindigkeit, ist auf jeden Fall ein erstaunlicher Effekt.

Aber funktioniert das überhaupt, den weißen Mercedes CLS mit den goldenen Felgen und die Edelnutten-Trophäe mit der samtigen Bronzehaut (Reyhan Sahin in einer Rolle, die ihre feministische "Lady Bitch Ray"-Identität komplett auf den Kopf stellt) einfach so aus dem amerikanischen Hiphop zu annektieren und nach Deutschland zu importieren?

Unter Umständen schon. Und diese Umstände trifft der Kinodebütant Özgür Yildirim ziemlich genau. Denn die Welt, in der dieser Aufstieg stattfindet, muss die bekannten Muster auch an lokalen Figuren und Gegebenheiten brechen: So ist Moritz Bleibtreu eine Paten-Figur, die in der Mimikry des Hamburger Kreativbürgertums lebt, nicht umsonst dient ihm ein Aufnahmestudio zur Tarnung seiner Geschäfte.

Und Chikos Kumpane, der träumerische Tibet (Volkan Özcan) und der chaotische Curly (Fahri Ogün Yardim) bewahren sich über weite Strecken ein wundervolles Eigenleben, das durchaus an Fatih Akin erinnert, den Großmeister der multikulturellen Hamburger Jungs-Freundschaft, der hier als Produzent und Mentor der nächsten deutsch-türkischen Kinogeneration aktiv ist.

Ansonsten folgt die Geschichte exakt den altbewährten Wendungen der Mafia-Biografie. Du spielst so lange nach den Regeln der anderen, bis du stark genug bist, deine eigenen Regeln aufzustellen. Hier den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, erfordert hohe Intelligenz, die Chiko gegeben ist, nicht aber seinem Kumpel Tibet.

Böse

Schon beim ersten großen Auftrag, zehn Kilo Stoff in zehn Tagen an den Mann zu bringen, zweigt Tibet einen Teil auf eigene Rechnung ab, und der Boss bekommt sofort Wind davon. Die notwendige Bestrafung führt Chiko in ein klassisches Dilemma, einen Loyalitätskonflikt zwischen alter Freundschaft und neuer Identität als Musterschüler des Verbrechens. Dass die Polizei in diesem Spiel keine Rolle spielt und die Gefahr stets von den eigenen Leuten ausgeht, ist dabei nur konsequent: Deutsches Bullengrün hat noch jeden Gangsterfilm im Handumdrehen auf Vorabend-Fernsehformat reduziert.

Alles kann nur böse enden, das ist klar, aber wie böse genau? Tödlich natürlich. Schon das ist unter den Hamburger Gegebenheiten nicht einfach zu lösen, aber dann kommt noch der Punkt, wo sich ein anderer heimischer Virus ins Geschehen einschleicht - der Hang zum hysterischen Exzess. So wird ein Genrefilm, der lange so aussah, als würde er keine Gefangenen machen und sich bei niemandem entschuldigen, auf den letzten Metern doch noch ans deutsche Stadttheater verschenkt.

CHIKO, D 2007 - Regie, Buch: Özgür Yildirim. Kamera: Matthias Bolliger. Mit: Denis Moschitto, Volkan Özcan, Moritz Bleibtreu, Fahri Ogün Yardim, Reyhan Sahin. Falcom Verleih, 92 Minuten.

© SZ vom 17.4.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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