MTV-Awards in Kopenhagen:Make love not award

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Im eiskalten Kopenhagen sind die europäischen Musikpreise fast ausnahmslos an US-Sänger gegangen. Justin Timberlake wurde zum unbestrittenen Star des Abends. Bester Deutscher wurde ein Rüpel-Rapper.

Frederic Huwendiek

"Es war ein Riesenspaß", fasst Justin Timberlake seine Premiere als Moderator der MTV Europe Music Awards in Worte. Nicht mal ein von einem spanischen Journalisten mitgebrachter "Nippelgate"-Plastikbusen kann mehr seine Laune trüben.

Stars außer Rand und Band und Frauen mit wenig Bekleidung: Die MTV-Awards. (Foto: Foto: AFP)

Der Ex-Boygroupstar führte durch den zweistündigen Showabend, der gestern abend live aus dem Kopenhagener Bellacenter in über 160 Länder übertragen wurde. Millionen von Internetnutzern waren aufgerufen, ihre Favoriten in über zwanzig Kategorien zu wählen.

Timberlake beherrscht die Rolle des frechen Schwiegersohns mit Dreitagebart perfekt. Bestens gekleidet führt er souverän durch eine ziemlich egale Show ohne Highlights -allerdings inklusive bemüht lustiger Einspielfilmchen.

Nelly Furtado singt im sündigen Brautkleid, Rihanna trägt einen maximalknappen Playboy-Badeanzug und P.Diddy gibt den eitlen Edelrapper im Lacklederjäckchen. Die Sugababes geben sich Mühe einen geraden Satz herauszubringen und Moby verbreitet backstage seinen Heile Welt-Weihrauch, kritisiert das amerikanische Kapital und plädiert für den Weltfrieden.

Nur die Britrocker Muse, die in einem grellgrünen Laserstrahlsalat rocken, können überzeugen - und werden prompt als "Best Alternative Act" ausgezeichnet. Beste Rocker werden The Killers.

Es ist Award und keiner geht hin

Die für vier Awards nominierten Red Hot Chili Peppers sind nicht angereist. Für den Preis für das beste Album, den sie schließlich einsacken können, bedanken sie sich artig-gelangweilt per Videobotschaft aus dem warmen Kalifornien. Basser Flea scheint die Auszeichnung wenig zu kümmern - er mampft derweil Fastfood.

Auch die Gewinnerin in der Kategorie "Best Female", Christina Aguilera, lässt sich nicht blicken und schickt ein eindringliches "Thank you soo much!" ins Kopenhagener Bella Center. Der angekündigte Robbie Williams sagt ebenso kurzfristig sein Kommen ab. Stell dir vor, es ist Award und keiner geht hin.

Zwischen all dem gut frisierten Junggemüse sticht besonders ein Preisträger heraus: Beste Band des Jahres werden die in Würde gealterten Poprentner von Depeche Mode. Keine Band hat es geschafft so lange MTV-relevant zu bleiben - "ziemlich genau 24 Jahre", wie Mitglied Andrew "Fletch" Fletcher stolz referiert.

Auf die Relevanz von MTV in Zeiten von MyspaceYoutubeFlickr angesprochen, legt sich seine Stirn in Falten: "MTV muss sich verdammt anstrengen, um mit dem Internet mithalten zu können. Es war noch nie so schwierig wie heute."

MTV 1.0

Die Reaktion von MTV 1.0 auf Web 2.0 soll wohl die nur im Netz per Videofeed abrufbare Backstage-Show mit Kultactrice und Sängerin Juliette Lewis sein. In die kleine, sepiafarbene Lümmelecke können die Online-Zuschauer ihre Fragen schicken, die die 33-Jährige mit dem charakteristischen Indianerkopfschmuck dann den vorbeikommenden Sternchen stellt.

"Multi Platform Entertainment" nennt MTV das wenig originelle Konzept - das aber Dank Lewis weit besser funktioniert als die lahme Glamourparade im Hauptsaal. Die Rockstars plaudern munter frei Schnauze, nippen am Bier und machen schlechte Scherze.

Mitunter kommt es gar zu Begegnungen der dritten Art: So holt Lewis den völlig entspannten Backstreet Boy Howie Dorough zu den Rockstars von The Killers aufs braune Sofa - Plastikpop fläzt zwischen schnauzbärtigem Pathosrock.

Teil des "Multi Platform"-Konzepts ist auch die ausgelagerte Performancestätte auf dem Kopenhagener Rathausplatz. Bei Minusgraden bibberten dort zehntausend gecastete Dänen Verlosungsgewinner zu den wummernden Beats von Snoop Dogg und dem überzuckerten Radiopop von Keane.

Aftershowparty mit Justin und James Bond

Als besten deutschen Künstler wählen die Internetnutzer den Berliner Rapper Bushido. Seine Konkurrenten Rammstein, Toten Hosen, Sportfreunde Stiller und Silbermond gehen leer aus. "Macht nichts", sagt die extra angereiste Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß im Gespräch mit sueddeutsche.de, "es war eine schöne Show und wir freuen uns über jede Stimme, die wir bekommen haben".

Großer Gewinner des Abends ist Moderator Justin Timberlake: Er darf sich in seiner eigenen Show gleich zwei Awards verleihen - als bester männlicher Künstler und bester Popsänger. Großer Überraschungssieger allerdings ist das amerikanische Hiphop-Duo Gnarls Barkley. Für ihren unverbesserlichen Ohrwurm "Crazy" - dem allerersten Lied, das es an die Spitze der UK-Charts nur auf Basis von Downloads schaffte - erhalten sie den Preis für "Best Song".

Außerdem wählten die anwesenden Künstler sie zum Sieger in der neuen Kategorie "Future Sounds - Best New Act". Die meisten Stimmen im Bereich Hiphop kann Ostküsten-Rapstar Kanye West auf sich versammeln, der sich während seiner kurzen Pressekonferenz ungeniert in Eigenlob suhlt. Er schließt mit einem Augenzwinkern: "Fuck that! Ich möchte morgen ganz viele Überschriften lesen mit' Kanye West sagt 'Fuck that!''".

Den Gossip-Hunger der versammelten Journalisten bedient dann aber eher Rolex-Rapper P.Diddy mit einer schlüpfrigen Ankündigung zu später Stunde. "Ich werde die ganze Nacht Sex haben, bis in die Morgenstunden", ruft der sonnenbebrillte Selbstvermarktungsmeister ins müde Presse-Rund. Er konnte an diesem Abend trotz Nominierung keinen Preis abräumen - sein Motto: "Make love not award".

Im exklusiven Kopenhagener Nachtklub NASA lässt Diddy dann eine seiner legendären Aftershowpartys steigen. Justin Timberlake, Produzent Timbaland und Neu-Bond Daniel Craig sollen dort bis in die frühen Morgenstunden feuchtfröhlich gefeiert haben.

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