Nachrichten aus dem Netz (77):Irre Zeitpläne online

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Große Künstler lebten in strengen Routinen. Wie exakt ihre Zeitpläne waren, findet sich auf zahlreichen Webseiten.

Niklas Hoffmann

"Das einsame Leben der am weitesten entwickelten Exemplare dreht sich immer um Angeln der Routine", schrieb 1934 der argentinische Schriftsteller Juan Filloy in seinem Roman "Op Oloop", dessen Titelheld seinen Tagesablauf so zwanghaft einem Zeitplan unterwirft, dass er daran irre wird.

Benjamin Franklin gilt als Universalgelehrter in der Geschichte der USA. (Foto: Foto: AP)

In der Annahme, dass Benjamin Franklin ein wirklich großer Geist war, können wir uns also bestätigt fühlen, denn, so entnehmen wir dem Weblog Daily Routines, Franklin lebte seine Tage strikt nach einer Tabelle in seinem Notizbuch, die er in seiner Autobiographie wiedergab. So war das Mittagessen stets mit Lesen oder der Prüfung der Buchhaltung verbunden. Und jeder Abend wurde - nach der obligatorischen "Zerstreuung"- mit der Frage beschlossen: "Was habe ich heute Gutes getan?"

Franklins Tagesprogramm ist nur eine der vielen Entdeckungen, die man bei Daily Routines machen kann. Das Blog widmet sich der Frage, wie "Schriftsteller, Künstler und andere interessante Leute ihre Tage organisieren". Die Informationen darüber stammen aus Interviews und Biografien, aus Zeitungen, Büchern und dem Internet. Mit Quellenangabe kann jeder Leser eigene Fundstücke beisteuern.

Deutlich zeichnen sich Muster ab. Die meisten Schriftsteller verbringen ihre Vormittage diszipliniert mit drei bis vier Stunden literarischer Arbeit am Schreibtisch. Dass Ordnung und Regelmäßigkeit aber nicht der einzige Weg zum Erfolg sind, zeigt nicht nur der unter ständiger Zeitnot leidende, manische Nachtarbeiter Franz Kafka.

Alice Munro nutzte als Mutter von drei kleinen Kindern immer nur die wenigen Minuten, während derer das Essen im Ofen war oder der Nachwuchs ein Nickerchen hielt, um am Küchentisch einige Zeilen zu Papier zu bringen. Sie brauchte für ihren ersten Band mit Kurzgeschichten zwanzig Jahre.

Ein verwandtes Projekt ist die Rubrik "How we work", für die der Webdesigner und Künstler Rod McLaren seit Jahren in seinem Blog Rodcorp Erfahrungen, Tipps, Tricks und Eigenheiten kreativer Menschen im Umgang mit ihrer Arbeit zusammenträgt.

Dass Truman Capote nur im Liegen schreiben konnte, ist hier zu erfahren, Zigaretten in Griffweite, sowie - über den Tag verteilt - Kaffee, Pfefferminztee, Sherry und Martinis. Wir lernen auch, dass Don DeLillo mit seiner Schreibmaschine auf jede Seite immer nur einen einzigen Absatz tippt, und sei der auch nur drei Zeilen lang.

Ergänzend empfiehlt sich auch ein Blick auf eine liebevoll gemachte Serie des britischen Guardian, die sich auch im Onlineangebot der Zeitung findet. Unter dem Titel "Writer's Rooms" wird dort jeden Samstag das Foto eines Schriftstellerarbeitsplatzes gezeigt und beschrieben - bei noch lebenden Autoren sogar von ihnen selbst. Jonathan Safran Foers Lieblingsplatz in der New York Public Library an der Fifth Avenue ist da etwa zu sehen. Aber auch der Schreibtisch in Virginia Woolfs Gartenhaus, an dem sie nicht nur einen Großteil ihres Werkes, sondern auch ihren Abschiedsbrief verfasste, bevor sie ihren letzten Spaziergang zur Ouse unternahm - und im Arbeitszimmer ein Chaos hinterließ. Es sehe heute viel aufgeräumter aus, bemerkt ihre Biografin dazu lakonisch.

© SZ vom 22.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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