Media Player:Lolitas vom Land

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Ein Flugticket reicht, um neue Darstellerinnen zu rekrutieren. (Foto: Netflix)

Die Netflix-Dokumentation "Hot Girls Wanted" erkundet die Untiefen der Pornofilm-Industrie im Netz. Ergebnis: Je jünger und weniger professionell die Mädchen vor den Kameras wirken, desto schneller zücken die Kunden ihre Kreditkarten.

Von David Steinitz

Erfahrungsgemäß dauert es maximal einen Monat, bis deine Eltern es herausfinden, erklärt routiniert der Pornodarstellerinnen-Agent einem neuen Mädchen. Ein junger Herr mit kurz geschorenen Haaren, der Zigarillo raucht und im Vergleich zu seinen Klientinnen eigentlich schon ein alter Herr ist. Er ist einer der Protagonisten der Dokumentation "Hot Girls Wanted" und weiß: Jeder schaut Pornos, auch Eltern. Der Film, der sich mit der amerikanischen Amateurpornoindustrie beschäftigt, hatte Anfang des Jahres Premiere auf dem Sundance-Festival und ist nun beim Streaming-Dienst Netflix zu sehen. Die Regisseurinnen Jill Bauer und Ronna Gradus hatten sich bereits in ihrer letzten Doku "Sexy Baby" (2012) mit dem kruden Körper-Imperativ beschäftigt, der Mädchen im wirren Bildermix aus den sozialen Netzwerken und Online-Pornos serviert wird. Wie dieses Frauenbild von glatten und vorgeblich immer willigen Cheerleader-Körpern ihre Sozialisation und ihr Selbstwertgefühl verändert, war damals das Thema. Anschließend haben die beiden Filmemacherinnen weiter recherchiert, unter anderem mit Unterstützung des Kinsey-Instituts für Sexualforschung. Der Aufhänger für den neuen Film: Auf Platz eins aller Suchbegriffe, die im Zusammenhang mit Pornografie im Internet eingegeben werden, steht der Begriff "teen". Beliebt wie kaum ein anderer pornografischer Inhalt sind bei den Nutzern Sexclips mit Mädchen, die zwar volljährig sind, aber oft deutlich jünger aussehen. Und die keine offensichtlichen Pornodarstellerinnen sind, sondern das Mädchen von nebenan verkörpern. Diese sogenannten "teenyboppers", wie sie in der Branche genannt werden, versprechen höchste Profite. Denn: Der Großteil der Internet-Pornografie ist umsonst - aber für immer neue Videos mit vorgeblichen Amateurmädchen rücken die Nutzer gerne ihre Kreditkartennummer raus.

Für ihre Doku haben Bauer und Gradus einige dieser Mädchen in die Untiefen des Pornogeschäfts begleitet. Weil die Darstellerinnen nur mit dem Charme des unbedarften Frischfleischs Geld einbringen, sind sie in der Regel nach ein paar Monaten für die Produzenten verbrannt. Weshalb ständig neue Girls aus allen Teilen des Landes hermüssen, und das funktioniert meistens so: Ein Porno-Produzent wie der Zigarillo-Raucher bietet auf einer Anzeigen-Website wie Craigslist ein kostenloses Flugticket nach Miami an. Klingt nach einer Masche, die im Jahr 2015 ein schwer vorstellbares Level an Naivität verlangt, funktioniert aber bestens: "In den nächsten zwölf Stunden bekomme ich garantiert mindestens fünf Antworten."

Sind die Mädchen - die oft einfach nur froh sind, irgendeinem kleinen Kaff zu entkommen und in der Sonne von Florida zu landen - dann einmal am Ort, werden sie mit Geld geködert. Nicht gerade riesiger Reichtum, aber es genügt. Eines der Mädels sagt im Film: "Ich verdiene hier 900 Dollar in fünf Stunden - warum sollte ich daheim für 8,25 Dollar die Stunde an der Supermarktkasse sitzen?"

Vermarkten müssen sich die Porno-Novizinnen selbst, der Schlüssel zum Erfolg lautet Twitter. Weil hier, im Gegensatz zu Facebook oder Instagram, pornografische Inhalte seltener zensiert werden. Genau dieses Verschwimmen der Grenze zwischen Porno und Netz-Mainstream fasziniert die Filmemacherinnen.

Dass sie trotz ihrer darauf folgenden Kritik am Sexbusiness und den Männern, die es betreiben, immer noch ziemlich viele hübsche Land-Lolitas in knappster Unterwäsche zeigen, dürfte ein Verkaufsargument für den Film gewesen sein. Denn "Hot Girls Wanted" bietet genau jenen Mix aus ernstem dokumentarischem Anspruch und marktschreierischem Reizthema, der für das Filmimperium Netflix von Interesse ist. Um dem stets etwas stiefmütterlich behandelten Genre Dokumentarfilm im Streaming-Zeitalter eine Chance zwischen all den Blockbustern und Hitserien zu geben, muss es krachen. Wenn man sich durch die gar nicht mal so kurze Liste von Netflix-Dokus klickt, scheinen bei den Zuschauern vor allem folgende Themen beliebt zu sein: Marihuana, Essen, Krieg - und natürlich Sex. Trotzdem gilt für "Hot Girls Wanted", was auf die meisten Dokus des Online-Filmdienstes zutrifft: Sie mögen etwas naiv und plakativ sein - aber oft genug besser als das, was klassische TV-Sender an dokumentarischen Formaten anbieten.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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