Netz-Depeschen:Ich bin doch nicht blöd

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Das Internet ist eine riesige Verdummungsmaschine, das Ende der Konzentrationsfährigkeit und aller Moral. Ist es Zufall, dass Wissenschaftler sich darin tummeln?

Johannes Boie

Alle regen sich auf: Die große Verdummungsmaschine sei das Netz, schreiben manche. Das brutale Ende jeder Moral, stöhnen andere. Ein digitaler Konzentrationskiller, in dem alles gleichzeitig, aber nichts vollständig geschehe, meint die Generation der über 40-Jährigen entsetzt.

Im Internet kann man mittlerweile auch Vorträgen von Eliteuniversitäten folgen. (Foto: Foto: ddp)

Aber alle Fundamentalkritiker übersehen die großartigen Bildungsprogramme des Netzes, die in klassischen akademischen Formen wie Vorlesung, Seminar oder Vortrag von jedem Ort der Welt aus digital abrufbar sind: Wissen ist heute - genau wie Verblödung - gratis und dezentral zu jeder Tages- und Nachtzeit zu haben.

Und sogar dasselbe Video-Portal teilen sich die Verblödungs- mit den Verblendungstheoretikern seit kurzem. Denn während die berühmten TED-Talks der alljährlichen Konferenz für Technologie, Unterhaltung und Design unter ted.com stehen, und vor allem amerikanische Universitäten ihre eigenen Webseiten nutzen, um die Vorlesungen ihrer Professoren für alle Welt bereitzustellen, unternimmt YouTube jetzt einen Versuch, das digitalisierte Wissen im Netz zu bündeln. Gleichzeitig schafft es die erfolgreiche Webseite damit auch, sich einen weiteren Schritt vom eigenen Image als Blödel-Webseite für aufmerksamkeitsgestörte Jugendliche zu entfernen.

Unter youtube.com/edu sind zum Beispiel Vorträge von Eliteuniversitäten wie Harvard oder Cambridge zu finden, seit vergangener Woche auch Vorlesungen von 45 Universitäten in Europa und Israel. Die Vorträge lassen sich nach Bildungsanstalten sortieren, auf bestimmte Sprachen eingrenzen und natürlich auch gezielt mit bestimmten Stichworten suchen. Viel bringt viel, ist dabei die Devise, wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) beweist, das mit derzeit rund 1155 Videos bereits über 1,2 Millionen Zugriffe generiert hat.

Die digitalen Bildungsangebote haben ihre Wurzeln in den neunziger Jahren. An Universitäten wurde das Netz mit entwickelt und ausgebaut. Es ist also kein Zufall, dass Wissenschaftler sehr früh auf die Idee kamen, ihr Wissen mit der Welt zu teilen. Richtig populär wurde der Trend jedoch erst letztes Jahr, als der mittlerweile verstorbene Computer-Spezialist Randy Pausch an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh online wie in der realen Welt zu seiner letzten Vorlesung mit dem treffenden Titel "Last Lecture" einlud.

Die Rede des unheilbar an Krebs erkrankten Pausch war zwar wenig wissenschaftlich, aber mitreißend und emotional. Über 10 Millionen Mal wurde sie bis heute auf YouTube angesehen. Sie dürfte einen großen Teil zum Interesse an digital übertragenen Vorlesungen beigetragen haben. Denn ihr Subtext ist eine antike Weisheit:

An den Universitäten lernt man nicht für die nächste Prüfung, sondern für das ganze Leben. Umso besser, wenn man an dieser Lehre jetzt auch am Computer zu Hause teilhaben kann.

© SZ vom 16.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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