Mittel Punkt Europa Filmfest:Wenn Kinder Krieg spielen

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Trainingslager Turnhalle: "Teaching War" zeigt, wie tschechische Kinder auf "Staatsverteidigung" vorbereitet werden. (Foto: Tschechisches Zentrum / Mittel-Punkt-Europa-Filmfest)

Das Programm des Festivals beschreibt gesellschaftliche und kulturelle Wandlungen in unseren östlichen Nachbarstaaten.

Von Sara Maria Behbehani, München

Das Bild, das der Dokumentarfilm "Teaching War" von unseren tschechischen Nachbarn zeichnet, mutet befremdlich an: Kinder, die mit Waffen in der Hand herumlaufen. Soldaten, die in Schulen gehen und Kindern beibringen, keine Angst vor Waffen zu haben und sie nicht zu verabscheuen. Ein ungefähr zehnjähriger Junge, der erklärt, er würde jederzeit in den Krieg ziehen.

Das wirkt fast makaber in Zeiten, in denen Schüler - drei Wochen nachdem ein 19-Jähriger in einer Schule in Florida 17 Menschen tötete - dafür kämpfen, dass in den USA schärfere Waffengesetze eingeführt werden. Im Film geht es darum, dass junge Menschen mit Hilfe des von Armee und Verteidigungsministerium entwickelten Programm "Pokos" lernen, mit Waffen umzugehen. Soldaten in Tarnanzügen marschieren durch Turnhallen und spielen mit den Schülern ein bisschen Krieg.

"Staatsverteidigung" nennt sich dieses Fach, das seit 2014 Teil der tschechischen Lehrpläne ist. Schließlich sei für den Tod von Menschen in den Kriegsgebieten Syriens und der Ukraine die Tatsache verantwortlich, dass junge Menschen verlernt hätten, wie man sich in einem bewaffneten Konflikt verhält, sagt einer der Projektverantwortlichen. Daher sollten Kinder vom fünften Lebensjahr an spielerisch Kriegsverhalten lernen.

"Teaching War" lief als zweiter Film während des "Mittel Punkt Europa"-Filmfests. Das junge Festival, das zum zweiten Mal in München und zum ersten Mal im Filmmuseum stattfindet, präsentiert zehn Tage preisgekrönte Filme aus Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei. "Der Film ist mit das beste Kunstmedium, um kulturellen und gesellschaftlichen Wandel widerzuspiegeln", sagt Anett Browarzik, Leiterin des Festivals.

Mit "Teaching War" hat die 1992 geborene Tschechin Adéla Komrzý, die in Prag Dokumentarfilm studiert, einen Film gedreht, der eine schleichende, von der Regierung vorangetriebene Militarisierung der Gesellschaft festhält. Ohne große Bewertungen, Komrzý bildet nur ab. "Ich wollte, dass der Film in seiner Wirkung den Zuschauer dazu bringt, aus sich selbst heraus zu denken und ihm nicht schon eine Meinung dazu präsentiert", erklärte die junge Regisseurin in der Diskussion. Zu ihrer eigenen Überraschung habe ihr bei den Dreharbeiten niemand dazwischen geredet. "Das sind Menschen, die das aus Überzeugung machen", sagt Komrzý. "Sie kommen nicht auf die Idee, dass jemand das auch anders sehen könnte."

Auch der auf wahren Begebenheiten beruhende Spielfilm "Masaryk - A prominent patient" gewinnt aus dem Wiederaufflammen des Nationalismus seine Aktualität. Der nach Amerika geflüchtete Diplomat Jan Masaryk, Sohn des ersten Staatspräsidenten der 1918 gegründeten Tschechoslowakei, setzt sich in einem Sanatorium mit seiner Vergangenheit auseinander. Zu schaffen machen ihm vor allem die furchtbaren Auswirkungen, die die Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und des Deutschen Reichs 1938 mit der Unterzeichnung des Münchner Abkommens für sein Land auslösten. Als Diplomat hatte er es nicht geschafft, die Unterstützung der Briten für die Verteidigung seiner Heimat zu sichern.

Der Film besticht nicht nur durch seine charismatischen Charaktere. Vor dem Hintergrund beeindruckender Bilder und bewegender Musik verschmilzt eine kunstvolle, helle Inszenierung mit einer dunklen, bitteren Wirklichkeit. Regisseur Julius Ševčík führt eindrücklich das Scheitern von Diplomatie vor, ein Film, der auch wegen des 80. Jahrestags des Münchner Abkommens eine besondere Relevanz erhält.

Interessant auch "The Line" aus der Slowakei (6.3.). Peter Bebjaks Film spielt 2007, kurz vor dem Beitritt der Slowakei zum Schengen-Abkommen. Damit verwandelte sich die Grenze zur Ukraine, über die bis dahin munter geschmuggelt wird, in eine streng bewachte EU-Außengrenze. Schlepper und Mafiosi müssen sich umstellen. Anrührend ist der ungarische Dokumentarfilm "Soul Exodus" (9.3.) über die Klezmer-Band The Brothers Nazaroff. Der Film schildert eine Tournee, die den Stationen des jüdischen Exodus in umgekehrter Richtung folgt. Ein Film über Entwurzelung, Identitätssuche und den Glauben in die Musik.

Mittel Punkt Europa Filmfest, bis So., 11. März, Filmmuseum

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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