Meinhof, Terror und die RAF:Vater und Mutter der Rasterfahndung

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Horst Herold, das war der oberste Terroristenfahnder der alten Bundesrepublik, hält sich für den letzten Gefangenen der RAF. Denn er brütet in aller Abgeschiedenheit seit 25 Jahren über dem, was ihm damals widerfuhr.

Heribert Prantl

Es gibt eine akribische, intellektuell kraftvolle ¸¸Geschichte des Terrorismus": Es ist dies ein großes Werk über das Wirken und Wüten von Hass, eine Geschichte über das Entstehen und Vergehen des Terrors und über die Bedeutung ihrer Leitfiguren - dargestellt am Beispiel der RAF. Es ist dies die Arbeit eines Kenners, der sein Berufsleben lang diesen RAF-Terror genialisch bekämpft, der die Straftaten der so genannten ersten und zweiten Generation der RAF aufgeklärt und ihre Mitglieder gefasst hat, und dann, unverstanden und verschrien von Politik und Öffentlichkeit, nach einer Fahndungspanne in den Ruhestand geschickt wurde. Seitdem, seit 25 Jahren also, denkt er, als letzter Gefangener der RAF, wie er früher ironisch sagte, in der Abgeschiedenheit seines Häuschens auf dem Gelände einer oberbayerischen Kaserne, über das Wesen des Terrors nach.

Ulrike Meinhof in den Redaktionsräumen der Zeitschrift "konkret" (Foto: N/A)

Aus dem Kriminalisten Horst Herold, dem wohl besten Polizisten, den Deutschland je hatte, ist ein Kriminal-und Gesellschaftsphilosoph geworden, dessen Lehre darauf hinausläuft, alle bisherigen Terrorismusformen ¸¸als Präludium, als Signal, als Ankündigung von tief greifenden Veränderungen vom Ausmaß eines Bebens" zu beschreiben. Terrorismus - wohl auch der islamistische von heute - sei also stets ein Seismograf für bevorstehende Umbrüche der Ordnung.

Welche Bedeutung also hat Ulrike Meinhof, die Symbolfigur der RAF, die sich am 9. Mai vor 30 Jahren am Gitter ihrer Haftzelle erhängte und in deren Selbstmord, so Horst Herold, eine Vorahnung des Scheiterns lag? Welche Bedeutung hat sie, über die Faszination hinaus, die ihre Schriften damals hatten? Ihre Formulierungen haben selbst auf ihren Verfolger Herold ihre Wirkung nicht verfehlt: ¸¸Die Abstraktion entfernt mich nicht von den Dingen, sondern führt in Wahrheit tiefer in sie hinein." Oder: ¸¸Lösungen dürfen nicht in den Köpfen erfunden, sondern in der Wirklichkeit gefunden werden." Es ist, als ob Herold sich diese Sätze zu Eigen gemacht hätte - schon damals, als er der RAF-Verfolger war. Lösungen in der Wirklichkeit finden? Damals fand er den Schlüssel zur Fahndung gegen Meinhof & Co. in deren eigenen Schriften, aus denen er die Bekämpfungsmethoden destillierte: Die Rasterfahndung hat nicht nur Herold zum Vater, sondern auch Ulrike Meinhof als Mutter. Er hat Meinhofs schriftliche Anleitungen zum bewaffneten Kampf, die vom damaligen RAF-Ideologen und heutigen Rechtsextremisten Horst Mahler verfeinert wurden, als Vorlage genommen, um daraus die Kriterien für die Rasterfahndung zu entwickeln.

Horst Herold hat Ulrike Meinhof nie persönlich getroffen - er hat sie verfolgt, er hat sie gefasst, er hat sie studiert und Letzteres tut er noch immer. Die Rasterfahndung war seinerzeit der kriminalistische Effekt dieser Studien. Den ideologischen Effekt sieht Herold so: Der Eintritt der Journalistin Meinhof in die linksextreme Szene habe diese massiv ideologisiert, ihr eine neue Strategie gegeben und die RAF bis zum Schluss geprägt.

Es war in der Tat so: Der RAF gelang es auf der Basis der Meinhof-Schrift über die Stadtguerilla, die eigentlich einander entgegengesetzten Weltanschauungen des Marxismus und des radikalen Anarchismus zu einer Mischung von äußerster Brisanz zu verbinden. Dem Marxismus entnahm sie die Methodik der Dialektik, die mit ihrem mathematischen Anstrich bereits die Studentenbewegung fasziniert hatte. Und dem Anarchismus entnahmen Meinhof und die RAF die gewalttätigen Elemente: die Maßlosigkeit der Sprache, den gnadenlosen Rigorismus, und vor allem die ständige Betonung der Tat und der von ihr ausgehenden Propaganda als Motor der Geschichte. Lediglich die dem Anarchismus eigentümliche Organisationsfeindlichkeit, die auch die Studentenbewegung von 1967 bis 1969 gekennzeichnet und zu ihrem Scheitern geführt hatte, wurde von der RAF abgelehnt: Von Anbeginn an war das Auftreten der linksextremen Kleingruppen militant, diszipliniert, organisiert.

Sie verstanden sich, ebenso wie die italienischen Roten Brigaden, wie die französische Action directe, später auch die Eta, als Teilnehmer eines innerhalb der Völker gleichzeitig einsetzenden sozialrevolutionären Terrorkampfes. Der sollte, wie in China, Kuba oder Vietnam praktiziert, die Massen in Tiefe und Breite mobilisieren.

Mit der selbst gewählten Bezeichnung ¸¸Rote-Armee-Fraktion" machte die RAF ihren Anspruch deutlich, Teil einer Weltbürgerkriegsarmee zu sein.

Lesen wir dazu in Herolds Terrorismus-Geschichte, wie alles begann; er beschreibt nüchtern, fast lexikalisch: ¸¸In den Jahren 1970 und 1971 trat die Baader-Meinhof-Gruppe, wie die RAF von der Öffentlichkeit zunächst bezeichnet wurde, mit einer Reihe von Banküberfällen hervor, die, wie sich den noch unkoordiniert arbeitenden Sicherheitsbehörden erst allmählich erschloss, nur der Geldbeschaffung zur logistischen Vorbereitung von Gewaltaktionen größten Ausmaßes dienen konnten. Bei Begegnungen von Gruppenmitgliedern mit der Polizei und bei der Befreiung des Kaufhaus-Brandstifters Andreas Baader im Mai 1970 kam es zu Schießereien, bei denen insgesamt sechs Menschen auf beiden Seiten getötet wurden. Im April 1971 tauchten in Berlin die ersten Exemplare des ,Konzeptes Stadtguerilla" auf, in dem die ,Rote Armee Fraktion" sich erstmals so nannte und ihre Ziele vorstellte.

Das Konzept, im atemlos anklagenden, teils schwer verständlichen Stil von Ulrike Meinhof verfasst, erklärte den bewaffneten Stadtguerillakampf für notwendig und theoretisch gerechtfertigt, forderte aber noch nicht direkt zur Tötung von Menschen auf. Erst die RAF-Schrift ,Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa", die im Oktober 1971 entstand und sich hinter dem Tarnnamen ,Neue Straßenverkehrsordnung" verbarg, bekannte sich in gnadenloser Rigorosität offen zum Terror."

Die ideologische Meisterleistung von Meinhof & Co. bestand nach Herolds Meinung darin, den Begriff des revolutionären Subjekts, der bis dahin der Arbeiterklasse vorbehalten war, auf die Jugend und die Intellektuellen zu übertragen, die sich so als ¸¸Avantgarde" betrachten konnten.

Herold macht noch heute einen Teil der Medien dafür verantwortlich, dass das funktionierte und dass die Exzesse sich, zumal nach der Inhaftierung der ersten Generation der RAF, Bahn brechen konnten: Unter Berufung auf Informationspflichten hätten diese gemeint, sie seien gehalten, ¸¸die Auseinandersetzung mit dem terroristischen Gedankengut auf dessen Ebene zu führen". Erst durch den Abdruck in der seriösen Presse hätten die Konzepte millionenfache, ja weltweite Verbreitung gefunden.

Herold hadert noch immer mit einer Presse, die über Gewalttätigkeit anfänglich eher sportjournalistisch berichtet habe, er hadert mit Heinrich Böll und mit Erich Fried, mit dem Theaterintendanten Claus Peymann, mit den deutschen Intellektuellen, die mit ihren sympathisierenden Äußerungen der RAF zumindest anfangs ¸¸objektiv nützlich" gewesen seien. Herold schaudert es noch heute, wenn er an die Sympathisantenszene denkt, die er nach ¸¸Hunderttausenden" bemisst, und wenn er über die reale Möglichkeit sinniert, die Meinhof & Co. gehabt hätten, diese zu mobilisieren.

Herold hadert aber auch mit sich selbst und mit der Frage, ob zu Zeiten der ersten RAF-Generation, zu Lebzeiten Meinhofs, bevor die RAF systematisch zu morden begann, der Staat anders hätte reagieren können: ¸¸Damals, in den schlaflosen Nächten, oder wenn ich mit dem Hubschrauber über Deutschland flog und herunterschaute, da habe ich mich gefragt: Wo sind die nur? Und wenn wir über den Großstädten waren: Und wo soll ich die finden, ist doch unmöglich - gibt es nicht andere Wege, das alles zu vermeiden? Doch meine Pflicht erlaubte mir keinen anderen Weg."

Es gelang ihm, Ulrike Meinhof und die Kerntruppe der RAF zu verhaften - und doch ahnte er, dass es nicht stimmte, was der damalige Außenminister und Vizekanzler Walter Scheel ankündigte: ¸¸Das Problem Baader-Meinhof ist erledigt."

Es erledigte sich, wie sich zeigte, nicht mit Repression, nicht mit erfolgreicher Verfolgung. Nach Herolds Zeit ging das Morden weiter, wurde exzessiver, die Taten sind bis heute nicht aufgeklärt. Aber auf einmal, als die schwersten Delikte verübt wurden, interessierte sich niemand mehr dafür. Der Terrorismus starb in der dritten Generation daran, dass kaum einer mehr auf ihn achtete. Die RAF ging ein unter Deklamationen von emphatischen Schlussformeln. Herold hat dieses Ende der RAF als Pensionist staunend und selbstzweiflerisch analysiert. Stellt diese Beobachtung nicht ein ganzes Kriminalistenleben in Frage? Was wäre, wenn der Terrorismus kommt und wieder vergeht, so wie ein Vulkan ausbricht und sich wieder beruhigt, wenn es sich also um eine eruptive Zwischenphase der Geschichte handelt, gegen die man ein paar Schutzmaßnahmen treffen, aber nichts Entscheidendes ausrichten kann? Ist es womöglich so, dass massivste Verfolgung und Repression terroristische Gewalt eher am Kochen hält, als dass sie diese beendet?

Solche Überlegungen treiben den alten Mann um. Vielleicht ist es, solcher Zweifel wegen, gut, dass Horst Herold die große Geschichte des Terrorismus, die sein Alterstraum war, nicht geschrieben hat. Sie ist nur in seinem Kopf. Erst hat man sie ihn nicht schreiben lassen, jetzt will, jetzt kann der 83-Jährige nicht mehr. Als man ihn 1981 zwangsweise in den Ruhestand versetzt hatte, gab ihm der Innenminister den ersehnten Zugang zu den RAF-Akten nicht. Und so ist seine Geschichte des Terrorismus bloß das Ergebnis von wenigen kleinen Publikationen und vielen Gesprächen, denen er sich vor laufender Kamera freilich strikt verweigert. Er will Ruhe haben - und findet sie doch nicht. Er fürchtet, seinem Anspruch an Perfektion nicht zu genügen. Und so schreiben über die RAF viele, die viel weniger davon wissen als er.

Welche Bedeutung hat Ulrike Meinhof? Herold begreift die RAF, deren Leit- und Kultfigur sie war, als einen Indikator, als ein Signal für die weltgeschichtlichen Veränderungen des Jahres 1989: Der Zusammenbruch der Sowjetunion habe den globalen Sieg des Kapitalismus eingeleitet, der heute, von seinen Fesseln befreit, in der Globalisierung die Negativbilder biete, die Meinhof einst beschrieben habe.

Wer glaubt, Herold rechtfertige oder entschuldige damit Gewalttaten, missversteht ihn: ¸¸Kein noch so hehrer Gedanke rechtfertigt die Tötung von Menschen." Er will nachdenklich machen und tut es auf seine Weise gründlich: ¸¸Bekämpfung des Terrorismus kann und darf nicht an seiner vordergründigen Erscheinung hängen bleiben und sich auf die Repression beschränken. Terrorismusbekämpfung bedeutet auch, unter der Oberfläche des Vordergründigen das vielleicht Mögliche, das noch Werdende zu erkennen, um künftige Gefahren, die in den Vorstellungen der Handelnden existieren, ernst zu nehmen, denkbare Formen, in denen sie auftreten können, zu erkennen, ihnen zu begegnen und damit zugleich dem Terrorismus die Schubkräfte und Anreize zu nehmen, die ihn auslösen und begleiten."

Es handelt sich dabei wohl um die Schlusssätze des ungeschriebenen Werkes über die ¸¸Geschichte des Terrorismus".

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.106, Dienstag, den 09. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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