Maxim Billers neue Kurzgeschichten:Der verlockende Drang zur Trennung

Lesezeit: 4 min

Biller erzählt in 27 Short Stories von der "Liebe heute" und zeigt abermals, dass er sein Handwerk nun wirklich beherrscht.

Ijoma Mangold

"So könnte es gehen", denkt sich Mischa, der es nicht verwunden hat, von seiner Freundin Shelly verlassen worden zu sein. Er weiß, er wird Shelly nicht zurückerobern können, das nicht. Aber er sieht einen anderen Ausweg.

Eine Diagnose des zeitgenössischen Liebeslebens - zumindest dem Titel nach (Foto: Foto: Verlag)

"So könnte es gehen", denkt er sich. Es müssten nur die richtigen Tage sein, dann würde er Shelly bitten, noch einmal mit ihm zu schlafen, das würde sie nicht ablehnen können. Und am Ende wäre er einfach unvorsichtig. Dafür würde er sich selbstverständlich entschuldigen und gleichzeitig beten, es möge geklappt haben.

Diese erschlichene Vaterschaft als Rettungsanker einer Liebe, die man nicht halten kann, verdankt sich der Entschlossenheit der Verzweiflung. "Liebe heute" heißt das neue Buch von Maxim Biller mit 27 Short Stories.

Verdammt ich lieb' dich, ich lieb' dich nicht

Folgt man dem Titel und liest das Buch als eine Diagnose unseres zeitgenössischen Liebeslebens, dann muss man feststellen: Entschieden und entschlossen ist die Liebe immer erst dann, wenn sie in Wahrheit keine Chance mehr hat.

Ansonsten gilt eher ein umfassendes "Ja, ja. Nein, nein" wie in der Geschichte "Zwei Israelis in Prag": "Vielleicht ja, vielleicht nein. Ja, ja. Nein, nein. Ja, ich mag's, dass er mir sagt, was er sieht, wenn er hinter mir kniet. Nein, ich mag's nicht. Ich mag, dass er mir nie den BH auszieht. Unsinn, ich hasse es." Das Schwierigste ist eben, zu wissen, was man will.

"Aber die Lauen", heißt es in der Bibel, "werde ich ausspeien". Billers Helden sind nicht lau. Sie empfinden immerzu sehr viel. Nur leider nie für lang. Ihre Rede ist im einen Moment "ja, ja" und im anderen "nein, nein".

Eine sehr typische Biller-Situation ist deshalb die Wiederbegegnung, Jahre nachdem ein Paar sich getrennt hat. Und die überraschte Einsicht, dass der andere es vielleicht doch gewesen wäre, nachdem man sein Glück mit vielen anderen probiert hatte. Die Erzählung "Melody" treibt dieses Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel geradezu auf die Spitze, wenn es am Ende eines langen Reigens heißt: "Thomas und Melody leben jetzt wieder zusammen in der Rue Céline. Es geht ihnen gut."

Das Liebe als bolerohaftes Hamsterrad

Die Liebe bei Maxim Biller hat, so gesehen, etwas von einem Hamsterrad. Man ist immerzu am Strampeln, kommt dabei nicht wirklich von der Stelle, es tut sich aber doch etwas, was auch daran zu sehen ist, dass man ziemlich aus der Puste kommt. Wie in der Geschichte "Lied Nummer 7". Clara ist, nachdem sie sich von Günter getrennt hat, mit Hagen zusammen.

Da ist manches, was ihr an ihm nicht gefällt. Zum Beispiel, dass er sie immer so sanft berührt, als wäre es das erste Mal. Andererseits ist da auch vieles, was sie an ihm mag. Am Ende fahren beide durch Berlin nach Hause, und weil Hagen nun wenigstens das Lenkrad fest mit beiden Händen anfasst, ist Clara doch wieder ganz optimistisch. Sie legt eine CD ein.

"Sie hatte diesen Bolero schon tausendmal gehört, und sie würde ihn noch tausendmal hören. Es war wie das Leben - alles blieb gleich und änderte sich nicht, und wenn man Glück hatte, war es trotzdem schön."

Billers Helden sind Romantiker des Augenblicks. Sie handeln immer so, dass es nie zu einem Engpass an intensiven Gefühlen kommt. Für die lange Strecke aber fehlt ihnen die Geduld. So rennen sie stets der großen Liebe nach, aber unbedingt in viele verschiedene Richtungen.

Maxim Biller, 46, wurde als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und lebt in Berlin (Foto: Foto: ddp)

Sie sind nicht promisk, sondern eher überzeugt, dass die 360 Grad, die das Leben zur Verfügung stellt, in den Blick genommen werden sollten. Nur wo sie abgelehnt werden, kämpfen sie mit Verbissenheit an einer Stelle. Manchmal hat man den Eindruck, Billers Helden wollen just so leben, dass es für einige starke Gefühle für die Dauer einer Short Story reicht. Aber nie so, dass sich daraus der langwierige Konflikt für einen ganzen Roman ergäbe.

Der Mann weiß, wie's geht

Deswegen handeln die meisten von Billers Short Stories vom Anfang und vom Ende einer Beziehung. Das Dazwischen gibt es nur als Umschlagspunkt. Oder als Wiederkehr des Immergleichen wie in der Geschichte "Das Recht der jungen Männer": "Schon wieder war alles wie früher. Das war besser als gar nichts, aber gut war es auch nicht. Wir hatten zu oft versucht, ein Ende zu finden oder einen Anfang."

Ein bisschen fühlt man sich in Billers Geschichten wie in einem Film von Eric Rohmer. Man könnte sich auch gut vorstellen, dass er eine Figur wie Truffauts Antoine Doinel erschafft, welche er dann durch die verschiedenen Lebens- und Liebesstationen seiner Stories schickt - übrigens stets in wunderbaren, sehr kosmopolitischen Settings, deren größter Reiz in der Selbstverständlichkeit liegt, mit der Billers Figuren zwischen Israel und Deutschland hin und her jetten.

Die Form der Short Story beherrscht Biller dabei wie im Schlaf. Von jedem ersten Satz an merkt man: Der Autor weiß, wie es geht. Aber vielleicht weiß er es ein bisschen zu gut. Seine Geschichten sind handwerklich so souverän und glatt gearbeitet, dass von ihrer Formseite bei 27 Beispielen keine Irritation oder Überraschung mehr ausgeht.

Ist da nicht noch mehr?

Weshalb sich das Interesse und die Neugier ganz auf die Stoffseite konzentriert. Und da beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass die Art, wie die Liebe hier beschrieben wird, ein wenig den Gesetzen und der Dramaturgie der Short Story folgt. Das ist, grübelt man dann, vielleicht gar nicht so sehr die Liebe oder das Leben als viel mehr eine probate Form, davon zu erzählen. Das Ungewisse, Offene, Transitorische, das den Plot all dieser Geschichten prägt, ist vielleicht weniger eine Wahrheit über das Leben als ein narratives Verfahren.

Anders gesagt: Zwischen diesem Kommen und Gehen der Liebe muss es noch etwas anderes geben. Und man wird den Verdacht nicht los, dass dieses Andere nur deshalb nicht in das Blickfeld des Erzählers rückt, weil für dieses Andere in der festgezurrten Form der Short Story kein Platz ist.

Maxim Biller: Liebe heute. Short stories. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2007. 199 Seiten, 18,90 Euro.

© SZ vom 31.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: