Martin Walser dichtet für Joachim Kaiser:Jochen

Ein Panegyrikus zum 75. des Kritikers.

Jochen

Dir zuliebe bänd' ich gern die Wörter zum Strauß und flöchte blühende Reime hinein. Aber aus meinen vertanen Händen wachsen statt Blumen Elegien, unser Leben reimt sich nicht. Rühmen möcht' ich Dich schon. Altmodisch darf ich sein, Dein Schnauben, wenn Du ernsthaft wirst, lyrisch nennen. Die Schräge, die Dein Kopf dann wählt, startet die Spirale eines Satzes, der sich im Raum hält und in der Zeit. Du schaust und hörst ihm nach und merkst, wie wir staunen. Du verbleibst in lippenschürzender Bescheidenheit, als könntest Du gar nichts dafür. Deine Sätze sehen aus, als wärst Du allen Problemen am Strand begegnet und sie hätten sich vor Dir entkleidet, hätten Dir gestanden, was sie wert sind. Sprachgezähmt führst Du sie uns vor, erschließt unsere Sinne, dass wir fähig werden, Dir zuzustimmen. Aber da bist du schon verreist. Traumhafter Pygmalion. Und hältst Kurs inmitten der Wirren aus Eifer und Armut, als leiteten Dich Gestirne. Es ist aber die Stirn, uns allen bekannt als eine sanfte Festung, in der Du den Gedanken Flügel wachsen läßt.

Martin Walser

© SZ v. 18.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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