MTV Europe Awards:Wer geht mit mir zum Teufel?

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Kreppserviettenröcke und ein Bub mit Hut: Von der Verleihung der MTV Europe Awards in Edinburgh bleiben nur verwackelte Bilder

Von Oliver Fuchs

Schon bevor es losgeht, wird dem Zuschauer mehrfach eingehämmert, wer die Sause bezahlt hat. Eine verdammt energische Stimme sagt: "The MTV Europe Music Awards 2003 are sponsered by American Express! - Vodafone!! - Replay Blue Jeans!!! - and Footlocker!!!!" Diese Durchsage scheint lauter, wuchtiger, mächtiger als alles, was danach kommt.

Beyoncé Knowles (Foto: Foto: AP)

Und irgendwie sehen sie dann auch reichlich blass aus, die Herrscher im Staate Pop, die der Reihe nach auf die Bühne kommen, um die Ehrungen und Gunstbeweise ihrer Untertanen entgegenzunehmen. Die MTV Europe Awards werden zwar vom Publikum vergeben, das sich deswegen aber nicht einzubilden braucht, es sei so etwas wie ein Volkssouverän.

Was zur Wahl steht, entscheidet MTV. Der Sender selbst ist der Sonnenkönig in diesem Spiel, die Popstars sind höchstens Fürsten. Wer ein Günstling ist bei Hofe, wer also ohnehin den ganzen Tag bei MTV in der heavy rotation läuft und schon diverse goldene Schallplatten daheim hat, bekommt hier noch eine silberne Trophäe obendrauf.

Die Verleihung der diesjährigen MTV Awards in Edinburgh wirft vor allem eine Frage auf: Hatten die schottischen Jugendlichen im Publikum einen im Tee? Oder sind die immer so? Beim kleinsten Anzeichen, dass gleich irgendwer, und sei es ein Licht-Techniker, die Bühne betreten könnte, rissen sie die Arme in die Luft, johlten und applaudierten wie Mäuse, die in einem Laborversuch einer nicht unbeträchtlichen Amphetamindosis ausgesetzt wurden.

Sie klatschten sogar, als auf der Video-Wand Hollywood-Haudrauf Vin Diesel zu sehen war, der im Auto unmotiviert durch Edinburgh kurvte - die Szenen erinnerten an eine Außen-Schaltung bei "Wetten, dass...?" - nur dass es keine Wette gab.

Reichlich abstrus auch die fast im Minutentakt wechselnden Kostüme von Christina Aguilera, die durch die dreistündige Show führte - meist bein-, bauch-, schulter- und rückenfrei, kurzzeitig jedoch auch als Nonne. Aguilera spielte ein Doppelrolle - als Moderatorin und mehrfach Nominierte - und konnte sich so den Preis als "beste Sängerin" praktischerweise selbst überreichen.

Traurig schaute in diesem Moment Beyoncé Knowles, die Aguilera aber ästhetisch mindestens ebenbürtig war, in einem schreiend pinken Rock im Kreppservietten-Stil. Und später wurde Beyoncé dann auch noch zweifach ausgezeichnet, für den "besten Song" und als beste "R&B-Künstlerin".

Mehr Preise gewann nur Justin Timberlake: "bester Sänger", "bestes Album" und - lustige Kategorie - "bester Pop-Darsteller". Er war der große Sieger des Abends, der strahlende Prinz, doch absolvierte er die Gala schluffig im T-Shirt und mit Hut.

Ein Bub mit Hut, ein Pop-Darsteller, kein wirklicher Popstar.

Mit Timberlake und Beyoncé Knowles wurden zwei Interpreten geehrt, die es im vergangenen Jahr geschafft haben, sich mit passablen Solo-Alben von ihrer Vergangenheit als Boy- beziehungsweise Girl-Group-Mitglied zu emanzipieren, aber es dürfte noch etwas Zeit vergehen, bis sie eigenständige Künstler sind und man bei ihrem Anblick nicht mehr sofort an N'Sync und Destiny's Child denkt.

Gibt es denn nichts Positives zu berichten? Doch. Dido sang zur Wandergitarre eine herzzerfetzende Version ihres ohnehin schon recht herzzerfetzenden Liedes "White Flag", Kylie Minogue trug ihren aktuellen Erotik-Schocker "Slow" mit würdevoller Altersgelassenheit vor, und dann waren da noch Kraftwerk, zum ersten Mal live im Fernsehen: ultra-stoisch, dabei sehr charmant.

Aber die guten Momente gingen im allgemeinen Getöse unter. Irgendwie schien es, als wäre die Gala noch hektischer getaktet, noch nervöser geschnitten, als man es ohnehin von MTV gewohnt ist.

Viele Bilder rutschten einfach durch den Kopf. Jedenfalls spuckt das Gedächtnis schon am Tag danach nur verwackelte Bilder aus. Die Namen der Sponsoren jedoch - an die erinnern wir uns genau!

"Who wants to go to hell with me?", sang Pink im hautengen roten Teufels-Kostüm. Manchmal wirkte es, als wären wir schon dort.

© SZ vom 8.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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