Musiktheater:Späte Entdeckung

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Claudia Sorokina singt die Titelrolle in Piccinnis Oper. (Foto: Ludwig Ohla)

Niccolò Piccinnis "Iphigénie en Tauride" bei den Gluck-Festspielen in Nürnberg

Von Klaus Kalchschmid, Nürnberg

Alle Welt kennt Christoph Willibald Glucks Meisterwerk "Iphigénie en Tauride", das 1779 in Paris uraufgeführt wurde. Dass zwei Jahre später am selben Ort eine Oper von Niccolò Piccinni mit dem gleichen Titel uraufgeführt wurde, wissen vor allen Musikwissenschaftler. Denn die beiden Komponisten wurden - wohl auf Betreiben zweier Mätressen! - im Streit Piccinnisten versus Gluckisten gegeneinander ausgespielt. Die Einzelheiten dieses bis heute kaum durchschaubaren, perfiden Spiels würden ganz sicher für einen launigen Gesellschaftskrimi reichen. Aber reden wir von der bislang auch Fachleuten kaum bekannten Musik: Denn 235 Jahre dauerte es, bis Piccinnis Oper ihre deutsche Erstaufführung im Kleinen Saal der Nürnberger Meistersingerhalle erleben durfte. Und das mit großem Erfolg bei einem kleinen, ebenso spannenden wie anspruchsvollen Festival, den Gluck-Opern-Festspielen in und um Nürnberg.

Auch wenn Niccolò Piccinni nicht so musikdramatisch konzise arbeitete wie Gluck, besitzt seine Oper "Iphigénie en Tauride" vor allem in ihrem zweiten Teil, wenn sich der Konflikt zuspitzt, große Qualitäten: Berührend ist der Moment, wenn Iphigénie aufgewühlt vom Schicksal ihrer Familie erzählt und der Frauenchor sanft antwortet. Beeindruckend ist auch die Szene, in der Orest, der fast wahnsinnige Mutter-Mörder, gegen sich selbst wütet, oder das Terzett, in dem die Priesterin sich von den zum Tod Verurteilten verabschiedet. Wenn Iphigénie in Orest den Bruder erkennt, gibt es nach einem höchst intensiven Recitativo accompagnato, das Piccinni häufig verwendet, ein veritables Wiedersehens-Duett.

In der Camerata Salzburg spielte ein historisch informiertes Orchester wie auf der Stuhlkante, prägnant sang das kleine Berliner Vocalconsort. Exzellent waren auch die Sänger: Claudia Sorokina besitzt zwar für die Titelpartie ein etwas zu dramatisches, metallisch leuchtendes Timbre, sang aber mit großem Ausdruck und offenbarte bei dieser konzertanten Aufführung sogar mimische Qualitäten. Frédéric Cornille war ein kerniger, immer wieder temperamentvoll aufschäumender Orest, an seiner Seite als Pyladdes der 29-jährige Isländer Benedikt Kristjánsson mit einem ebenso feinen wie hellen und hohen Tenor. Jean-Vincent Blot gab mit herrischer Bass-Gewalt den barbarischen Thoas, mit feinem Sopranglanz rundete Pauline Courtin am Ende das "Lieto fine". Mit Zwischenapplaus hielt sich das Publikum zurück, aber am Ende gab es tosenden Beifall für eine Wiederentdeckung, deren Mitschnitt am Abend des 26. August auf BR-Klassik gesendet wird.

Vorher gibt es unter anderem am Freitag, 22. Juli (20 Uhr), im Stadttheater Fürth zum Vergleich Glucks "Iphigenie auf Tauris" in der deutschen Fassung von Richard Strauss und tags darauf am Samstag, 23. Juli (19.30 Uhr), im Theater Würzburg - ebenfalls konzertant - Luigi Cherubinis "Ifigenia in Aulide" mit Roberta Invernizzi in der Titelpartie. Der Münchner Countertenor Valer Sabadus widmet sich am 24. Juli (18 Uhr) in der Orangerie von Ansbach Arien aus Opern von Glucks Zeitgenossen Mozart, Mysliveček und Sacchini. Und am 29. und 30. Juli gehen die Gluck-Festspiele mit einer weiteren Rarität zu Ende: der szenischen Aufführung der Azione teatrale "Il parnaso confuso" mit der Musik Christoph Willibald Glucks.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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