Musiktheater:Scherz und Schmerz

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Das freie Ensemble "Opera Incognita" zeigt ein weiteres Mal wie virtuos es mit der Wirklichkeit zu spielen vermag

Von Rita Argauer

Beim Schluss-Applaus bleibt Bariton Florian Dengler tot am Boden liegen. Oder ist es vielleicht doch die Rolle des Silvio, die den Angriff des Bajazzos, gespielt von Canio alias Max nicht überlebt hat? Am Ende ist die verwirrende Verknotung von Kunst und Wirklichkeit in jedem Fall weit fortgeschritten: Und Andreas Wiedermann wiederholt so in seiner Version von Ruggiero Leoncavallos "Der Bajazzo", die am vergangenen Samstag ihre Münchner Premiere hatte, noch einmal die grundlegende Frage dieses Stücks: Wo verläuft die Grenze zwischen Realität und Theater?

Wiedermanns Regiekonzept ist dabei eigentlich recht einfach: Er und sein Ensemble Opera Incognita stülpen diesem Klassiker des italienischen Verismo einfach eine weitere Rahmenhandlung über. Schon im Original ist die Oper ein dramaturgisches Vexierspiel, bei Wiedermann wird aus der einfachen Spiegelung (die gespielte Handlung doppelt sich im Spiel im Spiel), eine Trias, die den Verwirrspielen eines Spiegelkabinetts gleich kommt. Eine Wandertheatertruppe zieht dabei durchs Land und macht Halt für eine Vorstellung. Schon in Leoncavallos Version hat die Truppe Probleme mit ihrem internen Liebesleben, bei der Opera Incognita verdreifacht sich die Geschichte um Fremdgehen und Betrug.

Die Rahmenhandlung zeigt dabei die Sänger, die langsam im Saal eintrudeln und sich verhalten wie eine Rockband auf Tournee. Max (Max Prodinger) und Florian (Florian Dengler) führen eine Liebesbeziehung, die jedoch bereits ihrem Ende zugeht, denn Florian betrügt Max mit Dorothee (Dorothee Koch), der Sopranistin der Truppe. Wiedermann lässt den Sängern auf dieser äußersten Schale der Erzählung ihre echten Namen und führt so Leoncavallos Wirklichkeitsanspruch konsequent fort. In die zweite Erzählebene greift Wiedermann jedoch ein und versetzt die Handlung in die romantisch-wilden Fünfzigerjahre nach Süditalien: Der zirkushafte Charme von Fellini trifft dabei auf ein Dolce-Vita-Klischee, dessen Oberfläche bald zu bröckeln beginnt. Denn hier betrügt Nedda (Dorothee/Dorothee Koch) ihren Ehemann Canio (Max/Max Prodinger) mit Silvio (Florian/Florian Dengler). Das Dreieck der Amour Fou hat sich um eine Ecke weitergedreht. Doch das ist immer noch nicht genug, der Kern der Geschichte bedient sich dann, wie bei Leoncavallo, bei den zeitlosen Figuren der Commedia Dell'Arte - zwischen denen sich das Liebesdrama wiederholt und schließlich mit Tod und Mord auf allen Erzählschichten endet.

Zu Beginn des Stücks sind diese Ebenen noch fein säuberlich getrennt. Doch der Salzburger Tenor Max Prodinger, der schließlich zum mordenden Bajazzo wird und die Ebenen untrennbar miteinander verbinden wird, schafft es wunderbar, diese Ambivalenz schon bei seinem ersten Auftritt in die Figur einzuschreiben. So legt er, noch als zeitgenössischer Rocker gekleidet, berührend die schmerzhafte Melancholie des Verlassenen, die überdrehte Scherzhaftigkeit des Clowns und unkontrollierbare Gewaltbereitschaft des Mörders in seinen Gesang. Wie eine böse Vorahnung, die sich bald einlösen wird. Darin liegt auch der große Charme dieser Produktion. Wiedermann baut diesmal ganz auf seine Sänger, denen er diese vielen Charaktereigenschaften aufhalste: Das Bühnenbild ist karg, eigentlich ist es bis auf zwei Scheinwerfertrassen gar nicht vorhanden, doch über das Stück hinweg, formt sich eine provisorische Kulisse. All das funktioniert erstaunlich illusionsreich, weil Wiedermann seine Geschichte durch den äußersten Rahmen in der Wirklichkeit verankerte.

Für die Opera Incognita sind solche Verwirrkünste nichts Neues - vielmehr manifestiert sich darin der Stil des Ensembles. Leoncavallos Stück bot sich da an, denn sogar die musikalische Gestaltung geht die Erzählebenen mit - etwas, das auch das Mini-Orchester unter der Leitung von Ernst Bartmann lustvoll tut, um dabei die verschiedenen Stile (vom volksmusikartigen Bänkelsang zur großgestischen Arie) auszureizen. Doch am Ende hilft all diese Verspieltheit nichts: Die Wirklichkeit hat zugeschlagen.

Der Bajazzo , noch am Do./Fr., 21./22. Mai, 20 Uhr, Hubertussaal, Schloss Nymphenburg

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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