Musikbranche:Das Imperium dudelt zurück

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Damals Elvis, heute Beyoncé: Vor 50 Jahren impfte der Rock'n'Roll unseren Großeltern den amerikanischen Traum ein. Heute zuckt man bei Amerika nur die Schultern. Doch Popmusik aus den USA hat nichts von ihrer globalen Definitionsmacht verloren.

Von Dirk Peitz

Am 1. Oktober 1958 um genau 8.46 Uhr betrat der Rock'n'Roll in Bremerhaven deutschen Boden.

Made in USA, bewundert in Deutschland: Destiny's Child. (Foto: Foto: Reuters)

Als er von Bord des Truppentransporters USS General Randall ging, trug er eine Ausgehuniform der amerikanischen Armee und hatte einen Seesack geschultert: Elvis Aaron Presley, Soldat Nummer 53310716, stationiert in Friedberg, Hessen.

Nun hatte Bill Haley bereits im Jahr 1954 den Song "Rock Around The Clock" aufgenommen, und spätestens seit dem Jahr 1956 wusste nicht nur die besser informierte deutsche Jugend von der Existenz Presleys und "den Riten irgendeines obskuren Stammes von Wilden" ( Der Spiegel, 1956):

Saal- und Straßenschlachten

Saal- und Straßenschlachten so genannter Halbstarker begleiteten das Aufkommen des Rock'n'Roll, in Deutschland gab es bis 1958 annähernd einhundert größere gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Konzerten und Filmvorführungen.

Dass also der 1. Oktober 1958 für den Rock'n'Roll in Deutschland ein eher symbolisches Datum ist, zeigt auch die am Sonntag eröffnende Ausstellung "Elvis in Deutschland" im Haus der Geschichte in Bonn, die den Aufenthalt Presleys bis zum Ende seiner Dienstzeit im Frühjahr 1960 und die damalige Elvis-Rezeption in der (gesamt)deutschen Öffentlichkeit dokumentiert.

Und doch ist dieser Tag in einem noch umfassenderen Sinne symbolisch geworden: Er markiert den Beginn der Jugendkultur in Deutschland. Amerika, du machst es besser

Diese war auch in den USA erst kurz zuvor im eigentlichen Sinne erfunden worden: äußerlich neue populäre Mythen, Identitäten und Gemeinschaften produzierend, innerlich warenförmig.

Elvis in Deutschland

Zu ihrer Gründung hatte es einer Figur wie Presley bedurft: Er war kein weißer Connaisseur schwarzer Musik, wie ihn sich Norman Mailer als hipper "White Negro" ausmalte, sondern ein Lastwagenfahrer aus Tennessee, der an die weiße Mehrheitsjugend schichten- und geschlechterübergreifend vermittelbar war als die authentische Verkörperung des Rock'n'Roll in seiner ekstatischen Unmittelbarkeit.

Der G.I. Presley traf 1958 in einem Land ein, in dem eine knappe Mehrheit der Bevölkerung die alliierten Streitkräfte schon nicht mehr als Besatzer, sondern als Vertreter von Schutzmächten im Kalten Krieg begriff.

Elvis' Provokationspotenzial rührte von etwas anderem her: Er war der prominenteste Repräsentant der ersten echten Massenkultur, die ein funktionierendes Ausschluss- und Zulassungssystem enthielt und dies koppelte mit dem Versprechen an die Jungen auf emotionale Entgrenzung, gelebte Differenz und gesellschaftliche Veränderung.

Weltuntergangsszenarien wegen der "Negermusik"

Der Rock'n'Roll stationiert in Deutschland: Elvis. (Foto: Foto: AP)

Die Reaktion der westdeutschen, noch zutiefst repressiven Nachkriegsgesellschaft war, von heute aus betrachtet, hysterischer als das Treiben der Jugendlichen:

Bezeichnenderweise tauchte neben diversen Weltuntergangsszenarien das Wort "Negermusik" im allgemeinen Sprachgebrauch aus dem Reservoir nationalsozialistischer Propaganda wieder auf, mit dem einst der Jazz als minderwertige Musik diffamiert worden war.

Interessant an diesem historischen Rekurs ist, wie relativ stabil die Rollen des amerikanischen Massenkulturexports und deren deutscher Rezeption bis heute geblieben sind.

Und das, obwohl die Gesellschaften von heute strukturell kaum mehr etwas gemein haben mit denen vor einem halben Jahrhundert - außer vielleicht ihrem radikal globalisierten Wirtschaftssystem, das weit nach Osten vorgestoßen ist.

Jugendkultur? Ist tot.

Obwohl Pop sich bis in den letzten Winkel der Welt ausgebreitet hat, als Synonym für jedwede Form von Massen- wie Kleinstöffentlichkeiten, er auf dem Weg aber gleichzeitig sein subversives Potenzial verlor und in tausend Teile zerbarst. Und obwohl die Jugendkultur als solche endgültig starb beziehungsweise von altersresistenten Erwachsenen unfreundlich übernommen wurde.

Was blieb, ist die weitgehend amerikanische Definitionsmacht darüber, was zeitgemäße Popkultur ästhetisch ist. Zwar haben die mit dem Rock'n'Roll noch ungetrübt mitgelieferten amerikanischen Freiheits- und anderen Beglückungsideen längst an Strahlkraft verloren für die damit bereits reichlich beglückte Restwelt.

Trotzdem wird diese von - bis vor kurzem mehrheitlich in nichtamerikanischem Besitz befindlichen - Major-Plattenfirmen seit Jahrzehnten vorzugsweise mit amerikanischer Popkultur beliefert. Und deren regionale Töchter verlegen auch hierzulande in erster Linie formale und inhaltliche Imitate der amerikanischen Popkultur.

Dialog zwischen Amerika und Europa

Das war so beim Rock'n'Roll und gilt heute für dessen musikalische Derivate ebenso wie für HipHop und R&B. Allein in der elektronischen Tanzmusik hat es einen produktiven Dialog zwischen Amerika und Europa gegeben, der jedoch am desinteressierten US-Markt spurlos vorbeiging.

Stattdessen stimmt das lichte Wort der superteutonischen Travestiekapelle Rammstein: "We're all living in Amerika" - im ästhetischen Sinne. Und zwar nicht nur in der Musik, sondern auch im Kino, wo die voraussichtlich erfolgreichsten deutschen Produktionen des Jahres Satiren auf amerikanische Genrefilme sind:

"(T)Raumschiff Surprise" von Bully Herbig und der sich vordergründig auf deutsches Märchengut, aber mindestens so sehr auf dessen amerikanische Filmrezeptionen rückbeziehende Otto-Film "Sieben Zwerge". Beide bedienen sich zum Nachweis ihrer Relevanz moderner Hollywoodästhetiken.

DJ Bundestag

Das ist es nämlich vor allem, was Popkultur produziert und woran sie bewertet wird: ihre Relevanz. Das hat sich in der deutschen Pop-Rezeption, zumindest in deren vulgärer Spielart, noch immer nicht herumgesprochen, und es lässt sich nirgendwo besser beobachten als an der neuerlichen Diskussion um eine Radioquote für deutsche Popmusik, die offenbar bald in einem parteiübergreifenden Bundestagsbeschluss münden soll.

Die politischen Quotenbefürworter benutzen im wesentlichen drei Argumente: Die Deutschen seien des "Gedudels" im Radio überdrüssig und gierten nach "Qualität", zudem fördere eine Quotierung den vernachlässigten heimischen Musikernachwuchs. Nun: Der Begriff "Gedudel" meint die amerikanische Popkultur und ist ein Synonym für minderwertige und aggressiv verbreitete Musik.

Was "Qualität" im Zusammenhang mit Popkultur bedeuten soll, lässt sich schlechterdings nicht sagen, da diese über eine solche Bewertungskategorie gar nicht verfügt: Ihre objektivierbaren Kriterien heißen Neuigkeitswert, Wirkung, Verbreitung, Repräsentanz, Klang.

Eminem erstickt

In diesem Sinne hat das "Gedudel" in den letzten Jahren einen pophistorischen Glücksfall bedeutet: Mit dem amerikanischen HipHop und R&B waren vom Ende der Neunziger an zum ersten Mal seit langem wieder die progressivsten populären Musiken zugleich die am weitesten verbreiteten.

Es ließe sich mit zwei Albumerscheinungen der letzten Tage allenfalls beklagen, dass dieser Trend womöglich gerade an sein Ende gelangt: Auf seiner neuen Platte erstickt Eminem an der neuen Mittelmäßigkeit seines eigenen Lyrikerbrochenen (SZ vom 19. November).

Und Destiny's Child, die Über-Girlgroup des R&B um Beyoncé Knowles, vollendet sich mit "Destiny Fulfilled" leider ganz wörtlich - als Formation von Luxuswesen, die ihre auf einmal ziemlich öden Songs dadurch verschlimmern, dass sie in den Texten ihre vormalige Selbstermächtigung als "Independent Women" zugunsten von Männerliebedienerei aufgeben. Eine Schande.

Trotzdem sind Destiny's Child schon musikalisch noch immer bedeutender als fast alles, was man seit Jahr und Tag von so genannten deutschen Nachwuchsmusikern gehört hat. Dafür erfüllen letztere - das zeigt sich an den immens vermehrten Chart-Platzierungen deutscher Acts - eine andere Aufgabe: Ihr ästhetisches Imitat-Dasein kompensieren sie mit der Beschreibung des allernächsten Lebens- und Erlebensumfelds ihrer Zuhörer.

Das heißt: Provinzialismus kann in der Popkultur auch relevant sein - er kommt halt im Komplettpaket mit der entsprechenden Musik.

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