München: "Stadt ohne Juden":Die finstere Seite

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München, wo sind deine Juden? Nicht nur zur Zeit des Nationalsozialismus waren Juden in München unerwünscht, wie eine neue Ausstellung zeigt.

Alexander Kissler

Wie macht man eine Abwesenheit sichtbar, welches Licht erhellt ein Nichts? Diese Frage stellt das Jüdische Museum München anlässlich seiner neuen Ausstellung. Die gemeinte Abwesenheit ist jene der Münchner Juden. Fast während der Hälfte ihrer 850 Jahre währenden Geschichte war die bayerische Metropole tatsächlich, was der Ausstellungstitel behauptet: eine "Stadt ohne Juden".

Mittlerweile sichtbar: Die Synagoge in der Münchner Innenstadt. (Foto: Foto: ddp)

Aus vier Etappen besteht der zähe Verstoß gegen die gerühmte Liberalitas Bavariae. Den Pogromen von 1285 und 1349, ausgelöst durch Gerüchte um angebliche jüdische "Ritualmorde", folgten jeweils mehrere Jahrzehnte, in denen kein Jude hier seines Lebens sicher war. Unter nationalsozialistischer Herrschaft und in der Nachkriegszeit sorgte dann die Shoah für weitgehendes Erlöschen jüdischen Lebens. Dazwischen lag, über 250 Jahre lang, eine konstant judenfeindliche Politik der Wittelsbacher.

Herzog Albrecht III. hatte 1442 die Vertreibung der Juden aus München und ganz Altbayern angeordnet, Albrecht V. bestätigte das 1553. Von fortgesetzter Abwesenheit der Juden versprach er sich herrschaftsstabilisierende Wirkung: Regent, Landstände, Katholiken und Protestanten stimmten im Judenhass überein. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts die kurfürstliche Kasse im Spanischen Erbfolgekrieg klamm wurde, gaben jüdische Bankiers ein Intermezzo auf bayrischem Boden - ehe Max Emanuel, der "Großmütige", sie 1715 wieder ausweisen ließ.

Das Jüdische Museum will laut Direktor Bernhard Purin "ein Licht auf diese Epochen werfen". Purin ist der große Purist unter Deutschlands Museumsmachern: Ausstellungen mit wenigen, ausdrucksstarken Objekten, luftig präsentiert. Nicht überwältigt, sondern angeregt werden soll der Besucher - angeregt zu eigenen Gedanken. Dergleichen ästhetische Askese ist für einen Augenmenschen ungewöhnlich, zugleich jedoch ein sinnvolles Korrelat zur jüdischen Bilderskepsis. Andererseits wächst so jedem der handverlesenen Objekte eine auratische Qualität zu, die das Nüchterne, Beiläufige der Präsentation unterläuft.

Ein Dutzend Fundstücke aus der Zeit von 1296 bis 1990 soll die Geschichte einer "Stadt ohne Juden" nicht erzählen, sondern fragmentarisch darstellen. Randständiges, Entbehrliches, Überschießendes, ohne die keine Erzählung auskommt, bleibt ausgeblendet. Es dominiert der Blick der Mehrheitsgesellschaft, meist ein Rückblick nach der Vertreibung.

Ein Kupferstich von 1714 zeigt den legendenhaften Anlass des Pogroms von 1349: Mehrere Juden umstehen Heinrich, den "seligen Knab' zu München", setzen das Messer an seinen Hals, aus dem Blut in eine Schüssel schießt. Wie alle Ritualmord-Vorwürfe war auch dieser aus der Luft gegriffen und reichte doch, die Menschenhatz zu legitimieren. Für magische Zwecke, hieß es, bräuchten Juden Christenblut.

Gegenüber dem kleinen Stich thront das größte Objekt, eine Pietà aus Pappelholz von 1340. Die Darstellung fasst wie jedes Vesperbild den Schmerz Mariens über den tot auf ihrem Schoß ruhenden Christus in expressive Körperlichkeit. Erst die Geschichte der "Salmdorfer Pietà" erschließt den Zusammenhang. Die Figur stand seit Mitte des 15. Jahrhunderts in der sogenannten Gruftkirche im Münchner Marienhof. Sie war nach der Judenvertreibung unter Albrecht III. auf dem Gelände der einstigen Synagoge eingerichtet worden. Maria, die Unbefleckte, sollte den Ort reinigen, den angeblichen "jüdischen Ungeist" vertreiben.

Lesen Sie auf Seite 2, was Ratzinger mit der Ausstellung zu tun hat.

Zum Sprechen gebracht werden alle zwölf Objekte durch einfallsreiche Visualisierung. Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film haben zwölf je rund zweiminütige Videoclips gedreht und im ungewöhnlichen Hochformat präsentiert. Erläuterungen von Wissenschaftlern werden mit verfremdeten Hintergrundaufnahmen von Münchner Stadtansichten montiert. Grelle Farben treffen auf monochrome Köpfe, starke Unterperspektiven auf die Totale, extreme Kadrierungen auf rasche Schnitte. Doch verschwindet der gesprochene Kommentar nicht im Bildergewitter. Die Kürze animiert zu wiederholtem Betrachten.

Auch der spektakulärste Fund wird so verortet. Jahrzehntelang ruhte im Depot des Freisinger Diözesanmuseums die einzige künstlerisch anspruchsvolle Darstellung eines "Hostienfrevels", 1624 in der Werkstatt Peter Candids entstanden. Eine Frau lässt sich von drei mit gelben beziehungsweise roten "Judenringen" auf ihrem Überhang gebrandmarkten Männern dafür bezahlen, eine Hostie zu stehlen.

In der Bildmitte nehmen zwei Stadtwächter die Frau fest, die Hostie fällt aus dem Beutel. Links außen wird sie unter einem Baldachin wieder der Kirche zugeführt, Kurfürst Maximilian I. im Gefolge. Auch so propagierte man, buchstäblich am Allerheiligsten der Kirche, christlichen und staatlichen Antijudaismus. Die Juden Einfluss wurden als "Gottesmörder" denunziert, die die Marter Christi an der konsekrierten Hostie wiederholen wollten.

Pamphlet von Ratzingers Großonkel

Damit sind nicht alle Ingredienzen, aus denen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts der rassistisch- eliminatorische moderne Antisemitismus hervorging. An dieser Wegmarke hat das reduktionistische Ausstellungskonzept selbst eine Leerstelle. Aus Kaiserreich und Weimarer Republik liegt nur ein unter Pseudonym veröffentlichtes Pamphlet des Theologen und Landtagsabgeordneten Georg Ratzinger von 1893 vor, eines Großonkels des jetzigen Papstes.

Der Münchner Antisemitismus führte etwa 1936 zur Errichtung einer "Forschungsabteilung Judenfrage" innerhalb des "Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands" und hat mindestens drei weitere trübe Quellen: den volkstümelnden Bierzelt-, den universitären Katheder- und den Schwabinger Salon-Antisemitismus. Anschauungsmaterial dazu findet sich bei Oskar Maria Graf, Ödön von Horvath, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, der im "Doktor Faustus" den "obskurantistischen Zirkel um Sixtus Kridwiß" als Forum mannigfacher Vorurteile im Gewand der Klugheit gestaltete.

In München geschah es auch, dass der Stefan-George-Kreis sich am Antisemitismus Ludwig Klages und Alfred Schulers brach, zum Schaden von Karl Wolfskehl. - Eine "Hauptstadt der Bewegung" ist München längst nicht mehr. Das liberale wie orthodoxe Judentum nahm seit 1990 einen staunens- und bewahrenswerten Aufschwung. Auch diese offene Geschichte drängt nach Gestaltung.

Stadt ohne Juden. Die Nachtseite der Münchner Stadtgeschichte. Bis 30. August 2009 im Jüdischen Museum München. Katalog 12 Euro.

© SZ vom 24.9.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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