Matrix-Festwochen:Und hinter tausend Monitoren keine Welt

Lesezeit: 4 min

Endlich im Kino: "The Matrix Reloaded". Ein Film, der alle Erwartungen übertrifft und in dem doch alles offen bleibt.

FRITZ GÖTTLER

Der Councillor Hamann findet keinen Schlaf, langsam und ziellos wandelt er durch die dunklen Gänge der alten unterirdischen Stadt Zion, und da ist noch einer, der schlaflos ist, ein weiterer unruhiger Geist - Neo, the One, der Erwählte, den das Volk von Zion bei seiner Ankunft als Erlöser begrüßt hatte.

Die beiden Wanderer fangen eine Unterhaltung an und der Councillor nimmt den Jungen mit in den Maschinenraum, durch dessen Betrieb die Stadt am Leben gehalten wird. Es ist schade, seufzt er, dass die Menschen sich nicht mehr dafür interessieren, wie die Dinge funktionieren.

Es herrscht Endzeitstimmung im neuen "Matrix"-Film, die Stunden von Zion scheinen gezählt. Eine gigantische Armee von Maschinen arbeitet sich auf die Stadt vor, die letzte, die noch von wirklichen Menschen bewohnt und gehalten wird. Wenn sie fällt, wird die gesamte Menschheit von den Robotern der Matrix unterjocht, in Tanks verpackt und in die künstlichen Cyberwelten des Matrix-Programms eingestöpselt sein.

Man organisiert den Widerstand in Zion, bei dem Captain Morpheus (Lawrence Fishburne) und sein Team eine wichtige Rolle spielen werden, Neo natürlich und Trinity (Carrie-Anne Moss). Weil die Zeit so knapp ist und weil sie spüren, dass irgendetwas sich ereignet zwischen ihnen beiden, ziehen sie sich zurück von der gemeinsamen Feier der letzten Nacht, einer anachronistische Mischung aus Hippie- und Rave-Party, sie suchen den körperlichen Kontakt, schüchtern, in unbeholfenen Bewegungen. Und sind nicht die einzigen in dieser Nacht ...

Zwei Filme sind das, Bauch an Bauch zusammengeklebt, so hat Luis Buñuel einst geschrieben, zu Fritz Langs "Metropolis" - eine hoffnungslos romantische Liebes- und Erlösungsgeschichte und daneben das kühne Kinogedicht einer neuen futuristischen Kultur. Man darf die beiden nicht gegeneinander ausspielen, darauf hat der hellsichtige Buñuel bestanden, man muss sie zusammen sehen, und das gilt auch für den neuen Film der Wachowski-Brüder. Man hat in vielen Kritiken ein Kopfschütteln wahrnehmen können angesichts der Naivität, mit der das Leben in der Stadt Zion geschildert wird, einen Verrat gewissermaßen an der coolen Cyber-Welt des Matrix-Programms, deren Helden sich stilisiert und gestylt bewegen und dadurch den ersten "Matrix"-Film zum Kult gemacht haben. Der zweite Teil ist nun mehr down to earth, die Figuren sind weicher, sinnlicher, plastischer in der Stadt Zion - menschlicher, möchte man sagen.

Im Innern des Programms wird weiter mit den ekstatisch-eckigen, ruckhaften, Bewegungen gekämpft, in glitzerndem Leder- und PVC-Outfit und langen schwarzen Kampftalaren, in der meisterhaften Choreographie von Yuen Wo Ping und unter Einsatz der visuellen Effekte von John Gaeta. Keanu Reeves ist wie ein junger Gott in diesen Szenen - und man erinnert sich, dass er mit einer solchen Rolle seine Karriere begonnen hat, in Bertoluccis Film über den jungen Buddha. Ein Erlöser, der selbst erst einer Erlösung bedarf - das hat er dann weiter gespielt in vielen seiner amerikanischen Filme, von "My Own Private Idaho" bis "Chain Reaction".

Keanu Reeves ist Kult, keine Frage, mit seinen asketischen Zügen und der Aura von Verletzlichkeit und Unnahbarkeit, die ihn umgibt. Aber die Wachowskis wollten mehr als diesen Kult reaktivieren, sie haben sich auf eins ihrer eigenen Kultbücher wieder besonnen, die homerischen Epen, die eine Geschichte von einsamen Helden ist, aber auch und vor allem von der Gemeinschaft, der sie angehören. Im Kampf um Zion könnte sich - der für November angekündigte dritte Teil wird es zeigen - der Kampf um Ilion widerspiegeln.

Es ist nicht mehr der spekulative Eklektizismus, der den zweiten Matrix-Film antreibt, der ganze erkenntnisphilosophische Hokuspokus um Sein und Schein, der nicht nur die Actionfans ein wenig genervt hat - und der in Hunderten von Artikeln und einem guten Dutzend Büchern die vergangenen Jahre immer aufs neue abgehandelt wurde. Die Philosophie der Matrix ist weiter virulent, die Fragen von Solipsismus und Simulation, aber die entsprechenden Dialoge kommen inzwischen mit einer Schnelligkeit, die an Geschwätzigkeit grenzt - und sie den Actionszenen angleicht: ein Powerplay. Man sehnt sich nach der Bedächtigkeit, den Schlendrian von Barthes, Bradbury, Borges zurück.

"The Matrix Reloaded" ist - man muss den Titel wohl wörtlich nehmen - ein Zwischenspiel, in dem die Brüder ganz bewusst ein paar neue Akzente setzen. Von Widerstand und Rebellion ist die Rede, ganz im Geist der sechziger Jahre. Was auch dem Geist der Verweigerung entspricht, den die Brüder demonstrieren, wenn sie sich dem Filmbetrieb fernhalten. Und dafür sich zur Teamarbeit bekennen, als dem wahren Spirit, der dieses Land, diese Welt retten kann. Bewegend ist in diesem Sinne die Begegnung Neos mit dem Orakel, in einem typischen Großstadthinterhof, verkörpert von Gloria Foster, die kurz nach den Aufnahmen, im September 2001 gestorben ist. Ein Orakel, das über den Tod hinaus sprechen darf ... Von Zeit- und Realitätssprüngen ist kaum die Rede, "The Matrix Reloaded" ist wie das zeitlose Idyll der Serie, die Beschwörung einer verlorenen Heimat, einer unvergesslichen Kindheit.

Wie etwas funktioniert, das ist eine der großen Fragen, denen das Kino sich widmet - Howard Hawks hat mit seinen Filmen exemplarisch diese Tradition etabliert in Hollywood. Mit ihrem neuen Film kehren die Wachowskis Baudrillard den Rücken und erweisen Hawks ihre Reverenz. Es geht um den Moment der Entscheidung, und um die Frage, wie und ob Entscheidung möglich ist in einer Welt, die nicht mehr dem Prinzip der Eindimensionalität, der monokausalen Geschichte verpflichtet ist. Welche Rolle kann Erlösung spielen in dieser Welt, kommt sie von außerhalb oder ist sie Teil des Systems selbst, von diesem programmiert? Wessen Willen ist es, den der Messias Neo geschehen lassen soll?

Eine Beklommenheit wächst im Verlauf dieses Films, eine Furcht vor dem kommenden dritten Teil. Man investiert eine Menge Sympathie in den Messias Neo - und muss doch fürchten, dass auch er nur eine Figur der unwirklichen Welt ist. Ein Judas wird in letzter Sekunde ins Spiel gebracht, der die Stadt an die Maschinen verrät. Aber weiß man, welche Spielarten möglich sind im alten Spiel vom Helden und Verräter ... Am Ende steht die Begegnung mit dem Vater, dem Architekten der Matrix. Neo tritt ihm entgegen wie ein schwarzer Panther. Sein Leben, das Leben seiner Zeit blitzt hinter ihm auf in tausend Monitoren. Ein Käfig der Erinnerungen, im Hintergrund tausend Monitore und hinter tausend Monitoren keine Welt.

THE MATRIX RELOADED, USA 2003 - Regie, Buch: Andy und Larry Wachowski. Kamera: Bill Pope. Schnitt: Zach Staenberg. Musik: Don Davis. Produktionsdesign: Owen Paterson. Mit: Keanu Reeves, Laurence Fishburne, Carrie-Anne Moss, Hugo Weaving, Jada Pinkett Smith, Gloria Foster, Monica Bellucci, Lambert Wilson, Randall Duk Kim, Anthony Zerbe. Warner, 138 Minuten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: