Netz-Depeschen:Heiliger Apfel

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Steve Jobs, seine Firma, Google - und dann lange nichts. Eine Studie zeigt, dass sich Technikjournalisten recht einseitig mit ihrem Fachgebiet beschäftigen.

Michael Moorstedt

Mit etwas selektiver Wahrnehmung ist es gar nicht so schwierig, den Eindruck zu bekommen, in einer wunderbaren Zeit zu leben. Ständig gibt es neue Ideen, Produkte und Dienstleistungen, die unser Leben revolutionieren sollen. Alles was man dafür tun muss, ist die Techniksparte der Zeitungen zu lesen. Das Project for Excellence in Journalism des Meinungsforschungsinstituts Pew Research untersuchte über einen Zeitraum von einem Jahr, von Juni 2009 bis Juni 2010, knapp 500 Nachrichtentexte und -sendungen aus 50 verschiedenen Zeitungen, Onlinemagazinen, Fernseh- und Radioprogrammen auf die Qualität ihrer Technologieberichterstattung.

Sind sie nicht schön? In den Technikspalten findet zum großen Teil Hofberichterstattung über die Oberflächenästhetik von iPhone und iPad wichtig zu sein. (Foto: AP)

Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeichnen ein eintöniges Bild: Knapp 15 Prozent aller technikrelevanten Stories drehen sich um Steve Jobs und seine glänzenden Wunderprodukte, an zweiter Stelle kommt Google mit immerhin elf Prozent Nachrichtenabdeckung, der unsexy Monopolist Microsoft rangiert mit drei Prozent unter ferner liefen. Auch andere Firmen sehen Börsenwert und Marktmacht nicht adäquat repräsentiert: IBM, Amazon, Oracle oder HP tauchen nicht mal mit einem Prozent auf.

Doch es ist nicht nur die Quantität der Artikel, die auf eine ungesunde Apple- und Google-Obsession der Technikjournalisten hinweisen. Kritische Distanz scheint in der Hofberichterstattung über die Oberflächenästhetik von iPhone und iPad eine vergessene Disziplin zu sein. Zwei Drittel aller Geschichten über Apple seien keine Nachrichtentexte gewesen, so die Autoren der Studie, sondern vielmehr kaum chiffrierte Liebeserklärungen. Der latente Größenwahn und die mehr als bedenkliche Datenschutzpolitik beider Unternehmen wird eher selten erwähnt.

Die Tendenz zur Bejahung beschränkt sich jedoch nicht auf Apple und Google. Technologiekritik beschränkte sich vor allem auf die in den USA ausführlich besprochene Frage, ob es denn tatsächlich der Verkehrssicherheit abträglich sei, wenn man während des Autofahrens am Steuer Kurznachrichten schreibe.

Ansonsten, so lautet das Fazit, steigert digitale Technologie die Produktivität und wohl auch das Selbstwertgefühl des Individuums und ist deshalb gutzuheißen. Andere, eventuell drängendere Probleme wie die Debatte um Netzneutralität oder schrumpfende Aufmerksamkeitsspannen werden im Vergleich dazu nur sehr sporadisch abgedeckt.

Dass die Schelte der Statistiker einen Nerv getroffen hat, zeigt sich an den Reaktionen der Klientel. Die Studie gehöre in das Museum der Offensichtlichkeiten ätzte Farhad Manjoo, Technikkolumnist bei Slate.com und Apple-Apologet aus tiefster Überzeugung in einer Replik und kündigte an, nichts an seiner Themenauswahl ändern zu wollen. Auf den Vorwurf der Voreingenommenheit ging er nicht ein. Auch Wired reagierte peinlich berührt auf die Studie, doch hier versucht sich die Redaktion zumindest noch an einer Rechtfertigung. Man könne doch auch nichts dafür, schreibt Brian Chen nur halbironisch, dass die Produkte aus Applefertigung so perfekt seien. Außerdem verstehe Jobs eben die Erregungsmechanismen der Presse wie kein Zweiter.

Auch die sogenannten sozialen Medien bekommen kein besseres Zeugnis ausgestellt. Das liegt aber nicht an mangelnder Kritik, sondern an ihrer virulenten Selbstreferenzialität. Auf Twitter, das von manchem Optimisten nicht als Befindlichkeitsautomaton sondern als Nachrichtenmedium der Zukunft betrachtet wird, ist das vorherrschende Thema, das selbst Apple mit meilenweitem Abstand auf die Plätze verwies: Twitter selbst.

© SZ vom 4.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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