Medien in Deutschland:Vor 50 Jahren startete das Magazin "konkret"

Im Namen der Wahrheit und mit Geld aus der DDR begann vor einem halben Jahrhundert das Magazin konkret. Die Liste der prominenten Autoren ist lang, geschrieben wurde gegen Nazis, die Wiederbewaffung - und alles, was die anderen nicht brachten. Heute gibt es das Heft immer noch.

Willi Winkler

Allein mit den Namen der prominenten Mitarbeiter ließen sich vier Spalten füllen. Von Jean-Paul Sartre bis Joachim Fest bis Patrice Lumumba bis Norbert Blüm haben sie alle in konkret geschrieben.

"Die Wahrheit ist konkret'', hatte Brecht übermütig in einem seiner heute leider vergessenen Oneliner behauptet, aber eben auch: "Die Wahrheit lässt sich nur mit List verbreiten.'' konkret, das im Namen der Wahrheit und mit Geld aus der DDR vor 50 Jahren begann und tatsächlich Konterbande verbreitete, gebrauchte wenig List, sondern meinte es so direkt wie ernst: gegen die Aufrüstungspolitik von Strauß und Adenauer, gegen die Notstandsgesetze, gegen die alten Nazis in Justiz und Verwaltung - alles, was die anderen nicht brachten.

Die Zeitschrift hatte als hektographiertes Blättchen begonnen, als Plädoyer, aus dem der Studentenkurier wurde, an den schon der nur im allerengsten Kreis bekannte Arno Schmidt seine zauberischen Erzählungen lieferte. Im Herbst 1957 wurde daraus konkret.

Chefredakteur war der Lehramtsstudent Klaus Rainer Röhl, dem zu Anfang sein Studienfreund Peter Rühmkorf sekundierte. Dichter wollten sie beide sein, wenn dann auch nur aus Rühmkorf einer wurde, der sich pseudonym über "Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof'' seinen Weg freimassakrierte.

Der Jungspund ließ nichts gelten von der beschaulichen Nachkriegsliteratur. Tucholsky wollten die Geistesbrüder Röhl & Rühmkorf spielen und ein bisschen auch mit dem Kommunismus, auf den in Westdeutschland doch fast die Höchststrafe stand.

Nachdem sich auch die SPD auf den Adenauerschen Westkurs eingeschwungen hatte, war konkret zu Anfang der sechziger Jahre beinahe die einzige Opposition in der Bundesrepublik. konkret nahm sich der alten Nazis in der Bundesrepublik an, ließ den Schriftsteller Robert Neumann den Bundespräsidenten Heinrich Lübke wegen dessen aufbauender Tätigkeit im Dritten Reich angreifen, ehe sich der Stern und der Spiegel trauten, und dahinter stand immer die protestantische Strenge der Kolumnistin Ulrike Marie Meinhof, die vor den Notstandsgesetzen warnte und vor der Wiederkehr der Diktatur.

Röhl machte den Plärr-August, wurde damit für viele der "Kotzbrocken'', aber er konnte die Zeitschrift, nachdem er und seine damalige Frau Ulrike Meinhof es aus den Banden der DDR entlassen hatten, bis auf die schwindelnde Höhe von beinahe 200.000 Exemplaren führen.

Hilfe von der Studentenbewegung

Unterstützt wurde er dabei von der von ihm gründlich verabscheuten Studentenbewegung in Berlin, der er zeitweilig autonome Seiten einräumte. Seiten, die seine inzwischen getrennt lebende Frau in der Hand behielt, und auf denen nachmals bekannte Schriftsteller wie Peter Schneider lang, lang vor der RAF von der Gewalt schwärmten.

Der Auflage schadeten sicher nicht die lockeren Sex-Geschichten, in denen Jung-Autoren wie Stefan Aust knallhart recherchierten, wie ernst es das deutsche Mädchen mit der Treue und dem Kuppelparagraphen nahm. Günter Wallraff veröffentlichte seine berühmten Reportagen aus der Arbeitswelt, von der die Hamburger Literaten so wenig wussten, und Rudi Dutschke phantasierte von der Rätedemokratie.

Nachdem er seine Frau schon an die RAF verloren hatte, musste sich Röhl auch noch seine über alles geliebte Zeitschrift entwinden lassen, da er nicht die Rechte am Titel besaß. In den siebziger Jahren wurde sie zum Tummelplatz der damaligen Jungsozialisten. Heidemarie Wieczorek-Zeul und auch der linksbewegte Gerhard Schröder traten da auf.

Später machte sich konkret zur Abspielbasis der frühen Grünen und vergaß auch Alice Schwarzer nicht. Wolf Biermann durfte nach seiner Ausbürgerung aus der DDR die Bundesrepublik dazu auffordern, endlich das Gespräch mit Honecker zu suchen, und versicherte allen, die es nicht wissen wollten, dass er selbstverständlich Kommunist und die DDR das bessere Deutschland sei.

Jan Philipp Reemtsma, auch die Verlegerin Inge Feltrinelli unterstützten das immer wieder notleidende Monatsblatt, dessen Auflage heute bei gut 40.000 liegen dürfte.

Jetzt sind es 50 Jahre, und konkret gibt es immer noch. Der unermüdliche Hermann L. Gremliza macht noch immer unerbittlich den Karl Kraus, verteidigt kompromisslos Israel und den Krieg gegen Saddam Hussein, gern auch das dubiose Wirken Marcel Reich-Ranickis für den polnischen Geheimdienst, verabscheut die PDS samt Umfeld und versteht es dabei, den letzten Stalinisten zu spielen.

Auch wenn er's gern wäre, ist er nicht Karl Kraus, aber wer sonst schriebe so streng und dabei so gut? Im Jubiläumsheft zählt der scheindemütige Gremliza Fehler aus seiner Wirkungszeit auf, was ihm Gelegenheit gibt, einige seiner schönsten Sätze zu zitieren: "Wäre die Zukunft der Erde eine grüne, sie hätte keine'' oder "Darum hat Frau Schwarzer die Nazis nie recht gemocht: Weil es bei der SS keine Reichsführerin gab."

Mit der Hingabe eines KannibalenIn der Kolumne "Gremlizas Express" kümmert er sich mit der Hingabe eines Kannibalen um das Sprachgeschluder der anderen, während der wackere Horst Tomayer in seinem unbedingt "ehrlichen Tagebuch'' poetisch für sich hin radelt, Pilze sammelt und endreimt.

Dafür liest man konkret, und wegen Otto Köhler, wegen Gerhard Henschel, wegen der Unbedingtheit, die dort zum guten Ton gehört. In konkret hat Roger Willemsen Richard von Weizsäcker bloßgestellt, hat Otto Köhler zum ersten Mal die SS-Besetzung beim frühen Spiegel recherchiert, in konkret hat sich Gremliza in einem offenen Brief an Friede Springer selber bezichtigt, am Gründonnerstag 1968, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, Steine gegen das Springer-Gebäude in Berlin geschleudert zu haben.

Trotzdem ist das Jubiläumsheft erstaunlich dürftig ausgefallen. Peinlich sogar ist die Freundschaftsanzeige der Firma Globetrotter, Ausrüster von nordischen und auch anderen Wanderern, der mit dem Rosa-Luxemburg-Gassenhauer "Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" das "linke und pazifistische Magazin" konkret "in unserem Biotop" begrüßt. Wäre das die Zukunft von konkret, die Zeitschrift hätte keine.

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