Museumsserie, Teil 8:Neue Heimat

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Das Stadtmuseum Geretsried beschäftigt sich mit den Kulturen und der Geschichte der hier heimisch gewordenen Flüchtlinge

Von Yvonne Poppek, Geretsried

Da ist sie also, die Rampe. Verschalt mit Brettern auf der einen Seite, auf der anderen ein Fenster, dann eine tapezierte Wand, auf der die Umrisse von Bilderrahmen und Möbeln zu erkennen sind. Ungemütlich ist es auf diesem kurzen Anstieg, hitzig, stickig, im Winter sicher klirrend kalt. Heimelig soll es hier auch gar nicht sein auf dem kurzen Verbindungsgang im Stadtmuseum Geretsried. Ein unangenehmes Gefühl ist erwünscht. Der kurze Schauder soll emotional vermitteln, wie furchtbar es für die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg war auf ihrem Weg aus dem Osten nach Deutschland. Aber natürlich schwingt an dieser Rampe auch noch ein ganz anderes Grauen mit: das des Krieges, das von Nazideutschland und das der unfassbaren Schuld des Tätervolkes. Ein Kapitel, das im vorherigen Raum noch schlaglichtartig thematisiert wurde.

Vor zwei Jahren hat das Stadtmuseum eröffnet. Es konzentriert sich auf die jüngste deutsche Geschichte: auf die Aufrüstung, den Zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibung und den Neuanfang der Sudetendeutschen, Donauschwaben, Schlesier und Siebenbürger Sachsen in Bayern. Dieser Schwerpunkt ist der Geschichte der größten Stadt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen geschuldet. Die Nazis siedelten dort zwei Rüstungsbetriebe an, später, nach dem Krieg wurden zahlreiche Flüchtlinge einquartiert, die dort ihre eigenen Traditionen weiterpflegten. Dies schlägt sich bis heute in der Stadtkultur, im Vereinsleben der Landsmannschaften und in zahlreichen Festen nieder.

Ein Museum, in dem eine Erinnerungskultur an die alte Heimat gepflegt wurde, gab es in Geretsried schon lange. Für die neue, rund 300 Quadratmeter große Ausstellungsfläche wurden die Exponate indes neu gesichtet, die Anzahl der ausgestellten Objekte reduziert. Jetzt geht es nicht mehr darum, die Trachten, Spielzeuge, Alltagsgegenstände und notdürftig gefertigte Haushaltsware zu präsentieren und somit die Objekte in den Mittelpunkt zu stellen, sondern anhand weniger Stücke die Geschichte der Menschen zu erzählen, die einst nach Geretsried kamen.

Wie gestaltete sich etwa deren Ankunft? Die einen kamen in Viehwaggons, wovon die Bretterverschalung an der Rampe erzählt. Die anderen, aus Pustavám in Ungarn etwa, mit Treckwagen, was das Museum mit einem Originalgespann dokumentiert. Was sie dabei hatten, musste in den meisten Fällen in eine Kiste passen - und das war nur der Anfang der Einschränkungen: beengter Wohnraum, Lebensmittelrationierung, Knappheit an Geld, Kleidung, Haushaltswaren bestimmten den Neubeginn in Deutschland. Einzelne Stücke - mal eine Kiste, mal ein Feldbett oder historische Aufnahmen - stehen exemplarisch für diese erste Zeit.

Doch die Ausstellung in Geretsried macht an diesem Punkt nicht Halt. Vielmehr geht es darum, von den einzelnen Vertriebenengruppen zu erzählen, von ihrer Kultur und dem, was daraus in der neuen Heimat entstanden ist. Aus Tachau etwa kamen Holzfacharbeiter. Eine Tatsache, auf die die Gründung der Spielzeugfabrik Lorenz zurückzuführen ist. Die Graslitzer brachten ihr Wissen um Musikinstrumente mit - auch dies schlug sich in verschiedenen Firmengründungen nieder. Holzspielzeug und Blasinstrumente, dann wieder Textilien, Porzellan, Werkzeuge aus Landwirtschaft und Bergbau zeugen von der jeweiligen wirtschaftlichen Prägung der Flüchtlinge und weisen auf die Zukunft hin, die sie sich in Geretsried aufbauen konnten.

Obwohl das Museum vergleichsweise klein ist, funktioniert die sehr komprimierte Erzählweise ausgesprochen gut. Einen Teil trägt sicher das kluge Gestaltungskonzept dazu bei. Jeder Raum unterscheidet sich deutlich von dem vorhergehenden - vom Material, vom Licht, von der Art der ausgewählten Objekte, von der Stimmung. Bereichernd wäre sicher ein Katalog, in den auch die Interviews mit den Zeitzeugen einfließen, die derzeit in einem kleinen Kinosaal gezeigt werden. Die verschiedenen Stimmungen in der Ausstellung werden allerdings nur dort zu erleben bleiben - wie etwa die Beklemmung an der holzverschalten Rampe.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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