Mode von gestern heute:Sind so späte Mädchen

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Der Vintage-Trend weigert sich seit Jahren hartnäckig zu verschwinden. Das könnte egal sein. Nur für die großen Marken ist es ein ernstes Problem.

Rebecca Casati

Karl Lagerfeld ist, neben allem anderen, eine Art Bonmotautomat, und weil die heute so selten geworden sind, lohnt es sich fast immer, zuzuhören, wenn er den Schnellfeuergewehrmündungsmund in Bewegung setzt. Zwischen einem Schluck Coca Cola Light und einem Fingerwedeln sagt er zum Beispiel Sätze wie diesen: "Die kosmetische Chirurgie ist die Haute Couture des 21.Jahrhunderts."

Die Tatsache, dass der Wechsel selbst nicht wechselt, gibt hier jedem der Gegenstände, an denen er sich vollzieht, einen psychologischen Schimmer von Dauer. (Foto: N/A)

Damit hat er übrigens völlig recht, aber das war vor den ganzen Fernsehshows, in denen Muttchen angeblich in Schwäne verwandelt werden. Weniger lustig, aber aktueller und unbequemer für Lagerfeld und seine Kollegen ist: Die Haute Couture des 21.Jahrhunderts ist die Haute Couture des 20. Jahrhunderts. Kurz gesagt - Vintage. Ein Wort, das in den letzten Jahren sehr oft verwendet wurde, wenn man bedenkt, wie wenig es die Dinge präzisiert.

Vor genau 100 Jahren nannte der Berliner Soziologe Georg Simmel den fieberhaften Wechsel das einzige Charakteristikum der Mode: "Die Tatsache, dass der Wechsel selbst nicht wechselt, gibt hier jedem der Gegenstände, an denen er sich vollzieht, einen psychologischen Schimmer von Dauer." Diese These macht nun ihn, zumindest für den Augenblick, selbst zum Vintage-Soziologen. Denn seit drei, vier Jahren beherrscht in der Mode die Vergangenheit die Gegenwart. Seit dem 25. März 2001 nämlich, dem Datum, an dem aus der Schauspielerin Julia Roberts eine Charakterdarstellerin und aus Secondhand-Mode Vintage wurde.

Roberts hatte damals den Oscar für "Erin Brokovich" entgegen genommen, in einer nachtblauen, mittlerweile berühmten und damals schon 21 Jahre alten Samtrobe von Valentino.

Ein halbes Jahr später war Kate Moss auf dem Filmfestival in Cannes in einem weißen Kleid von Madame Grès aus einer Limousine gestiegen. Nachdem erst das amerikanische und nun auch das europäische Stilvorbild in alten Gewändern aufgetreten waren, hatten die Frauen dieser Welt den Wink verstanden.

Der Vintage-Wahn brach aus, und nach der Preisexplosion und der künstlichen Verknappung der 90er Jahre wirkte diese Mode so menschlich und demokratisch wie Trinkwasser aus dem Hahn.

Plötzlich gab es keine Rocksaumregelungen oder Diätvorgaben mehr; es ging nur noch darum, etwas Einzigartiges zu finden, dass der Figur schmeichelte.

Seitdem werden auch wieder Designer gekauft, die weg vom Fenster sind, vielleicht, weil sie nicht mehr leben, wie Mainbocher, Halston, Ossie Clarke, Elsa Schiaparelli oder Rudi Gernreich. Oder weil sie Pleite gemacht haben, wie unlängst der als zu politisch geltende Miguel Adrover in New York.

Vielleicht aber auch, weil ihre Eltern einst nicht genug darauf bestanden haben, dass sie eine Betriebswirtschaftslehre machen. Andere etablierte Designer wiederum haben seitdem leichte Kopfschmerzen. Stets hatten sie ihre hohen Preise mit Qualität gerechtfertigt, und niemals hatten sie erklären müssen, warum ihrer Mode trotzdem ein Verfallsdatum von sechs Monaten, also von einer Saison, anhaftet. Bis dieser vom Termingeflecht zwischen Produzenten, Designern und Einkäufern vorgegebene Zyklus von der Vintagemode durchbrochen wurde.

Die Zeit hat gegen den Designer und sein Modehaus und für den Sammler und Käufer gearbeitet, der jetzt seine Sachen zu stattlichen Preisen bei Ebay oder in Vintageboutiquen verkaufen kann, und so ist eine außerordentliche Situation entstanden: Der Designer hinkt dem Trend hinterher.

Er hat seinen Job, seine Funktion, seine Kontrolle, seinen Profit noch nicht wirklich gefunden in dem Profitunternehmen Vintage. Und wenn, wie dieser Tage, eine japanische Anbieterin ihre ungetragene Hermès-Tasche aus dem Jahr 1985 für 19999 Dollar auf Ebay anbietet, eine Amerikanerin ihre aus Kokodilleder sogar für 31500 Dollar - dann hat das Modehaus selbst nichts von dem Wert, den seine Produkte über die Zeit gewonnen haben.

Nun ist alles ein bisschen wie nach einem Streich, so, als habe der Klassentrottel den "Jugend forscht"-Wettbewerb gewonnen oder die blonde Wuchtbrumme aus der Provinzdisco den Literaturnobelpreis.

Noch ziemlich unbeholfen wird auf der Suche nach einer Form, einem Rahmen durch die Gegend assoziiert und gevintaged.

Domenico Dolce und Stefano Gabbana entwarfen nicht nur eilends die Linie "Dolce Gabbana Vintage", sie eröffneten ihre letzte D&G-Show mit Riley Keough, der Enkelin des Vintage-Künstler Elvis Presley, die ein T-Shirt trug, auf dem die etwas platte Botschaft "J'adore le Vintage" stand, die verdammt französisch klingt für zwei italienische Designer und deshalb wohl zusätzlich das Pariser Haus Dior und seinen Chef John Galliano zitieren sollte, der seit ein paar Saisons "J'adore Dior" auf seine T-Shirts drucken ließ.

Designer wie Sonia Rykiel plündern ihre Archive, um Bestseller aus vergangenen Zeiten neu aufzulegen für so genannte Vintage-Kollektionen - was sie selbst, denkt man es konsequent zu Ende, irgendwann überflüssig macht. Andere, so wie Norma Kamali, holen ihre Ladenhüter aus irgendwelchen Lagern und verkaufen sie nunmehr mit einem Vintageschild.

Ralph Lauren und Tommy Hilfiger haben Vintage-Ecken eingerichtet. Hennes und Mauritz verkauft neben Billigversionen der aktuellen Laufstegmode nun auch Vintage-Mode, aber nicht etwa alte H&M-Sachen, sondern Taschen, Stiefel und Röcke, die man auch in ganz gewöhnlichen Second-Hand-Shops findet, allerdings, das soll wohl hier die Botschaft sein, ausgesucht mit dem schwedischen Trenderkennungsblick.

Schnell beeilen sich andere, das Undefinierbare einzuschränken, ein paar Regeln hinterherzuschieben, sich abzusetzen: "Um wirklich die Bezeichnung Vintage zu tragen, muss ein Teil 20 Jahre oder älter alt sein", erklärt - auch hinsichtlich ihres Angebots und im Einklang mit der Robertschen Valentino-Robe - Elizabeth Mason, Besitzerin der renommierten kalifornischen Boutique The Paper Bag Princess.

Zu den großen Nutznießern des Vintagetrends gehören, neben Frauen wie ihr, auch Labels, um die es Jahrzehntelang still war: Missoni, Pucci, Balenciaga. Als Chefdesigner Nicolas Ghesquière kürzlich annoncierte, er werde sechs Balenciaga-Klassiker von 1932 bis 1968 wieder auflegen lassen, faxten alle großen Kaufhäuser Bestelllisten.

Immer mehr Luxuslabels kaufen derweil ihre alten Modelle zurück, in der Hoffnung, sie selber wieder gewinnbringend verkaufen zu können. Zumindest gibt es keinen anderen vernünftigen Grund, warum der Juwelier Cartier auf seiner Webpage mit mühsam kaschierter Dringlichkeit verkündet: "Wir sind daran interessiert, Ihre Vintagestücke vor den Jahren 1965 aufzukaufen. Bitte vereinbaren Sie einen Termin mit uns."

Mittlerweile gibt es nicht nur Vintage-Möbel oder Computer. Es gibt Vintage-Käse. Und Wein. Wir sollten dieses Wort und das, wofür es steht, umarmen, küssen und es nie, niemals wieder aus der Mode entwischen lassen. Ach, Vintage - so viel klangvoller als Oma.

© SZaW v. 11./12.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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