Medien:Ich steh' hier live am Sterbebett

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Disney für die Kleinen, Echtfleisch für die Großen: Die neue Sehnsucht der Medien nach dem Tod wird uns noch richtig zu schaffen machen.

Von Karl Bruckmaier

Um das frisch angeschnittene Steak bildet sich eine kleine Blutlache. Kinderaugen blicken einen fragend an. Ja, das war einmal eine Kuhlimuh, und jetzt ist es eben ein lecker Steak. Und wenn es den Hunger auf dieses Steak nicht gäbe, hätte es auch diese Kuh nicht gegeben. Also Kinder, haut rein!

Im pappsüßen Disney-Paradies wird der Tod noch kindgerecht ästhetisiert oder einfach ausgeklammert. Doch im Erwachsenenalter gieren unsere Kleinsten dann auch nach Live-Übertragungen vom Totenbett. (Foto: Foto: Disney/Cinetext)

Eine Träne trübt die fragenden Kinderaugen. Vegetarier? Hitler war ein Vegetarier. Das klingt ja schon wie Arier. Und wenn ihr nicht gleich ordentlich esst, dann gibt es statt Abendbrot das gleichnamige Stück von den Residents als Gutenachtkakophonie.

Unwissenheit schütze zwar vor Strafe nicht, doch die lieben Kleinen seien einfach noch zu jung für die tägliche Dosis Guido Knopp, so wendet die Mutter begütigend ein, und ein Vegetarier, das ist für sie ein Haifisch, der in den Ethikunterricht geht.

Pappsüßes Paradies

Verdammt, ja, unsere Kinder sind versaut von all den Disneyfilmen, die ihre im Grunde homophobe und xenophobe Botschaft so pappsüß verkaufen, als sei das Leben ein Stück Kinderschokolade. Bären, die Bananen essen. Tiger, die auf ihren Korkenzieherschwänzen hopsen und keinem Ferkel was zuleide tun. Dalmatiner. Kätzchen. Bambis. Und Löwen, die beim Lamm liegen, als sei über Nacht das Paradies der Zeugen Jehovas vom Himmel geplumpst.

Natur gilt unserem zwangssensiblen Nachwuchs als pastellfarbenes Freigehege für drollige Spielgefährten, in dem Alter, Leid und Tod, in dem Fressen und Gefressenwerden einfach nicht vorkommen. Die Fleischfresser, falls sie im medial vermittelten Abbild der Natur überhaupt eine Rolle spielen wie die Hyänen in "König der Löwen" oder Shir Khan, der Tiger aus dem "Dschungelbuch", sind die Raucher des fabelhaften Animationsfilms, also die Bösen.

Die Guten kauen auf Grünzeug herum oder ballern sich Mit-Tiere hinter die Kiemen, die als Lebewesen unkenntlich gemacht und damit zum Verzehr freigegeben sind, Maden und Larven etwa, ekliges Zeug. Untertiere. Fischstäbchen. Bifi. Chicken McNugget. Insgesamt: Dekontextualisiertes Protein. Fleisch, das aus seinem Form- und Funktionszusammenhang gelöst fast pornographisch umgedeutet werden kann in etwas anderes.

Geiles Food

In etwas Geiles. In "Food". In "Food", das designt wird. Von Food Designern. Lebensmittelrechtlich unbedenklich. Auf eine unappetitliche Weise appetitlich. Mit fünf lebenswichtigen Cerealien: Fleisch ohne Tod.

Fleisch mit Tod bleibt uns Erwachsenen vorbehalten. Und hier ist nicht von um- und umgepackten, grau angelaufenen Fleischbatzen im real existierenden Einkaufsgetto die Rede. Sondern von einem Fleisch, das wir zwar nicht essen dürfen, das wir allerdings in immer größeren Mengen verschlingen sollen. Menschenfleisch. Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib. Speziell nicht in gebratenem Zustand.

Dabei gründet der Erfolg vor allem der privaten Fernsehsender absolut tuttifrutti auf unserem Hunger nach möglichst apart angerichtetem Menschenfleisch. Wer sich da verwundert an der Erektion kratzt und wissen möchte, warum ausgerechnet die Parteien mit einem C im Namen einst und jetzt mit solchem Nachdruck die Softpornosender und Gewaltvermarkter in unser Leben gedrückt haben, der sei einfach darauf hingewiesen, dass die ersten Satellitenantennen, die unsere Dächer schmückten, allesamt die Aufschrift "SatAn" trugen. Wir sind Papst, fällt mir dazu noch ein.

Zurück zum Beton: Seit den fernen achtziger Jahren durften oder mussten wir zusehen, wie sich nachmittags erst Menschen vor den Kameras zerfleischten, um sich zur primetime zu entleiben und sich gegen Mitternacht zu entkleiden und zu paaren, auf dass der Zyklus von vorne beginnen konnte.

Ein echter Kannibale in den newsshows hat da nie wirklich gestört. Und auch nicht pornographisch zugerichtete Menschenberge in irakischen Gefängnissen oder in ihrer schieren Zahl perverse Leichenberge an unseren Lieblingsstränden: "Deutsche bleiben Phuket treu", tröstet Spiegel online.

Aber vielleicht sind wir durch diese An- und Zurichtung lebendigen wie toten Menschenfleisches weich geklopft worden wie ein Schnitzel in der All-inclusive-Hölle für einen medialen Quantensprung, ein ganz neues, noch endgeileres Fernsehen, das sich in der Berichterstattung über den siechen, den sterbenden, den verstorbenen, den bald selig gesprochenen Papst angedeutet hat: Darf man ihn so zeigen?

Papststäbchen

So bedeutet: als Karel Wojtyla, als Greis, der die Kontrolle verliert über seinen Körper, während Johannes Paul II. die Kontrolle behält über den Medienapparat. Als transzendenter Schmerzensmann. Als Regisseur und Hauptdarsteller in der Realtime-Übertragung des eigenen Vergehens. Amt und Würde als Panade der Bürde. Ein Papststäbchen. Noch war die ziemlich einhellige Meinung, so hätte man ihn eigentlich nicht sehen wollen. Aber hat uns nicht andererseits gerade dieses Hilflose im Gesicht des Papstes zum Katholiken just for one day gemacht?

Nun spielte aber nicht bloß der naturgemäß konservative Vatikan auf der Medienklaviatur das Lied vom Tod: Die reaktionären Glaubensbrüder und Betschwestern auf der anderen Seite des Atlantik grölten gar das Lied von den fünfzehn Mann auf der toten Frau und setzten der Einfachheit halber gleich das Leiden Jesu mit dem Leiden einer Wachkomapatientin gleich.

Aber warum der Aufwand? Sollte uns das Zucken des Fleisches, das einmal Terri Schiavo war, auf etwas Größeres, Perverseres vorbereiten, zeitlich passend flankiert durch das Ableben eines betagten Fürsten und eines populären Demenzkranken?

Death sells

Hieß einst die Grundregel des Revolverjournalismus, dass Sex sells, so muss das in Zeiten einer zumindest in unseren Breiten vergreisenden Bevölkerung heißen: "Death sells". Nicht mehr das lustvolle Stöhnen junger und schöner Menschen wird für Einschaltquoten sorgen, sondern das Aushauchen des Lebens, das Erschlaffen welker Glieder, das Hervorstoßen letzter Worte.

Der Begriff ghostwriter muss aus einer Wartezimmerposition heraus neu gedacht werden, denn in einer Gesellschaft, deren einziger Motor nach dem Wegfall aller Utopien und Anliegen die blanke Gier ist, wird nach diesen triumphalen Wochen des Hinscheidens der reale Tod mit Macht Einzug halten!

Der bei Medienmanagern wie Zuschauern einmal geweckte Hunger nach Menschenfleisch will gestillt werden, und Thomas Gottschalk und die Seinen haben die teuren Kondolenz-Klamotten doch nicht fürs Einmal-Tragen gekauft - hier stellt sich ein allerdings am besten als logistisch zu bezeichnendes Problem: Woher nehmen und nicht töten?

Es ist eher unwahrscheinlich, dass in schöner Regelmäßigkeit allwöchentlich drei oder vier Lieblinge der Massen ihrem Schöpfer gegenüber treten und viertelprominente deutsche Schauspielerquatschköpfe, die einen Tsunami überlebt haben oder über halbwegs interessante Nahtoderlebnisse schwadronieren können, stehen auch nur begrenzt zur Verfügung.

Live vom "Deathbed"

Dabei wäre es aus Sicht der Privatsender kommerzieller Selbstmord, diese frisch gezapfte Quelle künftiger Quotenbringer dummen Zufällen zu überlassen, während im Dritten allwöchentlich "Der Brandner Kasper schaut ins Himmelreich" wiederholt wird.

Außerdem wäre ein schneller und daher meist als gnadenvoll empfundener Tod wenig hilfreich; nur ein langes und wechselvolles Dahinsiechen, unterbrochen von einem gelegentlichen Hoffnungsschimmer, einem Wunderheiler vielleicht, einer Kraft spendenden neuen Liebe, einer überraschende Wendung eben, die aber letztendlich nichts am Gang der Dinge ändert, erlaubt eine sinnvolle Investition der Medien in das Geschäft mit dem sterbenden Menschenfleisch.

Betrachtet man die Dinge wie ein Metzger sein Schlachtvieh, also nüchtern, kann es nur einen Weg geben: ein Reality TV-Format mit dem Titel "Deathbed". Vermögendere Sender können an so genannte Prominente herantreten, die bisher ihre Krebserkrankung höchstens in der Boulevardpresse zur Schau stellen durften, um sie durch lang-, nun ja, mittelfristige Verträge an sich zu binden.

"Stirb in die Kamera"

Allein schon das Casting für die Show verspricht eine ganz neue Dimension des Mitleids. Und: "Sie starb einsam auf ihrer Alm" - das muss nicht mehr sein.

Wer etwas weniger Geld ausgeben möchte, wird mit Sicherheit in den verarmenden Schichten unserer Bevölkerung Familien finden, die nach Abwägung aller Vor- und Nachteile zu dem Schluss kommen, dass ein dokumentiertes und gelegentlich inszeniertes Leben und Sterben einer Mutter von sechs Kindern vor laufenden Kameras für die Hinterbliebenen sinnvoller ist als ein Armenbegräbnis im engsten Familienkreis.

Im Nebenzimmer gucken die Kleinen "Findet Nemo" und essen ein Deutschländerwürstchen im Schlafrock, während es hier, wo die Action ist, nicht mehr heißt: "Geh ins Licht!", sondern: "Stirb in die Kamera!"

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